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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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versehen und dadurch concav oder schüsselförmig gestaltet, während sie auf der
convexen Außenseite nur das nackte Metall zeigen. Sie hatten sich theils
in Skandinavien, theils auch in verschiedenen norddeutschen Ländern gefun¬
den und waren meist ins Kopenhagner Museum gewandert, wo sie natürlich
als kräftige Beweismittel für die dort allein geduldete Theorie über den
"ausschließlich nordischen Charakter aller Runen" gelten mußten. Denn ihre
Inschriften, die eben jenen angeblich angelsächsischen Runentypus trugen,
waren von den Weisen des Landes alle entziffert und erklärt und als echt
nordisch befunden. Wollre ein schüchterner deutscher Forscher einmal ein
solches Kleinod in die Hand nehmen, so wußte man ihm mit der lan¬
desüblichen geschmeidigen Höflichkeit Sand in die Augen zu streuen und
seinen Zweck zu vereiteln. Zum Glück sind späterhin aber doch noch einige
gleichartige Stücke in Deutschland aufgetaucht und daselbst geblieben und
allmählich auch die meisten der im Norden gefundenen oder dorthin verkauf¬
ten durch genügende Abbildungen allgemein zugänglich gemacht worden.
Denn die Sucht mit ihren Schätzen zu renommiren hat, wie es scheint, end¬
lich auch die nationalen "Empfindlichkeiten" der Dänen überwunden, welche
begreiflicher Weise bei jedem andern Deutungsversuche auss höchste gereizt
werden mußten.

Aus diesem Material hat sich der erste große positive Fortschritt er¬
geben, und es ist das Verdienst von Franz Dietrich in Marburg, ihn
kühn und kräftig gethan zu haben, nachdem schon andere deutsche Forscher
vor ihm, namentlich Müllenhoff im einzelnen Fall das richtige gesehen hatten.
Dietrich wies nach, daß alle bis jetzt bekannten, Nunen tragenden Goldbrak-
teaten gleichen Ursprungs, aus einer gemeinsame Prägestätte hervorgegan¬
gen seien, daß das Alphabet ihrer Nunen im wesentlichen ein und dasselbe
sei und daß es eine viel alterthümlichere Gestaltung habe nicht bloß als das
kürzere gewöhnliche nordische, sondern auch als .jene ausführlicheren, die man
nach ihrem bisher häufigsten Vorkommen einstweilen noch angelsächsisch
nennen mag. Die Sprache zeigt sich durchweg als ein und dieselbe, natür¬
lich als eine germanische, aber so weit als möglich von dem skandinavischen
oder altnordischen Typus entfernt. Sie trägt alle wesentlichen Eigenthüm¬
lichkeiten des continental Germanischen oder Deutschen im engern Sinne, ist
also z. B. auch nicht gothisch oder angelsächsisch, obgleich mit dem einen wie
mit dem andern viel näher verwandt als mit dem altnordischen. So weit
unsere exacte Sprachgeschichtsforschung über das weitere Ausschluß geben kann,
läßt sich nur sagen, daß es eine Mundart gewesen sein muß, die älter ist,
als alle die, welche wir in germanischen Schriftdenkmälern, die gothischen
ausgenommen, kennen, also wenn weitherabgerückt, dem sechsten oder sieben¬
ten Jahrhundert unserer Zeitrechnung angehörig. Eine Grenze nach rückwärts


versehen und dadurch concav oder schüsselförmig gestaltet, während sie auf der
convexen Außenseite nur das nackte Metall zeigen. Sie hatten sich theils
in Skandinavien, theils auch in verschiedenen norddeutschen Ländern gefun¬
den und waren meist ins Kopenhagner Museum gewandert, wo sie natürlich
als kräftige Beweismittel für die dort allein geduldete Theorie über den
„ausschließlich nordischen Charakter aller Runen" gelten mußten. Denn ihre
Inschriften, die eben jenen angeblich angelsächsischen Runentypus trugen,
waren von den Weisen des Landes alle entziffert und erklärt und als echt
nordisch befunden. Wollre ein schüchterner deutscher Forscher einmal ein
solches Kleinod in die Hand nehmen, so wußte man ihm mit der lan¬
desüblichen geschmeidigen Höflichkeit Sand in die Augen zu streuen und
seinen Zweck zu vereiteln. Zum Glück sind späterhin aber doch noch einige
gleichartige Stücke in Deutschland aufgetaucht und daselbst geblieben und
allmählich auch die meisten der im Norden gefundenen oder dorthin verkauf¬
ten durch genügende Abbildungen allgemein zugänglich gemacht worden.
Denn die Sucht mit ihren Schätzen zu renommiren hat, wie es scheint, end¬
lich auch die nationalen „Empfindlichkeiten" der Dänen überwunden, welche
begreiflicher Weise bei jedem andern Deutungsversuche auss höchste gereizt
werden mußten.

