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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Auch das Eisen selbst zeigt deutliche Feuerspuren, aber auch nur unten am
Schaft, nicht oben an der Spitze. Daraus wird nicht phantcisirt, sondern
mit mathematischer Sicherheit folgendes geschlossen: Die Lanze stand aufrecht,
als sie das Feuer erfaßte. Sie ist aber nicht allein von ihm erfaßt worden.
Trümmer anderer Waffen und Geräthschaften, vielleicht auch Reste menschli¬
cher Asche zeigen, daß hier ein Leichenbrand stattgefunden hat und zwar
einer der seltenen und besonders ehrenvollen Art, wo der Todte stehend
verbrannt wurde. So ist es dem göttergleichen Besieger des Grendel und
des feuerspeienden Drachen, dem Goten Beowulf zu Theil geworden, wie der
Dichter erzählt, und so sehen wir es nicht als poetische Fiction, sondern als
schlichte Thatsache hier vor uns. Wer war aber dieser Todte? Jedenfalls ein
deutscher Held, denn woher sonst die deutsche Inschrift auf seinem Speer
und alles andere genau nach der Sitte unserer Vorzeit. Der Boden, den die
Asche bedeckte, ist aber Jahrhunderte lang von Slaven besetzt gewesen, denn
die Mark Brandenburg ist ja erst seit und durch Albrecht den Bären, den
Rivalen Heinrichs des Stolzen und Heinrichs des Löwen, unserem Volke
angewonnen worden. Der Todte muß also vor der Zeit, als der erste
Slavenfuß diese Ebene betrat, verbrannt worden sein. Wir können nicht
genau sagen, wann das war. nur soviel ist gewiß, es kann nicht später als
bis zum 5.. 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung geschehen sein. Aber alle
Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß es schon viel früher geschah. Denn der
deutsche Nordosten scheint sich schon in den ersten Jahrhunderten, vielleicht in
engem Zusammenhang mit dem gewaltigen Völkersturm an der Donau seit
etwa dem Jahre 150, den man den Marcomannischen Krieg nennt, bedeutend
geleert zu haben. Wenn die Slaven auch nicht sofort bei der Hand waren, sich
in das unbehütete deutsche Land einzuschleichen, so waren sie gewiß auch nicht
Jahrhunderte lang säumig. Nichts hindert uns in dem Träger dieser Lanze
einen Zeitgenossen Marc Aurels oder des Septimius Severus zu vermuthen.

Und dies alles, wie uns scheint, wahrlich ein hübsches Stück culturge¬
schichtlicher Ausbeute, sagt uns doch nur die Runenschrift. Ohne sie wäre es
eine Lanzenspitze, wie es deren tausende giebt, stumm und gleichgiltig. ein
bloßer Tummelplatz müßiger Phantastereien, ebensogut für die Faust eines
Slaven, wie eines Celten passend und je nach der Laune des Betrachters
dem einen oder dem andern zugeeignet. Denn auch dieser abgeschmackte Zopf
ist noch nicht ganz von den Köpfen unserer Antiquare verschwunden, daß sie
bei jedem Funde auf deutschem Boden immer zuerst an jede andere Möglich,
keit als an die nächste, gleichsam von Ehre und Gewissen zusammen empfoh¬
lene denken, ein deutsches Geräth, eine deutsche Waffe, ein deutsches Grab
vor sich zu haben.

Im Vergleich damit kommt uns wenig darauf an, ob die Deutung.


Auch das Eisen selbst zeigt deutliche Feuerspuren, aber auch nur unten am
Schaft, nicht oben an der Spitze. Daraus wird nicht phantcisirt, sondern
mit mathematischer Sicherheit folgendes geschlossen: Die Lanze stand aufrecht,
als sie das Feuer erfaßte. Sie ist aber nicht allein von ihm erfaßt worden.
Trümmer anderer Waffen und Geräthschaften, vielleicht auch Reste menschli¬
cher Asche zeigen, daß hier ein Leichenbrand stattgefunden hat und zwar
einer der seltenen und besonders ehrenvollen Art, wo der Todte stehend
verbrannt wurde. So ist es dem göttergleichen Besieger des Grendel und
des feuerspeienden Drachen, dem Goten Beowulf zu Theil geworden, wie der
Dichter erzählt, und so sehen wir es nicht als poetische Fiction, sondern als
schlichte Thatsache hier vor uns. Wer war aber dieser Todte? Jedenfalls ein
deutscher Held, denn woher sonst die deutsche Inschrift auf seinem Speer
und alles andere genau nach der Sitte unserer Vorzeit. Der Boden, den die
Asche bedeckte, ist aber Jahrhunderte lang von Slaven besetzt gewesen, denn
die Mark Brandenburg ist ja erst seit und durch Albrecht den Bären, den
Rivalen Heinrichs des Stolzen und Heinrichs des Löwen, unserem Volke
angewonnen worden. Der Todte muß also vor der Zeit, als der erste
Slavenfuß diese Ebene betrat, verbrannt worden sein. Wir können nicht
genau sagen, wann das war. nur soviel ist gewiß, es kann nicht später als
bis zum 5.. 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung geschehen sein. Aber alle
Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß es schon viel früher geschah. Denn der
deutsche Nordosten scheint sich schon in den ersten Jahrhunderten, vielleicht in
engem Zusammenhang mit dem gewaltigen Völkersturm an der Donau seit
etwa dem Jahre 150, den man den Marcomannischen Krieg nennt, bedeutend
geleert zu haben. Wenn die Slaven auch nicht sofort bei der Hand waren, sich
in das unbehütete deutsche Land einzuschleichen, so waren sie gewiß auch nicht
Jahrhunderte lang säumig. Nichts hindert uns in dem Träger dieser Lanze
einen Zeitgenossen Marc Aurels oder des Septimius Severus zu vermuthen.

