Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vielleicht in einem der uns hauptsächlich überlieferten ausführlicheren Alpha¬
bete, in dem sogenannten Markomannischen oder Nordmannischen des Hra-
banus Maurus das Uralphabet besäßen, aus welchem die angelsächsischen
sämmtlich abgeleitet werden möchten, war zum erstenmale klar und bestimmt
erkannt, daß nicht in dem skandinavischen Norden allein die Heimath der
Runen zu suchen sei, sondern auch in Deutschland. Wie die Sachsen von
der Elbe her ihre deutsche Sprache einst mit hinüber nach Britannien ge¬
nommen und dort nichts weiter daran verändert hatten, als was sich von selbst
an einer lebendigen Sprache verändert, so war auch die Schrift für diese
Sprache etwas schon uralt gegebenes. Wenn aber erst die Zusammengehörig¬
keit dieser Runenschrift mit der Sprache d es Volkes, unter dem sie im Gebrauche
war, fest ins Auge gefaßt wurde, war der größte Fortschritt, der in der
Runenkunde überhaupt gemacht werden konnte, gethan. Seit Jacob Grimms
deutsche Grammatik erschienen war, wenn auch nur in ihrer ersten gleichsam
andeutenden Gestalt von 1819, gehörte allerdings nur die genaue Bekannt¬
schaft mit diesem Buche dazu, um über das Verhältniß des Angelsächsischen
zu anderen deutschen Sprachen klar zu sehen. Bis dahin hatte auch
in diesem Punkte Confusion geherrscht, wie in allen Dingen, die sich
auf das genealogische Verhältniß der einzelnen Aeste des deutschen Sprach¬
stammes bezogen. Die Engländer selbst zwar hatten einst in einer für ihre
Alterthumskunde fruchtbareren Zeit, als die der ersten Hälste oder des ersten
Drittels unseres Jahrhunderts gewesen ist, in der Periode der Franz, Junius,
Hickes und Wcmley hierüber im ganzen richtig geurtheilt, wenn auch im
einzelnen Manches im Nebel polyhiflorischer Kritiklosigkeit eine wunderlich ver¬
schobene Gestalt angenommen hatte. Die nächste Zusammengehörigkeit, ja
die völlige Identität ihrer eigenen alten Sprache, der angelsächsischen, mit
der altdeutschen, nach dem damaligen engen Begriff, den man mit diesem Aus¬
drucke verband, Gothisch, Althochdeutsch, auch das wenige was man vom
Altniederdeutschen wußte umfassend -- stand sür sie fest. Aber seitdem war
diese in der Hauptsache richtige Einsicht sehr verdunkelt worden, zum großen
Theil durch die systematische Propaganda, welche die skandinavischen Gelehrten
für die Supermatie ihrer altnordischen Sprache in Scene setzten. War es
ja noch wenige Jahre vor dem Erscheinen der deutschen Grammatik (1815)
möglich, daß der Kopenhagener Thorkelin den ersten Druck des angelsächsi¬
schen großen Volksepos, das Beowulf, unter folgendem Titel erscheinen lassen
konnte: v" vkmvl-um rc-dus Zestis Kveal. III et IV posmg, va-nienen clialeetn
^rigloKaxomeÄ. Wie zu erwarten war, stand freilich das Ergebniß in richtigem
Verhältniß zu dein eingenommenen Standpunkt, denn fast jedes Wort des
Textes mußte sich, um dänisch zu werden, die wunderlichsten, oft geradezu
abenteuerlichen Verrenkungen und Entstellungen gefallen lassen. Und bis


vielleicht in einem der uns hauptsächlich überlieferten ausführlicheren Alpha¬
bete, in dem sogenannten Markomannischen oder Nordmannischen des Hra-
banus Maurus das Uralphabet besäßen, aus welchem die angelsächsischen
sämmtlich abgeleitet werden möchten, war zum erstenmale klar und bestimmt
erkannt, daß nicht in dem skandinavischen Norden allein die Heimath der
Runen zu suchen sei, sondern auch in Deutschland. Wie die Sachsen von
der Elbe her ihre deutsche Sprache einst mit hinüber nach Britannien ge¬
nommen und dort nichts weiter daran verändert hatten, als was sich von selbst
an einer lebendigen Sprache verändert, so war auch die Schrift für diese
Sprache etwas schon uralt gegebenes. Wenn aber erst die Zusammengehörig¬
keit dieser Runenschrift mit der Sprache d es Volkes, unter dem sie im Gebrauche
war, fest ins Auge gefaßt wurde, war der größte Fortschritt, der in der
Runenkunde überhaupt gemacht werden konnte, gethan. Seit Jacob Grimms
deutsche Grammatik erschienen war, wenn auch nur in ihrer ersten gleichsam
andeutenden Gestalt von 1819, gehörte allerdings nur die genaue Bekannt¬
