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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Einfluß, welchen die Czechen auf die übrigen östreichischen Slaven ausüben,
ist der größere Vortheil offenbar auf Seiten der Russen; diesen kommt es
darauf an, die Aufregung unter den Donauslaven, namentlich unter den
Serben, möglichst zu schüren und das kann nur geschehen, wenn die prager
Presse diese Bestrebungen unterstützt. Als wichtigstes Moment möchte ich
aber hervorheben, daß der Congreß vom vorigen Sommer nicht nur die Be¬
ziehungen zwischen den verschiedenen Stämmen belebt, sondern die bis dazu
ziemlich verschwommenen An- und Aussichten unserer panslavistischen Führer
geklärt und die Grenzen des zunächst Erreichbaren deutlich abgesteckt hat.
Schon vorher war es das Verdienst der Moskaner Zeitung gewesen, die ver¬
schwommenen Träume der alten Panslavisten von einem allgemeinen slavi¬
schen Föderativstaat zerblasen und durch ein festes Programm ersetzt zu haben;
an die Stelle der chimärischen slavischen Zukunftsrepublik trat der concrete
russische Staat -- in diesem sollen alle slavischen Stämme, welche es mit der
Sache ihrer Race ehrlich meinen, aufgehen. Der Lehre von der Gleichberech¬
tigung der einzelnen Stämme wurde förmlich die Stelle einer schädlichen
Ketzerei angewiesen, die polnische Frage zum Criterium für die Gesinnungs¬
tüchtigkeit jedes Einzelnen und jedes Stammes gemacht, der an dem allge¬
meinen großen Bunde Theil haben wollte. Seit dem Congreß ist man noch
weiter gegangen; man hat zunächst daraus verzichtet, die Czechen, Croaten
und sonstigen Westslaven katholischer Confession zu assimiliren, um desto
directer für eine Heranziehung der ruthenischen und serbischen Glaubensbrüder
arbeiten zu können. Gleichzeitig hat die Moskaner Zeitung den politischen
Katechismus der nationalen Partei durch einen neuen höchst wichtigen Para¬
graphen bereichert, für dessen Durchführung sie seit Wochen thätig ist, um
eine spätere Verständigung mit den katholischen Stammesgenossen anzubahnen.
Sie fordert nämlich die Begründung einer katholisch-russischen Kirche, die bis¬
her identificirten Begriffe Katholicismus und Polonismus sollen künftig von
einander getrennt und streng auseinander gehalten werden. Nur wenn das
geschieht, hält Herr Katkow eine Lösung der polnischen Frage im russischen
Sinne für möglich -- und eine Heranziehung der Czechen und Croaten, wie
wir hinzufügen müssen.

Es ist wohl auch außerhalb Rußland bekannt, daß die Begriffe Pole
und Katholik sich in dem südwestlichen Theil unserer Monarchie seit lange
vollständig decken. Die Polonisirung Litthauens und der kleinrussischen
Westprovinzen ist zugleich eine Katholisirung gewesen; die Geistlichkeit und
und die Aristokratie arbeiteten sich zur Zeit der polnischen Herrschaft und'
später so glücklich in die Hände, daß ein großer Theil der Bevölkerung jener
Länder, namentlich der höheren Klassen, mit der polnischen Kultur zugleich
die Lehre der römischen Kirche annahm. Seit dem Jahre 1863 wurde darum


Einfluß, welchen die Czechen auf die übrigen östreichischen Slaven ausüben,
ist der größere Vortheil offenbar auf Seiten der Russen; diesen kommt es
darauf an, die Aufregung unter den Donauslaven, namentlich unter den
Serben, möglichst zu schüren und das kann nur geschehen, wenn die prager
Presse diese Bestrebungen unterstützt. Als wichtigstes Moment möchte ich
aber hervorheben, daß der Congreß vom vorigen Sommer nicht nur die Be¬
ziehungen zwischen den verschiedenen Stämmen belebt, sondern die bis dazu
ziemlich verschwommenen An- und Aussichten unserer panslavistischen Führer
geklärt und die Grenzen des zunächst Erreichbaren deutlich abgesteckt hat.
Schon vorher war es das Verdienst der Moskaner Zeitung gewesen, die ver¬
schwommenen Träume der alten Panslavisten von einem allgemeinen slavi¬
schen Föderativstaat zerblasen und durch ein festes Programm ersetzt zu haben;
an die Stelle der chimärischen slavischen Zukunftsrepublik trat der concrete
russische Staat — in diesem sollen alle slavischen Stämme, welche es mit der
Sache ihrer Race ehrlich meinen, aufgehen. Der Lehre von der Gleichberech¬
tigung der einzelnen Stämme wurde förmlich die Stelle einer schädlichen
Ketzerei angewiesen, die polnische Frage zum Criterium für die Gesinnungs¬
tüchtigkeit jedes Einzelnen und jedes Stammes gemacht, der an dem allge¬
meinen großen Bunde Theil haben wollte. Seit dem Congreß ist man noch
weiter gegangen; man hat zunächst daraus verzichtet, die Czechen, Croaten
und sonstigen Westslaven katholischer Confession zu assimiliren, um desto
directer für eine Heranziehung der ruthenischen und serbischen Glaubensbrüder
arbeiten zu können. Gleichzeitig hat die Moskaner Zeitung den politischen
Katechismus der nationalen Partei durch einen neuen höchst wichtigen Para¬
graphen bereichert, für dessen Durchführung sie seit Wochen thätig ist, um
eine spätere Verständigung mit den katholischen Stammesgenossen anzubahnen.
Sie fordert nämlich die Begründung einer katholisch-russischen Kirche, die bis¬
her identificirten Begriffe Katholicismus und Polonismus sollen künftig von
einander getrennt und streng auseinander gehalten werden. Nur wenn das
geschieht, hält Herr Katkow eine Lösung der polnischen Frage im russischen
Sinne für möglich — und eine Heranziehung der Czechen und Croaten, wie
wir hinzufügen müssen.