Und dies alles, wie uns scheint, wahrlich ein hübsches Stück culturge¬
schichtlicher Ausbeute, sagt uns doch nur die Runenschrift. Ohne sie wäre es
eine Lanzenspitze, wie es deren tausende giebt, stumm und gleichgiltig. ein
bloßer Tummelplatz müßiger Phantastereien, ebensogut für die Faust eines
Slaven, wie eines Celten passend und je nach der Laune des Betrachters
dem einen oder dem andern zugeeignet. Denn auch dieser abgeschmackte Zopf
ist noch nicht ganz von den Köpfen unserer Antiquare verschwunden, daß sie
bei jedem Funde auf deutschem Boden immer zuerst an jede andere Möglich,
keit als an die nächste, gleichsam von Ehre und Gewissen zusammen empfoh¬
lene denken, ein deutsches Geräth, eine deutsche Waffe, ein deutsches Grab
vor sich zu haben.

Im Vergleich damit kommt uns wenig darauf an, ob die Deutung.


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[0115] Auch das Eisen selbst zeigt deutliche Feuerspuren, aber auch nur unten am Schaft, nicht oben an der Spitze. Daraus wird nicht phantcisirt, sondern mit mathematischer Sicherheit folgendes geschlossen: Die Lanze stand aufrecht, als sie das Feuer erfaßte. Sie ist aber nicht allein von ihm erfaßt worden. Trümmer anderer Waffen und Geräthschaften, vielleicht auch Reste menschli¬ cher Asche zeigen, daß hier ein Leichenbrand stattgefunden hat und zwar einer der seltenen und besonders ehrenvollen Art, wo der Todte stehend verbrannt wurde. So ist es dem göttergleichen Besieger des Grendel und des feuerspeienden Drachen, dem Goten Beowulf zu Theil geworden, wie der Dichter erzählt, und so sehen wir es nicht als poetische Fiction, sondern als schlichte Thatsache hier vor uns. Wer war aber dieser Todte? Jedenfalls ein deutscher Held, denn woher sonst die deutsche Inschrift auf seinem Speer und alles andere genau nach der Sitte unserer Vorzeit. Der Boden, den die Asche bedeckte, ist aber Jahrhunderte lang von Slaven besetzt gewesen, denn die Mark Brandenburg ist ja erst seit und durch Albrecht den Bären, den Rivalen Heinrichs des Stolzen und Heinrichs des Löwen, unserem Volke angewonnen worden. Der Todte muß also vor der Zeit, als der erste Slavenfuß diese Ebene betrat, verbrannt worden sein. Wir können nicht genau sagen, wann das war. nur soviel ist gewiß, es kann nicht später als bis zum 5.. 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung geschehen sein. Aber alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß es schon viel früher geschah. Denn der deutsche Nordosten scheint sich schon in den ersten Jahrhunderten, vielleicht in engem Zusammenhang mit dem gewaltigen Völkersturm an der Donau seit etwa dem Jahre 150, den man den Marcomannischen Krieg nennt, bedeutend geleert zu haben. Wenn die Slaven auch nicht sofort bei der Hand waren, sich in das unbehütete deutsche Land einzuschleichen, so waren sie gewiß auch nicht Jahrhunderte lang säumig. Nichts hindert uns in dem Träger dieser Lanze einen Zeitgenossen Marc Aurels oder des Septimius Severus zu vermuthen. Und dies alles, wie uns scheint, wahrlich ein hübsches Stück culturge¬ schichtlicher Ausbeute, sagt uns doch nur die Runenschrift. Ohne sie wäre es eine Lanzenspitze, wie es deren tausende giebt, stumm und gleichgiltig. ein bloßer Tummelplatz müßiger Phantastereien, ebensogut für die Faust eines Slaven, wie eines Celten passend und je nach der Laune des Betrachters dem einen oder dem andern zugeeignet. Denn auch dieser abgeschmackte Zopf ist noch nicht ganz von den Köpfen unserer Antiquare verschwunden, daß sie bei jedem Funde auf deutschem Boden immer zuerst an jede andere Möglich, keit als an die nächste, gleichsam von Ehre und Gewissen zusammen empfoh¬ lene denken, ein deutsches Geräth, eine deutsche Waffe, ein deutsches Grab vor sich zu haben. Im Vergleich damit kommt uns wenig darauf an, ob die Deutung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/115>, abgerufen am 02.07.2024.