Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hin läßt sich aber nicht einmal mit annähernder Sicherheit bestimmen. Mag
nun in der Deutung jeder einzelnen dieser fünf und fünfzig Runeninschriften
manches noch billigem Zweifel unterliegen, so sind doch diese einstweilen ge¬
wonnenen sicheren Resultate von geradezu durchschlagender Wichtigkeit. Schon
damit war das ganze Gebäude, der skandinavischen Prätension nicht bloß
erschüttert, sondern über den Haufen geworfen.

Aber wie ein Fund andere nach sich zu ziehen pflegt, so tauchten noch
andere Runen an den verschiedensten Orten aus, von denen einige, wie die
sogenannten normannischen, sich zwar bald genug als lächerliche Betrügereien
enthüllten, die meisten aber in die Reihe der wichtigsten Denkmäler unserer
Vorzeit treten durften. So jener schwere Goldring aus der Walachei, jetzt
in Museum zu Bukarest, dessen Entzifferung Wilhelm Grimm ziemlich am
Ende seiner Tage und länger als ein Menschenalter nach seinem ersten Aus¬
lauf auf dieses klippenreiche Meer noch vergönnt war, so jener überschwänglich
reiche Schatz von Goldgefäßen aller Art, wahrscheinlich der Hort eines ge-
pidischen Königs, der im Banat zum Vorschein kam und sich jetzt in Wien be¬
findet, so die Spange von Charnay in Burgund, welche zwar schon 1832
gefunden ist, deren Runen aber, wie begreiflich, viele Jahre ganz übersehen
worden waren; außerdem noch eine Anzahl anderer Spangen, Thonscheiben.
, Becher u. s. w. aus allen Theilen von Deutschland, namentlich aus Süd¬
deutschland, wo man am allerwenigsten auf solche zu stoßen gefaßt war, --
hatte man sich doch von den kopenhagener Meistern einreden lassen, Runen
könnten überhaupt nur da gefunden werden, wo Skandinavier auf ihren
Beutezügen oder als Ansiedler hingekommen feien. Der letzte Fund und
in mancher Hinsicht der interessanteste stammt aus der Mark Branden¬
burg und zwar recht aus ihrer Mitte, zwischen Berlin und Frankfurt. Es
ist eine "Speerspitze" von trefflicher Erhaltung, vielleicht mit den schönsten
und deutlichsten Runen, die sich überhaupt finden. Doch giebt sich später
bessere Gelegenheit darauf einzugehen. Kein Zweifel, daß jeder Tag neues
bringen kann, denn jetzt ist das Auge vieler dafür erschlossen und was
noch mehr ist, der Glaube, daß mit den Runen nicht bloß wissenschaftlicher
Schwindel getrieben werde, hat sich, seitdem gediegene und gewissenhafte deut¬
sche Forschung sich des Gegenstandes angenommen, wieder befestigen können.
Denn es gab allerdings eine Periode und sie existirt für die gesammte von
allen Skandinaviern ohne Ausnahme noch heute betriebene Runenlesung bis
zu dieser Stunde, wo man es keinem verargen konnte, wenn er seine Kraft
und Zeit nicht an eine so hohle Aufgabe wegwerfen wollte.

Das allgemeine feststehende Ergebniß aller dieser glücklichen Entdeckungen
läßt sich nun kurz dahin formuliren, daß es, wie schon auf dem enger be¬
grenzten Gebiete der Runenbracteaten sich herausgestellt hat, in den ver-


Vrenzbolen III. 18os. 12

hin läßt sich aber nicht einmal mit annähernder Sicherheit bestimmen. Mag
nun in der Deutung jeder einzelnen dieser fünf und fünfzig Runeninschriften
manches noch billigem Zweifel unterliegen, so sind doch diese einstweilen ge¬
wonnenen sicheren Resultate von geradezu durchschlagender Wichtigkeit. Schon
damit war das ganze Gebäude, der skandinavischen Prätension nicht bloß
erschüttert, sondern über den Haufen geworfen.