Es ist wohl auch außerhalb Rußland bekannt, daß die Begriffe Pole
und Katholik sich in dem südwestlichen Theil unserer Monarchie seit lange
vollständig decken. Die Polonisirung Litthauens und der kleinrussischen
Westprovinzen ist zugleich eine Katholisirung gewesen; die Geistlichkeit und
und die Aristokratie arbeiteten sich zur Zeit der polnischen Herrschaft und'
später so glücklich in die Hände, daß ein großer Theil der Bevölkerung jener
Länder, namentlich der höheren Klassen, mit der polnischen Kultur zugleich
die Lehre der römischen Kirche annahm. Seit dem Jahre 1863 wurde darum


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[0079] Einfluß, welchen die Czechen auf die übrigen östreichischen Slaven ausüben, ist der größere Vortheil offenbar auf Seiten der Russen; diesen kommt es darauf an, die Aufregung unter den Donauslaven, namentlich unter den Serben, möglichst zu schüren und das kann nur geschehen, wenn die prager Presse diese Bestrebungen unterstützt. Als wichtigstes Moment möchte ich aber hervorheben, daß der Congreß vom vorigen Sommer nicht nur die Be¬ ziehungen zwischen den verschiedenen Stämmen belebt, sondern die bis dazu ziemlich verschwommenen An- und Aussichten unserer panslavistischen Führer geklärt und die Grenzen des zunächst Erreichbaren deutlich abgesteckt hat. Schon vorher war es das Verdienst der Moskaner Zeitung gewesen, die ver¬ schwommenen Träume der alten Panslavisten von einem allgemeinen slavi¬ schen Föderativstaat zerblasen und durch ein festes Programm ersetzt zu haben; an die Stelle der chimärischen slavischen Zukunftsrepublik trat der concrete russische Staat — in diesem sollen alle slavischen Stämme, welche es mit der Sache ihrer Race ehrlich meinen, aufgehen. Der Lehre von der Gleichberech¬ tigung der einzelnen Stämme wurde förmlich die Stelle einer schädlichen Ketzerei angewiesen, die polnische Frage zum Criterium für die Gesinnungs¬ tüchtigkeit jedes Einzelnen und jedes Stammes gemacht, der an dem allge¬ meinen großen Bunde Theil haben wollte. Seit dem Congreß ist man noch weiter gegangen; man hat zunächst daraus verzichtet, die Czechen, Croaten und sonstigen Westslaven katholischer Confession zu assimiliren, um desto directer für eine Heranziehung der ruthenischen und serbischen Glaubensbrüder arbeiten zu können. Gleichzeitig hat die Moskaner Zeitung den politischen Katechismus der nationalen Partei durch einen neuen höchst wichtigen Para¬ graphen bereichert, für dessen Durchführung sie seit Wochen thätig ist, um eine spätere Verständigung mit den katholischen Stammesgenossen anzubahnen. Sie fordert nämlich die Begründung einer katholisch-russischen Kirche, die bis¬ her identificirten Begriffe Katholicismus und Polonismus sollen künftig von einander getrennt und streng auseinander gehalten werden. Nur wenn das geschieht, hält Herr Katkow eine Lösung der polnischen Frage im russischen Sinne für möglich — und eine Heranziehung der Czechen und Croaten, wie wir hinzufügen müssen. Es ist wohl auch außerhalb Rußland bekannt, daß die Begriffe Pole und Katholik sich in dem südwestlichen Theil unserer Monarchie seit lange vollständig decken. Die Polonisirung Litthauens und der kleinrussischen Westprovinzen ist zugleich eine Katholisirung gewesen; die Geistlichkeit und und die Aristokratie arbeiteten sich zur Zeit der polnischen Herrschaft und' später so glücklich in die Hände, daß ein großer Theil der Bevölkerung jener Länder, namentlich der höheren Klassen, mit der polnischen Kultur zugleich die Lehre der römischen Kirche annahm. Seit dem Jahre 1863 wurde darum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/79>, abgerufen am 24.08.2024.