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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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ein schönes Kind von feinen Gesichtszügen, lockigem Haare und glänzenden
Augen, voll Freude an Luft. Sonnenschein und Gottes Schöpfung. Seine
rasche Auffassung machte die Lehrer ebenso erstaunen wie seine Schulgenossen,
die ihm darum nicht weniger liebten. Schon 1809 bezog er die Universität
Marburg. "Als ich," schreibt er achtzehn Jahre später, "mit meinem Wander-
stabe auszog, arm, unversorgt, unbekannt, wies mich mein unvergeßlicher
Vater nach oben und sagte: "Siehe der Himmel ist überall blau." Marburg
bot ihm wenig ; so ging er im folgenden Jahre nach Göttingen, wo er in
einen Kreis von Freunden trat, der später berühmt geworden ist; unter ihnen
finden wir Lachmann, Brandis, Lücke, Ernst Schulze, den Dichter der be-
zauberten Rose, welcher von seinen Genossen sagte, jeder sei darauf aus¬
gegangen, etwas großes in seinem Leben zu thun. Bunsen zeichnete sich auf
der Universität ebenso aus wie auf der Schule, seine Abhandlung über das
Athenische Erbrecht" gewann 1812 den Preis und brachte ihm die freiwillig
verliehene philosophische Doctorwürde von Jena. Er arbeitete rastlos und
ward ein Lieblingsschüler Hehnes. In einzelnen Aufzeichnungen treten uns
die Ziele seines Strebens klarer entgegen. So schreibt er, nachdem er vorher
geschildert, wie oft er sich gedrückt fühle: "Dagegen fasse ich in andern guten
Augenblicken männlich den Entschluß, meinen Weg durchzufechten und das
Ziel, im Auge zu halten, mich selbst und meine Zeit zu verstehen und was
beiden noththut, zu scheiden was bei Seite zu lassen oder zu vernichten
wäre, a ^"vo zu beginnen, in der Blüthezeit des Lebens die Höhen der
menschlichen Intelligenz zu erklimmen und die Grenzmarken ihrer Errungen¬
schaften festzustellen -- dann mich in's praktische Leben zu werfen." -- Speziell
trieb er orientalische Studien, schon damals schwebte ihm die Aufgabe vor,
die er am Ende seines Lebens in dem großen Werk "Gott in der Geschichte,"
zu lösen suchte, "die Sprache und den Geist des fernen und feierlichen
Orients in meine Auffassung und mein Vaterland zu übertragen." Seine
Pläne gingen weit; vor allem wollte er Sanskrit und Zend an der Quelle
im Orient studiren. Arm wie er war, schien es. als ob die Gunst des Ge¬
schickes ihm zur Ausführung seiner Ideen helfen wolle. Er hatte in Göttin¬
gen die Bekanntschaft des jungen Astor gemacht, eines Sohnes des bekann¬
ten großen deutsch-amerikanischen Kaufmannes, und wußte ihn für seine
Pläne zu gewinnen; beide gingen zuerst nach Paris, wo Bunsen unter de
Sacy Arabisch trieb, dann nach Italien. Aber kaum in Florenz angelangt
ward Astor plötzlich nach Amerika zurückgerufen und Bunsen fand sich allein
in der Welt, ohne Mittel seine Pläne weiter zu verfolgen. Indessen fand
er bald Anhalt an Niebuhr, der von Brandis als Legationssecretär begleitet
auf seiner römischen Misston nach Florenz kam; er schloß sich an und ging
mit beiden nach Rom, um dort über zwanzig Jahre zu bleiben.


ein schönes Kind von feinen Gesichtszügen, lockigem Haare und glänzenden
Augen, voll Freude an Luft. Sonnenschein und Gottes Schöpfung. Seine
rasche Auffassung machte die Lehrer ebenso erstaunen wie seine Schulgenossen,
die ihm darum nicht weniger liebten. Schon 1809 bezog er die Universität
Marburg. „Als ich," schreibt er achtzehn Jahre später, „mit meinem Wander-
stabe auszog, arm, unversorgt, unbekannt, wies mich mein unvergeßlicher
Vater nach oben und sagte: „Siehe der Himmel ist überall blau." Marburg
bot ihm wenig ; so ging er im folgenden Jahre nach Göttingen, wo er in
einen Kreis von Freunden trat, der später berühmt geworden ist; unter ihnen
finden wir Lachmann, Brandis, Lücke, Ernst Schulze, den Dichter der be-
zauberten Rose, welcher von seinen Genossen sagte, jeder sei darauf aus¬
gegangen, etwas großes in seinem Leben zu thun. Bunsen zeichnete sich auf
der Universität ebenso aus wie auf der Schule, seine Abhandlung über das
Athenische Erbrecht" gewann 1812 den Preis und brachte ihm die freiwillig
verliehene philosophische Doctorwürde von Jena. Er arbeitete rastlos und
ward ein Lieblingsschüler Hehnes. In einzelnen Aufzeichnungen treten uns
die Ziele seines Strebens klarer entgegen. So schreibt er, nachdem er vorher
geschildert, wie oft er sich gedrückt fühle: „Dagegen fasse ich in andern guten
Augenblicken männlich den Entschluß, meinen Weg durchzufechten und das
Ziel, im Auge zu halten, mich selbst und meine Zeit zu verstehen und was
beiden noththut, zu scheiden was bei Seite zu lassen oder zu vernichten
wäre, a ^«vo zu beginnen, in der Blüthezeit des Lebens die Höhen der
menschlichen Intelligenz zu erklimmen und die Grenzmarken ihrer Errungen¬
schaften festzustellen — dann mich in's praktische Leben zu werfen." — Speziell
trieb er orientalische Studien, schon damals schwebte ihm die Aufgabe vor,
die er am Ende seines Lebens in dem großen Werk „Gott in der Geschichte,"
zu lösen suchte, „die Sprache und den Geist des fernen und feierlichen
Orients in meine Auffassung und mein Vaterland zu übertragen." Seine
Pläne gingen weit; vor allem wollte er Sanskrit und Zend an der Quelle
im Orient studiren. Arm wie er war, schien es. als ob die Gunst des Ge¬
schickes ihm zur Ausführung seiner Ideen helfen wolle. Er hatte in Göttin¬
gen die Bekanntschaft des jungen Astor gemacht, eines Sohnes des bekann¬
ten großen deutsch-amerikanischen Kaufmannes, und wußte ihn für seine
Pläne zu gewinnen; beide gingen zuerst nach Paris, wo Bunsen unter de
Sacy Arabisch trieb, dann nach Italien. Aber kaum in Florenz angelangt
ward Astor plötzlich nach Amerika zurückgerufen und Bunsen fand sich allein
in der Welt, ohne Mittel seine Pläne weiter zu verfolgen. Indessen fand
er bald Anhalt an Niebuhr, der von Brandis als Legationssecretär begleitet
auf seiner römischen Misston nach Florenz kam; er schloß sich an und ging
mit beiden nach Rom, um dort über zwanzig Jahre zu bleiben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/122>, abgerufen am 02.07.2024.