Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.digsten Schöpfungen des menschlichen Geistes hat nennen müssen. Die In¬ Selbst in unseren Localsammlungen "vaterländischer Alterthümer", in 13*
digsten Schöpfungen des menschlichen Geistes hat nennen müssen. Die In¬ Selbst in unseren Localsammlungen „vaterländischer Alterthümer", in 13*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286825"/> <p xml:id="ID_284" prev="#ID_283"> digsten Schöpfungen des menschlichen Geistes hat nennen müssen. Die In¬<lb/> schriften sind meist zu kurz und das System der Orthographie, begreiflich in<lb/> den Händen der Verfertiger, doch wohl meist Unfreier, vielleicht größentheils<lb/> fremder auf deutschen Boden geschleppter Gefangener, meist so naiv oder<lb/> corrupt, daß sich das freiere Gepräge der Sprachformen, wie sie jedem deut¬<lb/> schen Stamme eigenthümlich sich gestalteten, nur selten erkennen läßt. Daher<lb/> ist in dieser Hinsicht der Erklärung noch durchaus keine genügende Basis<lb/> gegeben, woza auch noch kommt, daß wir es muthmaßlich mit Sprachformen<lb/> zu thun haben, die älter sind als diejenigen, welche uns in unseren gewöhn¬<lb/> lichen schriftlichen Denkmälern — mit Ausnahme der gothischen — überliefert<lb/> worden sind. Es wäre nicht undenkbar, daß vieles, was aus der Zeit der lite¬<lb/> rarischen Zeugnisse unserer Sprache zur durchgreifenden Charakteristik gewisser<lb/> deutscher Mundarten gehört, z, B. das 2 für t, das ä für du bei den Ober¬<lb/> deutschen im Gegensatz zu allen andern deutschen Stämmen, damals noch<lb/> nicht durchgedrungen wäre oder vielleicht auch in dem einmal feststehenden,<lb/> für ein älteres Lautsystem eingerichteten Alphabet keinen adäquaten Ausdruck<lb/> gefunden hätte. Eben deshalb wäre es sehr ungerecht, schon jetzt etwa solche<lb/> Forderungen an die absolute Richtigkeit und Zuverlässigkeit der Erklärung<lb/> bis auf jedes Strichelchen und Pünktchen zu erheben, wie wir sie mit vollem<lb/> Rechte unsern gothischen Codices gegenüber nicht blos erheben, sondern auch<lb/> durchführen. Sind ja doch schon jene kurz zusammengedrängten Resultate<lb/> wichtig genug. Heiße man sie immerhin mehr negativ als positiv: es bleibt<lb/> schon sehr viel, wenn es auch nur etwas negatives ist, wenn ein ganzer<lb/> Knäuel von Confusion, ein wahrer gordischer Knoten von Dünkel, Halb-<lb/> wissereien und literarischem Schwindel mit dem blanken-Schwerte echter<lb/> Wissenschaft durchhauen wird. Lassen wir denen, die ihr bischen Geisteskraft<lb/> darauf verwandten, um ihn zu benutzen, das Vergnügen, die große That zu<lb/> bemäkeln und zu bemängeln. Sie wird wie jede andere fortzeugend immer<lb/> größere gebären und wenn wir erst statt etwa hundert, wie heute, drei-, vier¬<lb/> hundert solcher Inschriften vor uns haben, wird sich ein anderes Wort über<lb/> jede einzelne reden lassen. Es kann aber auch nicht fehlen, daß sehr bald eine<lb/> größere Zahl zu Tage kommt, nachdem einmal das Vorurtheil, daß es in<lb/> Deutschland selbst gar keine Runen geben könne, glänzend widerlegt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_285" next="#ID_286"> Selbst in unseren Localsammlungen „vaterländischer Alterthümer", in<lb/> diesen meist sehr unerquicklichen Rumpelkammern alter Scherben von Urnen,<lb/> Töpfen. Schalen, Bruchstücken von Waffen, Fetzen von Gewandstücken ze.<lb/> wird sich, wenn nur erst das Auge des wirklichen Forschers nicht mehr, wie<lb/> es das bisher mit einigem Rechte durfte, vornehm an diesen stummen Resten—<lb/> so hat sie Jacob Grimm genannt — vorüber geht, sehr viel von wirklich<lb/> lebendigen, klingenden Werthen finden. Auch nimmt die systematische wie</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 13*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0113]
