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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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zum natürlichen Inventar zu gehören Pflegen. Etwas an sich unzugängliches,
oder auch nur schwer zugängliches hat sich in ihnen bis jetzt nicht entdecken
lassen. Wer scharfe Augen und rüstige Glieder besitzt, scheint sich hier überall
leicht durchhelfen zu können.

Und doch scheint es nur so, denn neben und zwischen dieser freundlichen
und zugänglichen Region liegt eine andere, wo es noch sehr finster und con°
fus aussieht. Und leider wissen wir zwar sehr wenig sicheres über dieselbe,
aber das wenige was wir wissen reicht hin uns zu überzeugen, daß gerade
hier noch wirkliche Schätze für die deutsche Alterthumskunde zu heben sind.
Es wäre abgeschmackt, wollten wir-- wenigstens die wir nach deutschem d. h.
wirklich wissenschaftlich durchgebildeten Maßstab zu messen gelernt haben, --
von dem gewöhnlichen Troß der Runen so etwas behaupten: das höchste was
wir ihm zugestehn, ist ein gewisses Interesse von relativ geringerer Art, als es
z. B. die großen anderweitigen literarischen Sprachdenkmäler des Altnor¬
dischen gewähren. Ja wir wagen sogar die Ketzerei, zu behaupten, unsere
nordisch-germanische Alterthumskunde würde in allen wesentlichen Dingen --
nicht in den Schnurrpfeifereien, die ein Nyegaard, Raste, Wörsaae dazu rech¬
nen -- genau auf demselben Flecke stehen, wo sie jetzt steht, wenn wir auch
nicht eine einzige dieser Runeninschriften kennten. Die Probe ist leicht zu
machen. Man durchblättere die deutsche Mythologie von Jacob Grimm, die
Rechtsalterthümer, die deutsche Grammatik desselben Mannes, was ist in diesen
fundamentalen Werken, deren Größe immer noch mehr zu wachsen scheint,
jemehr sie durch die Zeit uns ferne gerückt werden, aus den Runen geflossen?
Nichts, außer ein paar grammatischen eigentlich nur paläographischen Notizen,
über die Form und den Werth gewisser Runenstäbe. Und glaubt man etwa,
Jacob Grimm habe nichts von den Runen gewußt und deshalb nichts aus
ihnen gelernt? Dieser ingeniöse Gedanke ist werth, von den Herren in Kopen¬
hagen und Christiania aufgegriffen und verarbeitet zu werden, und wir em¬
pfehlen ihn denselben in dieser Absicht, nicht ohne ein gewisses angenehmes
Prickeln befriedigter Eitelkeit dabei zu empfinden. Oder wenn sie es ver¬
schmähen, so könnten sie ja die Herablassung haben, ihn diesem oder jenem
unserer Landsleute zuzuwerfen, der schweifwedelnd Kratzfüße vor ihnen zu
machen sich zur Ehre rechnet.

Zunächst aber möge der Thatbestand kurz geschildert werden, der das
obige vorausgegriffene Urtheil zu begründen bestimmt ist. Schon sehr frühe
überzeugten sich die zahlreichen nordischen und die wenigen deutschen Antiquare,
welche sich mit Sammlung und Deutung von Runen beschäftigten, daß
neben einer überwiegenden Menge von solchen, in denen immer dieselben
Zeichen in gleichem lautlosen Werthe oder höchstens mit kleinen selbstverständ¬
lichen Schwankungen z. B. o für a, u für o, y für i und umgekehrt -- wieder-


zum natürlichen Inventar zu gehören Pflegen. Etwas an sich unzugängliches,
oder auch nur schwer zugängliches hat sich in ihnen bis jetzt nicht entdecken
lassen. Wer scharfe Augen und rüstige Glieder besitzt, scheint sich hier überall
leicht durchhelfen zu können.

Und doch scheint es nur so, denn neben und zwischen dieser freundlichen
und zugänglichen Region liegt eine andere, wo es noch sehr finster und con°
fus aussieht. Und leider wissen wir zwar sehr wenig sicheres über dieselbe,
aber das wenige was wir wissen reicht hin uns zu überzeugen, daß gerade
hier noch wirkliche Schätze für die deutsche Alterthumskunde zu heben sind.
Es wäre abgeschmackt, wollten wir— wenigstens die wir nach deutschem d. h.
wirklich wissenschaftlich durchgebildeten Maßstab zu messen gelernt haben, —
von dem gewöhnlichen Troß der Runen so etwas behaupten: das höchste was
wir ihm zugestehn, ist ein gewisses Interesse von relativ geringerer Art, als es
z. B. die großen anderweitigen literarischen Sprachdenkmäler des Altnor¬
dischen gewähren. Ja wir wagen sogar die Ketzerei, zu behaupten, unsere
nordisch-germanische Alterthumskunde würde in allen wesentlichen Dingen —
nicht in den Schnurrpfeifereien, die ein Nyegaard, Raste, Wörsaae dazu rech¬
nen — genau auf demselben Flecke stehen, wo sie jetzt steht, wenn wir auch
nicht eine einzige dieser Runeninschriften kennten. Die Probe ist leicht zu
machen. Man durchblättere die deutsche Mythologie von Jacob Grimm, die
Rechtsalterthümer, die deutsche Grammatik desselben Mannes, was ist in diesen
fundamentalen Werken, deren Größe immer noch mehr zu wachsen scheint,
jemehr sie durch die Zeit uns ferne gerückt werden, aus den Runen geflossen?
Nichts, außer ein paar grammatischen eigentlich nur paläographischen Notizen,
über die Form und den Werth gewisser Runenstäbe. Und glaubt man etwa,
Jacob Grimm habe nichts von den Runen gewußt und deshalb nichts aus
ihnen gelernt? Dieser ingeniöse Gedanke ist werth, von den Herren in Kopen¬
hagen und Christiania aufgegriffen und verarbeitet zu werden, und wir em¬
pfehlen ihn denselben in dieser Absicht, nicht ohne ein gewisses angenehmes
Prickeln befriedigter Eitelkeit dabei zu empfinden. Oder wenn sie es ver¬
schmähen, so könnten sie ja die Herablassung haben, ihn diesem oder jenem
unserer Landsleute zuzuwerfen, der schweifwedelnd Kratzfüße vor ihnen zu
machen sich zur Ehre rechnet.