Aus diesem Material hat sich der erste große positive Fortschritt er¬
geben, und es ist das Verdienst von Franz Dietrich in Marburg, ihn
kühn und kräftig gethan zu haben, nachdem schon andere deutsche Forscher
vor ihm, namentlich Müllenhoff im einzelnen Fall das richtige gesehen hatten.
Dietrich wies nach, daß alle bis jetzt bekannten, Nunen tragenden Goldbrak-
teaten gleichen Ursprungs, aus einer gemeinsame Prägestätte hervorgegan¬
gen seien, daß das Alphabet ihrer Nunen im wesentlichen ein und dasselbe
sei und daß es eine viel alterthümlichere Gestaltung habe nicht bloß als das
kürzere gewöhnliche nordische, sondern auch als .jene ausführlicheren, die man
nach ihrem bisher häufigsten Vorkommen einstweilen noch angelsächsisch
nennen mag. Die Sprache zeigt sich durchweg als ein und dieselbe, natür¬
lich als eine germanische, aber so weit als möglich von dem skandinavischen
oder altnordischen Typus entfernt. Sie trägt alle wesentlichen Eigenthüm¬
lichkeiten des continental Germanischen oder Deutschen im engern Sinne, ist
also z. B. auch nicht gothisch oder angelsächsisch, obgleich mit dem einen wie
mit dem andern viel näher verwandt als mit dem altnordischen. So weit
unsere exacte Sprachgeschichtsforschung über das weitere Ausschluß geben kann,
läßt sich nur sagen, daß es eine Mundart gewesen sein muß, die älter ist,
als alle die, welche wir in germanischen Schriftdenkmälern, die gothischen
ausgenommen, kennen, also wenn weitherabgerückt, dem sechsten oder sieben¬
ten Jahrhundert unserer Zeitrechnung angehörig. Eine Grenze nach rückwärts


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[0110] versehen und dadurch concav oder schüsselförmig gestaltet, während sie auf der convexen Außenseite nur das nackte Metall zeigen. Sie hatten sich theils in Skandinavien, theils auch in verschiedenen norddeutschen Ländern gefun¬ den und waren meist ins Kopenhagner Museum gewandert, wo sie natürlich als kräftige Beweismittel für die dort allein geduldete Theorie über den „ausschließlich nordischen Charakter aller Runen" gelten mußten. Denn ihre Inschriften, die eben jenen angeblich angelsächsischen Runentypus trugen, waren von den Weisen des Landes alle entziffert und erklärt und als echt nordisch befunden. Wollre ein schüchterner deutscher Forscher einmal ein solches Kleinod in die Hand nehmen, so wußte man ihm mit der lan¬ desüblichen geschmeidigen Höflichkeit Sand in die Augen zu streuen und seinen Zweck zu vereiteln. Zum Glück sind späterhin aber doch noch einige gleichartige Stücke in Deutschland aufgetaucht und daselbst geblieben und allmählich auch die meisten der im Norden gefundenen oder dorthin verkauf¬ ten durch genügende Abbildungen allgemein zugänglich gemacht worden. Denn die Sucht mit ihren Schätzen zu renommiren hat, wie es scheint, end¬ lich auch die nationalen „Empfindlichkeiten" der Dänen überwunden, welche begreiflicher Weise bei jedem andern Deutungsversuche auss höchste gereizt werden mußten. Aus diesem Material hat sich der erste große positive Fortschritt er¬ geben, und es ist das Verdienst von Franz Dietrich in Marburg, ihn kühn und kräftig gethan zu haben, nachdem schon andere deutsche Forscher vor ihm, namentlich Müllenhoff im einzelnen Fall das richtige gesehen hatten. Dietrich wies nach, daß alle bis jetzt bekannten, Nunen tragenden Goldbrak- teaten gleichen Ursprungs, aus einer gemeinsame Prägestätte hervorgegan¬ gen seien, daß das Alphabet ihrer Nunen im wesentlichen ein und dasselbe sei und daß es eine viel alterthümlichere Gestaltung habe nicht bloß als das kürzere gewöhnliche nordische, sondern auch als .jene ausführlicheren, die man nach ihrem bisher häufigsten Vorkommen einstweilen noch angelsächsisch nennen mag. Die Sprache zeigt sich durchweg als ein und dieselbe, natür¬ lich als eine germanische, aber so weit als möglich von dem skandinavischen oder altnordischen Typus entfernt. Sie trägt alle wesentlichen Eigenthüm¬ lichkeiten des continental Germanischen oder Deutschen im engern Sinne, ist also z. B. auch nicht gothisch oder angelsächsisch, obgleich mit dem einen wie mit dem andern viel näher verwandt als mit dem altnordischen. So weit unsere exacte Sprachgeschichtsforschung über das weitere Ausschluß geben kann, läßt sich nur sagen, daß es eine Mundart gewesen sein muß, die älter ist, als alle die, welche wir in germanischen Schriftdenkmälern, die gothischen ausgenommen, kennen, also wenn weitherabgerückt, dem sechsten oder sieben¬ ten Jahrhundert unserer Zeitrechnung angehörig. Eine Grenze nach rückwärts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/110>, abgerufen am 02.07.2024.