digsten Schöpfungen des menschlichen Geistes hat nennen müssen. Die In¬
schriften sind meist zu kurz und das System der Orthographie, begreiflich in
den Händen der Verfertiger, doch wohl meist Unfreier, vielleicht größentheils
fremder auf deutschen Boden geschleppter Gefangener, meist so naiv oder
corrupt, daß sich das freiere Gepräge der Sprachformen, wie sie jedem deut¬
schen Stamme eigenthümlich sich gestalteten, nur selten erkennen läßt. Daher
ist in dieser Hinsicht der Erklärung noch durchaus keine genügende Basis
gegeben, woza auch noch kommt, daß wir es muthmaßlich mit Sprachformen
zu thun haben, die älter sind als diejenigen, welche uns in unseren gewöhn¬
lichen schriftlichen Denkmälern — mit Ausnahme der gothischen — überliefert
worden sind. Es wäre nicht undenkbar, daß vieles, was aus der Zeit der lite¬
rarischen Zeugnisse unserer Sprache zur durchgreifenden Charakteristik gewisser
deutscher Mundarten gehört, z, B. das 2 für t, das ä für du bei den Ober¬
deutschen im Gegensatz zu allen andern deutschen Stämmen, damals noch
nicht durchgedrungen wäre oder vielleicht auch in dem einmal feststehenden,
für ein älteres Lautsystem eingerichteten Alphabet keinen adäquaten Ausdruck
gefunden hätte. Eben deshalb wäre es sehr ungerecht, schon jetzt etwa solche
Forderungen an die absolute Richtigkeit und Zuverlässigkeit der Erklärung
bis auf jedes Strichelchen und Pünktchen zu erheben, wie wir sie mit vollem
Rechte unsern gothischen Codices gegenüber nicht blos erheben, sondern auch
durchführen. Sind ja doch schon jene kurz zusammengedrängten Resultate
wichtig genug. Heiße man sie immerhin mehr negativ als positiv: es bleibt
schon sehr viel, wenn es auch nur etwas negatives ist, wenn ein ganzer
Knäuel von Confusion, ein wahrer gordischer Knoten von Dünkel, Halb-
wissereien und literarischem Schwindel mit dem blanken-Schwerte echter
Wissenschaft durchhauen wird. Lassen wir denen, die ihr bischen Geisteskraft
darauf verwandten, um ihn zu benutzen, das Vergnügen, die große That zu
bemäkeln und zu bemängeln. Sie wird wie jede andere fortzeugend immer
größere gebären und wenn wir erst statt etwa hundert, wie heute, drei-, vier¬
hundert solcher Inschriften vor uns haben, wird sich ein anderes Wort über
jede einzelne reden lassen. Es kann aber auch nicht fehlen, daß sehr bald eine
größere Zahl zu Tage kommt, nachdem einmal das Vorurtheil, daß es in
Deutschland selbst gar keine Runen geben könne, glänzend widerlegt ist.
Selbst in unseren Localsammlungen „vaterländischer Alterthümer", in
diesen meist sehr unerquicklichen Rumpelkammern alter Scherben von Urnen,
Töpfen. Schalen, Bruchstücken von Waffen, Fetzen von Gewandstücken ze.
wird sich, wenn nur erst das Auge des wirklichen Forschers nicht mehr, wie
es das bisher mit einigem Rechte durfte, vornehm an diesen stummen Resten—
so hat sie Jacob Grimm genannt — vorüber geht, sehr viel von wirklich
lebendigen, klingenden Werthen finden. Auch nimmt die systematische wie
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