Zunächst aber möge der Thatbestand kurz geschildert werden, der das
obige vorausgegriffene Urtheil zu begründen bestimmt ist. Schon sehr frühe
überzeugten sich die zahlreichen nordischen und die wenigen deutschen Antiquare,
welche sich mit Sammlung und Deutung von Runen beschäftigten, daß
neben einer überwiegenden Menge von solchen, in denen immer dieselben
Zeichen in gleichem lautlosen Werthe oder höchstens mit kleinen selbstverständ¬
lichen Schwankungen z. B. o für a, u für o, y für i und umgekehrt — wieder-


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[0102] zum natürlichen Inventar zu gehören Pflegen. Etwas an sich unzugängliches, oder auch nur schwer zugängliches hat sich in ihnen bis jetzt nicht entdecken lassen. Wer scharfe Augen und rüstige Glieder besitzt, scheint sich hier überall leicht durchhelfen zu können. Und doch scheint es nur so, denn neben und zwischen dieser freundlichen und zugänglichen Region liegt eine andere, wo es noch sehr finster und con° fus aussieht. Und leider wissen wir zwar sehr wenig sicheres über dieselbe, aber das wenige was wir wissen reicht hin uns zu überzeugen, daß gerade hier noch wirkliche Schätze für die deutsche Alterthumskunde zu heben sind. Es wäre abgeschmackt, wollten wir— wenigstens die wir nach deutschem d. h. wirklich wissenschaftlich durchgebildeten Maßstab zu messen gelernt haben, — von dem gewöhnlichen Troß der Runen so etwas behaupten: das höchste was wir ihm zugestehn, ist ein gewisses Interesse von relativ geringerer Art, als es z. B. die großen anderweitigen literarischen Sprachdenkmäler des Altnor¬ dischen gewähren. Ja wir wagen sogar die Ketzerei, zu behaupten, unsere nordisch-germanische Alterthumskunde würde in allen wesentlichen Dingen — nicht in den Schnurrpfeifereien, die ein Nyegaard, Raste, Wörsaae dazu rech¬ nen — genau auf demselben Flecke stehen, wo sie jetzt steht, wenn wir auch nicht eine einzige dieser Runeninschriften kennten. Die Probe ist leicht zu machen. Man durchblättere die deutsche Mythologie von Jacob Grimm, die Rechtsalterthümer, die deutsche Grammatik desselben Mannes, was ist in diesen fundamentalen Werken, deren Größe immer noch mehr zu wachsen scheint, jemehr sie durch die Zeit uns ferne gerückt werden, aus den Runen geflossen? Nichts, außer ein paar grammatischen eigentlich nur paläographischen Notizen, über die Form und den Werth gewisser Runenstäbe. Und glaubt man etwa, Jacob Grimm habe nichts von den Runen gewußt und deshalb nichts aus ihnen gelernt? Dieser ingeniöse Gedanke ist werth, von den Herren in Kopen¬ hagen und Christiania aufgegriffen und verarbeitet zu werden, und wir em¬ pfehlen ihn denselben in dieser Absicht, nicht ohne ein gewisses angenehmes Prickeln befriedigter Eitelkeit dabei zu empfinden. Oder wenn sie es ver¬ schmähen, so könnten sie ja die Herablassung haben, ihn diesem oder jenem unserer Landsleute zuzuwerfen, der schweifwedelnd Kratzfüße vor ihnen zu machen sich zur Ehre rechnet. Zunächst aber möge der Thatbestand kurz geschildert werden, der das obige vorausgegriffene Urtheil zu begründen bestimmt ist. Schon sehr frühe überzeugten sich die zahlreichen nordischen und die wenigen deutschen Antiquare, welche sich mit Sammlung und Deutung von Runen beschäftigten, daß neben einer überwiegenden Menge von solchen, in denen immer dieselben Zeichen in gleichem lautlosen Werthe oder höchstens mit kleinen selbstverständ¬ lichen Schwankungen z. B. o für a, u für o, y für i und umgekehrt — wieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/102>, abgerufen am 02.07.2024.