Aber wie ein Fund andere nach sich zu ziehen pflegt, so tauchten noch
andere Runen an den verschiedensten Orten aus, von denen einige, wie die
sogenannten normannischen, sich zwar bald genug als lächerliche Betrügereien
enthüllten, die meisten aber in die Reihe der wichtigsten Denkmäler unserer
Vorzeit treten durften. So jener schwere Goldring aus der Walachei, jetzt
in Museum zu Bukarest, dessen Entzifferung Wilhelm Grimm ziemlich am
Ende seiner Tage und länger als ein Menschenalter nach seinem ersten Aus¬
lauf auf dieses klippenreiche Meer noch vergönnt war, so jener überschwänglich
reiche Schatz von Goldgefäßen aller Art, wahrscheinlich der Hort eines ge-
pidischen Königs, der im Banat zum Vorschein kam und sich jetzt in Wien be¬
findet, so die Spange von Charnay in Burgund, welche zwar schon 1832
gefunden ist, deren Runen aber, wie begreiflich, viele Jahre ganz übersehen
worden waren; außerdem noch eine Anzahl anderer Spangen, Thonscheiben.
, Becher u. s. w. aus allen Theilen von Deutschland, namentlich aus Süd¬
deutschland, wo man am allerwenigsten auf solche zu stoßen gefaßt war, —
hatte man sich doch von den kopenhagener Meistern einreden lassen, Runen
könnten überhaupt nur da gefunden werden, wo Skandinavier auf ihren
Beutezügen oder als Ansiedler hingekommen feien. Der letzte Fund und
in mancher Hinsicht der interessanteste stammt aus der Mark Branden¬
burg und zwar recht aus ihrer Mitte, zwischen Berlin und Frankfurt. Es
ist eine „Speerspitze" von trefflicher Erhaltung, vielleicht mit den schönsten
und deutlichsten Runen, die sich überhaupt finden. Doch giebt sich später
bessere Gelegenheit darauf einzugehen. Kein Zweifel, daß jeder Tag neues
bringen kann, denn jetzt ist das Auge vieler dafür erschlossen und was
noch mehr ist, der Glaube, daß mit den Runen nicht bloß wissenschaftlicher
Schwindel getrieben werde, hat sich, seitdem gediegene und gewissenhafte deut¬
sche Forschung sich des Gegenstandes angenommen, wieder befestigen können.
Denn es gab allerdings eine Periode und sie existirt für die gesammte von
allen Skandinaviern ohne Ausnahme noch heute betriebene Runenlesung bis
zu dieser Stunde, wo man es keinem verargen konnte, wenn er seine Kraft
und Zeit nicht an eine so hohle Aufgabe wegwerfen wollte.

Das allgemeine feststehende Ergebniß aller dieser glücklichen Entdeckungen
läßt sich nun kurz dahin formuliren, daß es, wie schon auf dem enger be¬
grenzten Gebiete der Runenbracteaten sich herausgestellt hat, in den ver-