schaft mit diesem Buche dazu, um über das Verhältniß des Angelsächsischen
zu anderen deutschen Sprachen klar zu sehen. Bis dahin hatte auch
in diesem Punkte Confusion geherrscht, wie in allen Dingen, die sich
auf das genealogische Verhältniß der einzelnen Aeste des deutschen Sprach¬
stammes bezogen. Die Engländer selbst zwar hatten einst in einer für ihre
Alterthumskunde fruchtbareren Zeit, als die der ersten Hälste oder des ersten
Drittels unseres Jahrhunderts gewesen ist, in der Periode der Franz, Junius,
Hickes und Wcmley hierüber im ganzen richtig geurtheilt, wenn auch im
einzelnen Manches im Nebel polyhiflorischer Kritiklosigkeit eine wunderlich ver¬
schobene Gestalt angenommen hatte. Die nächste Zusammengehörigkeit, ja
die völlige Identität ihrer eigenen alten Sprache, der angelsächsischen, mit
der altdeutschen, nach dem damaligen engen Begriff, den man mit diesem Aus¬
drucke verband, Gothisch, Althochdeutsch, auch das wenige was man vom
Altniederdeutschen wußte umfassend — stand sür sie fest. Aber seitdem war
diese in der Hauptsache richtige Einsicht sehr verdunkelt worden, zum großen
Theil durch die systematische Propaganda, welche die skandinavischen Gelehrten
für die Supermatie ihrer altnordischen Sprache in Scene setzten. War es
ja noch wenige Jahre vor dem Erscheinen der deutschen Grammatik (1815)
möglich, daß der Kopenhagener Thorkelin den ersten Druck des angelsächsi¬
schen großen Volksepos, das Beowulf, unter folgendem Titel erscheinen lassen
konnte: v« vkmvl-um rc-dus Zestis Kveal. III et IV posmg, va-nienen clialeetn
^rigloKaxomeÄ. Wie zu erwarten war, stand freilich das Ergebniß in richtigem
Verhältniß zu dein eingenommenen Standpunkt, denn fast jedes Wort des
Textes mußte sich, um dänisch zu werden, die wunderlichsten, oft geradezu
abenteuerlichen Verrenkungen und Entstellungen gefallen lassen. Und bis


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286819"/>
          <p xml:id="ID_270" prev="#ID_269" next="#ID_271"> vielleicht in einem der uns hauptsächlich überlieferten ausführlicheren Alpha¬<lb/>
bete, in dem sogenannten Markomannischen oder Nordmannischen des Hra-<lb/>
banus Maurus das Uralphabet besäßen, aus welchem die angelsächsischen<lb/>
sämmtlich abgeleitet werden möchten, war zum erstenmale klar und bestimmt<lb/>
erkannt, daß nicht in dem skandinavischen Norden allein die Heimath der<lb/>
Runen zu suchen sei, sondern auch in Deutschland.  Wie die Sachsen von<lb/>
der Elbe her ihre deutsche Sprache einst mit hinüber nach Britannien ge¬<lb/>
nommen und dort nichts weiter daran verändert hatten, als was sich von selbst<lb/>
an einer lebendigen Sprache verändert, so war auch die Schrift für diese<lb/>
Sprache etwas schon uralt gegebenes. Wenn aber erst die Zusammengehörig¬<lb/>
keit dieser Runenschrift mit der Sprache d es Volkes, unter dem sie im Gebrauche<lb/>
war, fest ins Auge gefaßt wurde, war der größte Fortschritt, der in der<lb/>
Runenkunde überhaupt gemacht werden konnte, gethan. Seit Jacob Grimms<lb/>
deutsche Grammatik erschienen war, wenn auch nur in ihrer ersten gleichsam<lb/>
andeutenden Gestalt von 1819, gehörte allerdings nur die genaue Bekannt¬<lb/>
schaft mit diesem Buche dazu, um über das Verhältniß des Angelsächsischen<lb/>
zu anderen deutschen Sprachen klar zu sehen.  Bis dahin hatte auch<lb/>
in diesem Punkte Confusion geherrscht, wie in allen Dingen, die sich<lb/>
auf das genealogische Verhältniß der einzelnen Aeste des deutschen Sprach¬<lb/>
stammes bezogen.  Die Engländer selbst zwar hatten einst in einer für ihre<lb/>
Alterthumskunde fruchtbareren Zeit, als die der ersten Hälste oder des ersten<lb/>
Drittels unseres Jahrhunderts gewesen ist, in der Periode der Franz, Junius,<lb/>
Hickes und Wcmley hierüber im ganzen richtig geurtheilt, wenn auch im<lb/>
einzelnen Manches im Nebel polyhiflorischer Kritiklosigkeit eine wunderlich ver¬<lb/>
schobene Gestalt angenommen hatte.  Die nächste Zusammengehörigkeit, ja<lb/>
die völlige Identität ihrer eigenen alten Sprache, der angelsächsischen, mit<lb/>
der altdeutschen, nach dem damaligen engen Begriff, den man mit diesem Aus¬<lb/>
drucke verband, Gothisch, Althochdeutsch, auch das wenige was man vom<lb/>
