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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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die zufällige Durchwühlung des Bodens immer größere Dimensionen an und
ihre Ergebnisse werden je länger je weniger dem Ungeschick oder der Roh¬
heit der Karst und Hacke führender Faust Preis gegeben. --

Einstweilen läßt sich aber doch schon mancher schöne positive Gewinn
aus dem bisher entdeckten zu Nutzen einer deutlichen und lebhaften Vor¬
stellung von dem wirklichen Bilde unseres Alterthums herausziehen, auch
wenn die wissenschaftliche Akribie unserer Nation gegen die Worterklärung der
einzelnen Runeninschrift noch gerechtfertigte Zweifel hegt. Wir wollen aus
dem reichlich von allen Seiten herandringenden Vorrath ein Beispiel heraus¬
ziehen. Da liegt die Speerspitze mit Runeninschrift aus der Mark Branden¬
burg vor uns, die schon erwähnt wurde. Welche Wunder der germanische
Speer, die furchtbare Framea ausgerichtet, davon wissen Römer und Griechen
genugsam zu erzählen, aber wie ein solcher ausgesehen hat. ließ sich mit der
Präcision, wie sie unsere hochgespannte Wissenschaftlichkeit verlangt, nicht
ermitteln. Hier sehen wir das verhältnißmäßig d. h. im Vergleich mit den
massiven Waffen der Römer, dünne, schmächtige Eisen, gerade wie es Tacitus
in seiner kurzen Art schildert. Es kann, wie jeder Blick sieht, nur einen
schwachen, kurzen Schaft gehabt haben und der Speernagel an dem es befestigt
war, sitzt noch in seinem Ringe, das Holz selber ist natürlich verschwunden.
Eine solche Waffe konnte man schon deshalb zum Wurf, zum Stoß, zum
Hieb auf gleiche Weise brauchen, gerade wie die Römer es schildern. Das
wird noch deutlicher, wenn wir uns die Construction des Eisens ansetzn.
Es ist pfeilförmig, möchte man sagen, mit einem hohen Bügel in der Mitte
geschmiedet, an den Seiten ebenso schneidig wie an der Spitze. Wehe dem
römischen Hals oder Nacken, auf den es aus der Faust eines Deutschen
niedersank! -- Ueberdies ist es auch unübertreffliche Schmiedearbeit und
wir begreifen, daß Wieland der Schmied zu den Göttergestalten unserer Ahnen
gehörte: er hat seine Gläubigen eine gute Kunst gelehrt.

Aber wir sehen noch viel mehr: die Spitze und der Eisenring, der das
Schaftende einst umspannte, ist über und über mit seltsamen, aber uns ganz
eigenthümlich anheimelnden Spiralen und Punkten verziert. Auch für die
Kunstgeschichte wäre hier manches merkwürdige zu lernen, doch das ist es nicht,
worauf es uns jetzt ankommt. Diese Zieraten sind erst mit dem Meißel in das
Eisen eingegraben und dann mit einer Emaille von feinem Silber ausgegossen,
alles zierlich und sauber und von wirklich anmuthiger Wirkung. Aber seltsamer
Weise ist das Silber hier und da wie in großen Tropfen zusammengeronnen.
Keine andere Gewalt als die des Feuers, in welchem unsere Framea einst ge¬
legen, kann dieß bewirkt haben. Noch seltsamer ist aber, daß diese Tropfen
nicht nach der natürlichen Abdachung der Lanzenspitze, also nach vorne ge¬
flossen sind, sondern gegen alle Gesetze der Physik rückwärts, gleichsam bergan.


die zufällige Durchwühlung des Bodens immer größere Dimensionen an und
ihre Ergebnisse werden je länger je weniger dem Ungeschick oder der Roh¬
heit der Karst und Hacke führender Faust Preis gegeben. —

Einstweilen läßt sich aber doch schon mancher schöne positive Gewinn
aus dem bisher entdeckten zu Nutzen einer deutlichen und lebhaften Vor¬
stellung von dem wirklichen Bilde unseres Alterthums herausziehen, auch
wenn die wissenschaftliche Akribie unserer Nation gegen die Worterklärung der
einzelnen Runeninschrift noch gerechtfertigte Zweifel hegt. Wir wollen aus
dem reichlich von allen Seiten herandringenden Vorrath ein Beispiel heraus¬
ziehen. Da liegt die Speerspitze mit Runeninschrift aus der Mark Branden¬
burg vor uns, die schon erwähnt wurde. Welche Wunder der germanische
Speer, die furchtbare Framea ausgerichtet, davon wissen Römer und Griechen
genugsam zu erzählen, aber wie ein solcher ausgesehen hat. ließ sich mit der
Präcision, wie sie unsere hochgespannte Wissenschaftlichkeit verlangt, nicht
ermitteln. Hier sehen wir das verhältnißmäßig d. h. im Vergleich mit den
massiven Waffen der Römer, dünne, schmächtige Eisen, gerade wie es Tacitus
in seiner kurzen Art schildert. Es kann, wie jeder Blick sieht, nur einen
schwachen, kurzen Schaft gehabt haben und der Speernagel an dem es befestigt
war, sitzt noch in seinem Ringe, das Holz selber ist natürlich verschwunden.
Eine solche Waffe konnte man schon deshalb zum Wurf, zum Stoß, zum
Hieb auf gleiche Weise brauchen, gerade wie die Römer es schildern. Das
wird noch deutlicher, wenn wir uns die Construction des Eisens ansetzn.
Es ist pfeilförmig, möchte man sagen, mit einem hohen Bügel in der Mitte
geschmiedet, an den Seiten ebenso schneidig wie an der Spitze. Wehe dem
römischen Hals oder Nacken, auf den es aus der Faust eines Deutschen
niedersank! — Ueberdies ist es auch unübertreffliche Schmiedearbeit und
wir begreifen, daß Wieland der Schmied zu den Göttergestalten unserer Ahnen
gehörte: er hat seine Gläubigen eine gute Kunst gelehrt.

Aber wir sehen noch viel mehr: die Spitze und der Eisenring, der das
Schaftende einst umspannte, ist über und über mit seltsamen, aber uns ganz
eigenthümlich anheimelnden Spiralen und Punkten verziert. Auch für die
Kunstgeschichte wäre hier manches merkwürdige zu lernen, doch das ist es nicht,
worauf es uns jetzt ankommt. Diese Zieraten sind erst mit dem Meißel in das
Eisen eingegraben und dann mit einer Emaille von feinem Silber ausgegossen,
alles zierlich und sauber und von wirklich anmuthiger Wirkung. Aber seltsamer
Weise ist das Silber hier und da wie in großen Tropfen zusammengeronnen.
Keine andere Gewalt als die des Feuers, in welchem unsere Framea einst ge¬
legen, kann dieß bewirkt haben. Noch seltsamer ist aber, daß diese Tropfen
nicht nach der natürlichen Abdachung der Lanzenspitze, also nach vorne ge¬
flossen sind, sondern gegen alle Gesetze der Physik rückwärts, gleichsam bergan.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/114>, abgerufen am 02.07.2024.