Vrenzbolen III. 18os. 12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286823"/>
          <p xml:id="ID_278" prev="#ID_277"> hin läßt sich aber nicht einmal mit annähernder Sicherheit bestimmen. Mag<lb/>
nun in der Deutung jeder einzelnen dieser fünf und fünfzig Runeninschriften<lb/>
manches noch billigem Zweifel unterliegen, so sind doch diese einstweilen ge¬<lb/>
wonnenen sicheren Resultate von geradezu durchschlagender Wichtigkeit. Schon<lb/>
damit war das ganze Gebäude, der skandinavischen Prätension nicht bloß<lb/>
erschüttert, sondern über den Haufen geworfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_279"> Aber wie ein Fund andere nach sich zu ziehen pflegt, so tauchten noch<lb/>
andere Runen an den verschiedensten Orten aus, von denen einige, wie die<lb/>
sogenannten normannischen, sich zwar bald genug als lächerliche Betrügereien<lb/>
enthüllten, die meisten aber in die Reihe der wichtigsten Denkmäler unserer<lb/>
Vorzeit treten durften. So jener schwere Goldring aus der Walachei, jetzt<lb/>
in Museum zu Bukarest, dessen Entzifferung Wilhelm Grimm ziemlich am<lb/>
Ende seiner Tage und länger als ein Menschenalter nach seinem ersten Aus¬<lb/>
lauf auf dieses klippenreiche Meer noch vergönnt war, so jener überschwänglich<lb/>
reiche Schatz von Goldgefäßen aller Art, wahrscheinlich der Hort eines ge-<lb/>
pidischen Königs, der im Banat zum Vorschein kam und sich jetzt in Wien be¬<lb/>
findet, so die Spange von Charnay in Burgund, welche zwar schon 1832<lb/>
gefunden ist, deren Runen aber, wie begreiflich, viele Jahre ganz übersehen<lb/>
worden waren; außerdem noch eine Anzahl anderer Spangen, Thonscheiben.<lb/>
, Becher u. s. w. aus allen Theilen von Deutschland, namentlich aus Süd¬<lb/>
deutschland, wo man am allerwenigsten auf solche zu stoßen gefaßt war, &#x2014;<lb/>
hatte man sich doch von den kopenhagener Meistern einreden lassen, Runen<lb/>
könnten überhaupt nur da gefunden werden, wo Skandinavier auf ihren<lb/>
Beutezügen oder als Ansiedler hingekommen feien. Der letzte Fund und<lb/>
in mancher Hinsicht der interessanteste stammt aus der Mark Branden¬<lb/>
burg und zwar recht aus ihrer Mitte, zwischen Berlin und Frankfurt. Es<lb/>
ist eine &#x201E;Speerspitze" von trefflicher Erhaltung, vielleicht mit den schönsten<lb/>
und deutlichsten Runen, die sich überhaupt finden. Doch giebt sich später<lb/>
bessere Gelegenheit darauf einzugehen. Kein Zweifel, daß jeder Tag neues<lb/>
bringen kann, denn jetzt ist das Auge vieler dafür erschlossen und was<lb/>
noch mehr ist, der Glaube, daß mit den Runen nicht bloß wissenschaftlicher<lb/>
Schwindel getrieben werde, hat sich, seitdem gediegene und gewissenhafte deut¬<lb/>
sche Forschung sich des Gegenstandes angenommen, wieder befestigen können.<lb/>
Denn es gab allerdings eine Periode und sie existirt für die gesammte von<lb/>
allen Skandinaviern ohne Ausnahme noch heute betriebene Runenlesung bis<lb/>
zu dieser Stunde, wo man es keinem verargen konnte, wenn er seine Kraft<lb/>
und Zeit nicht an eine so hohle Aufgabe wegwerfen wollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_280" next="#ID_281"> Das allgemeine feststehende Ergebniß aller dieser glücklichen Entdeckungen<lb/>
läßt sich nun kurz dahin formuliren, daß es, wie schon auf dem enger be¬<lb/>
grenzten Gebiete der Runenbracteaten sich herausgestellt hat, in den ver-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Vrenzbolen III. 18os. 12</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0111] hin läßt sich aber nicht einmal mit annähernder Sicherheit bestimmen. Mag nun in der Deutung jeder einzelnen dieser fünf und fünfzig Runeninschriften manches noch billigem Zweifel unterliegen, so sind doch diese einstweilen ge¬ wonnenen sicheren Resultate von geradezu durchschlagender Wichtigkeit. Schon damit war das ganze Gebäude, der skandinavischen Prätension nicht bloß erschüttert, sondern über den Haufen geworfen. Aber wie ein Fund andere nach sich zu ziehen pflegt, so tauchten noch andere Runen an den verschiedensten Orten aus, von denen einige, wie die sogenannten normannischen, sich zwar bald genug als lächerliche Betrügereien enthüllten, die meisten aber in die Reihe der wichtigsten Denkmäler unserer Vorzeit treten durften. So jener schwere Goldring aus der Walachei, jetzt in Museum zu Bukarest, dessen Entzifferung Wilhelm Grimm ziemlich am Ende seiner Tage und länger als ein Menschenalter nach seinem ersten Aus¬ lauf auf dieses klippenreiche Meer noch vergönnt war, so jener überschwänglich reiche Schatz von Goldgefäßen aller Art, wahrscheinlich der Hort eines ge- pidischen Königs, der im Banat zum Vorschein kam und sich jetzt in Wien be¬ findet, so die Spange von Charnay in Burgund, welche zwar schon 1832 gefunden ist, deren Runen aber, wie begreiflich, viele Jahre ganz übersehen worden waren; außerdem noch eine Anzahl anderer Spangen, Thonscheiben. , Becher u. s. w. aus allen Theilen von Deutschland, namentlich aus Süd¬ deutschland, wo man am allerwenigsten auf solche zu stoßen gefaßt war, — hatte man sich doch von den kopenhagener Meistern einreden lassen, Runen könnten überhaupt nur da gefunden werden, wo Skandinavier auf ihren Beutezügen oder als Ansiedler hingekommen feien. Der letzte Fund und in mancher Hinsicht der interessanteste stammt aus der Mark Branden¬ burg und zwar recht aus ihrer Mitte, zwischen Berlin und Frankfurt. Es ist eine „Speerspitze" von trefflicher Erhaltung, vielleicht mit den schönsten und deutlichsten Runen, die sich überhaupt finden. Doch giebt sich später bessere Gelegenheit darauf einzugehen. Kein Zweifel, daß jeder Tag neues bringen kann, denn jetzt ist das Auge vieler dafür erschlossen und was noch mehr ist, der Glaube, daß mit den Runen nicht bloß wissenschaftlicher Schwindel getrieben werde, hat sich, seitdem gediegene und gewissenhafte deut¬ sche Forschung sich des Gegenstandes angenommen, wieder befestigen können. Denn es gab allerdings eine Periode und sie existirt für die gesammte von allen Skandinaviern ohne Ausnahme noch heute betriebene Runenlesung bis zu dieser Stunde, wo man es keinem verargen konnte, wenn er seine Kraft und Zeit nicht an eine so hohle Aufgabe wegwerfen wollte. Das allgemeine feststehende Ergebniß aller dieser glücklichen Entdeckungen läßt sich nun kurz dahin formuliren, daß es, wie schon auf dem enger be¬ grenzten Gebiete der Runenbracteaten sich herausgestellt hat, in den ver- Vrenzbolen III. 18os. 12

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/111
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/111>, abgerufen am 02.07.2024.