Altniederdeutschen wußte umfassend &#x2014; stand sür sie fest. Aber seitdem war<lb/>
diese in der Hauptsache richtige Einsicht sehr verdunkelt worden, zum großen<lb/>
Theil durch die systematische Propaganda, welche die skandinavischen Gelehrten<lb/>
für die Supermatie ihrer altnordischen Sprache in Scene setzten.  War es<lb/>
ja noch wenige Jahre vor dem Erscheinen der deutschen Grammatik (1815)<lb/>
möglich, daß der Kopenhagener Thorkelin den ersten Druck des angelsächsi¬<lb/>
schen großen Volksepos, das Beowulf, unter folgendem Titel erscheinen lassen<lb/>
konnte: v« vkmvl-um rc-dus Zestis Kveal. III et IV posmg, va-nienen clialeetn<lb/>
^rigloKaxomeÄ. Wie zu erwarten war, stand freilich das Ergebniß in richtigem<lb/>
Verhältniß zu dein eingenommenen Standpunkt, denn fast jedes Wort des<lb/>
Textes mußte sich, um dänisch zu werden, die wunderlichsten, oft geradezu<lb/>
abenteuerlichen Verrenkungen und Entstellungen gefallen lassen. Und bis</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0107] vielleicht in einem der uns hauptsächlich überlieferten ausführlicheren Alpha¬ bete, in dem sogenannten Markomannischen oder Nordmannischen des Hra- banus Maurus das Uralphabet besäßen, aus welchem die angelsächsischen sämmtlich abgeleitet werden möchten, war zum erstenmale klar und bestimmt erkannt, daß nicht in dem skandinavischen Norden allein die Heimath der Runen zu suchen sei, sondern auch in Deutschland. Wie die Sachsen von der Elbe her ihre deutsche Sprache einst mit hinüber nach Britannien ge¬ nommen und dort nichts weiter daran verändert hatten, als was sich von selbst an einer lebendigen Sprache verändert, so war auch die Schrift für diese Sprache etwas schon uralt gegebenes. Wenn aber erst die Zusammengehörig¬ keit dieser Runenschrift mit der Sprache d es Volkes, unter dem sie im Gebrauche war, fest ins Auge gefaßt wurde, war der größte Fortschritt, der in der Runenkunde überhaupt gemacht werden konnte, gethan. Seit Jacob Grimms deutsche Grammatik erschienen war, wenn auch nur in ihrer ersten gleichsam andeutenden Gestalt von 1819, gehörte allerdings nur die genaue Bekannt¬ schaft mit diesem Buche dazu, um über das Verhältniß des Angelsächsischen zu anderen deutschen Sprachen klar zu sehen. Bis dahin hatte auch in diesem Punkte Confusion geherrscht, wie in allen Dingen, die sich auf das genealogische Verhältniß der einzelnen Aeste des deutschen Sprach¬ stammes bezogen. Die Engländer selbst zwar hatten einst in einer für ihre Alterthumskunde fruchtbareren Zeit, als die der ersten Hälste oder des ersten Drittels unseres Jahrhunderts gewesen ist, in der Periode der Franz, Junius, Hickes und Wcmley hierüber im ganzen richtig geurtheilt, wenn auch im einzelnen Manches im Nebel polyhiflorischer Kritiklosigkeit eine wunderlich ver¬ schobene Gestalt angenommen hatte. Die nächste Zusammengehörigkeit, ja die völlige Identität ihrer eigenen alten Sprache, der angelsächsischen, mit der altdeutschen, nach dem damaligen engen Begriff, den man mit diesem Aus¬ drucke verband, Gothisch, Althochdeutsch, auch das wenige was man vom Altniederdeutschen wußte umfassend — stand sür sie fest. Aber seitdem war diese in der Hauptsache richtige Einsicht sehr verdunkelt worden, zum großen Theil durch die systematische Propaganda, welche die skandinavischen Gelehrten für die Supermatie ihrer altnordischen Sprache in Scene setzten. War es ja noch wenige Jahre vor dem Erscheinen der deutschen Grammatik (1815) möglich, daß der Kopenhagener Thorkelin den ersten Druck des angelsächsi¬ schen großen Volksepos, das Beowulf, unter folgendem Titel erscheinen lassen konnte: v« vkmvl-um rc-dus Zestis Kveal. III et IV posmg, va-nienen clialeetn ^rigloKaxomeÄ. Wie zu erwarten war, stand freilich das Ergebniß in richtigem Verhältniß zu dein eingenommenen Standpunkt, denn fast jedes Wort des Textes mußte sich, um dänisch zu werden, die wunderlichsten, oft geradezu abenteuerlichen Verrenkungen und Entstellungen gefallen lassen. Und bis

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/107
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/107>, abgerufen am 02.07.2024.