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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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richtet; die ezechischen Zeitungen ausgenommen, wiederholen diese Journale
eigentlich nur, was von den großen Blättern Moskaus gesagt worden. Mit
ganz besonderer Theilnahme verfolgte unsere Presse das Geschick der einzelnen
Congreßglieder, welche wegen allzu kecker Provocationen gegen die östreichi¬
sche Negierung ihrer Aemter entlassen oder bestraft worden sind. Jede der¬
artige Entlassung gab zu endlosen Anklagen gegen die deutschen Machthaber
in Wien Veranlassung und viele dieser Männer, namentlich galizische Ru-
thenen, haben an unsern, ewig an dem Mangel brauchbarer Lehrkräfte dar¬
benden Universitäten und Fachschulen bereits Verwendung gefunden, während
andererseits aus dem Königreich geflüchtete Polen in Galizien freundlich ge¬
nug aufgenommen wurden. Der Gegensatz gegen Oestreich, das man wegen
seiner polnischen Politik ebenso giftig haßt, wie wegen der geheimen Unter¬
stützung, welche es der rennenden Pforte gewährt, ist dadurch ein äußerst
gespannter geworden und die Sprache, welche die Patrioten der Moskaner Zei¬
tung und der Moskwa gegen diesen Staat sühren, ist durch nichts von der
unterschieden, über welche Aali Pascha sich vergeblich beim Fürsten Gortscha-
kow beschwert hat. Noch vor wenigen Wochen verlangte der Invalide z.B.,
daß die östreichischen Slaven einen allgemeinen slavischen Kongreß abhielten,
um über die schwierige Frage zu berathen, in welche sie durch die Ungunst
des tyrannischen wiener Cabinets gerathen seien. Nachdem hier in Moskau
schon vor Monaten der Prospekt zu einem in periodischen Lieferungen erscheinen¬
den Gesammtorgan für slavische Interessen und zum Zweck einer fortlaufen¬
den Agitation für Die "slavische Idee" ausgegeben worden, ist neuerdings
in Petersburg ein Conn6 zusammengetreten, welches die Vermittelung des
geistigen und literarischen Austausches zwischen den verschiedenen Bruder¬
stämmen übernehmen soll. Zum Präses desselben will man den Unter-
richtsminister und Oberprokureur des Scherds (der Kirchenbehörde) Grasen
Tolstoy, zum Vicepräsioenten den Staatsrath Hilserding, den Verfasser
der Geschichte Serbiens und zahlreicher anderer panslavistischer Schriften,
machen. Der Name dieses Schriftstellers ist bezeichnender als ein ganzes
Programm. -- Auch zu den Czechen, die wegen ihrer Intervention zu
Gunsten Polens russifcherfeits bereits aufgegeben waren, ist man neuer¬
dings in ein festes Verhältniß getreten. Nachdem die böhmische Aristokratie
und der katholische Klerus sich von der Nationalpartei losgesagt haben, ist
diese direkt aus russische Unterstützung angewiesen. Diese wird ihnen nach
Kräften gewährt, wofür sie ihrerseits erklärt haben, die Herrschaftsanfprüche
der russischen Sprache anerkennen und nach Kräften fördern zu wollen. Man
weiß auf beiden Seiten, daß eine engere Alliance nicht möglich ist und be¬
gnügt sich damit, gegenseitig von einander den größtmöglichster Vortheil zu
ziehen, ohne die streitigen Punkte zu berühren. Bei dem großen moralischen


richtet; die ezechischen Zeitungen ausgenommen, wiederholen diese Journale
eigentlich nur, was von den großen Blättern Moskaus gesagt worden. Mit
ganz besonderer Theilnahme verfolgte unsere Presse das Geschick der einzelnen
Congreßglieder, welche wegen allzu kecker Provocationen gegen die östreichi¬
sche Negierung ihrer Aemter entlassen oder bestraft worden sind. Jede der¬
artige Entlassung gab zu endlosen Anklagen gegen die deutschen Machthaber
in Wien Veranlassung und viele dieser Männer, namentlich galizische Ru-
thenen, haben an unsern, ewig an dem Mangel brauchbarer Lehrkräfte dar¬
benden Universitäten und Fachschulen bereits Verwendung gefunden, während
andererseits aus dem Königreich geflüchtete Polen in Galizien freundlich ge¬
nug aufgenommen wurden. Der Gegensatz gegen Oestreich, das man wegen
seiner polnischen Politik ebenso giftig haßt, wie wegen der geheimen Unter¬
stützung, welche es der rennenden Pforte gewährt, ist dadurch ein äußerst
gespannter geworden und die Sprache, welche die Patrioten der Moskaner Zei¬
tung und der Moskwa gegen diesen Staat sühren, ist durch nichts von der
unterschieden, über welche Aali Pascha sich vergeblich beim Fürsten Gortscha-
kow beschwert hat. Noch vor wenigen Wochen verlangte der Invalide z.B.,
daß die östreichischen Slaven einen allgemeinen slavischen Kongreß abhielten,
um über die schwierige Frage zu berathen, in welche sie durch die Ungunst
des tyrannischen wiener Cabinets gerathen seien. Nachdem hier in Moskau
schon vor Monaten der Prospekt zu einem in periodischen Lieferungen erscheinen¬
den Gesammtorgan für slavische Interessen und zum Zweck einer fortlaufen¬
den Agitation für Die „slavische Idee" ausgegeben worden, ist neuerdings
in Petersburg ein Conn6 zusammengetreten, welches die Vermittelung des
geistigen und literarischen Austausches zwischen den verschiedenen Bruder¬
stämmen übernehmen soll. Zum Präses desselben will man den Unter-
richtsminister und Oberprokureur des Scherds (der Kirchenbehörde) Grasen
Tolstoy, zum Vicepräsioenten den Staatsrath Hilserding, den Verfasser
der Geschichte Serbiens und zahlreicher anderer panslavistischer Schriften,
machen. Der Name dieses Schriftstellers ist bezeichnender als ein ganzes
Programm. — Auch zu den Czechen, die wegen ihrer Intervention zu
Gunsten Polens russifcherfeits bereits aufgegeben waren, ist man neuer¬
dings in ein festes Verhältniß getreten. Nachdem die böhmische Aristokratie
und der katholische Klerus sich von der Nationalpartei losgesagt haben, ist
diese direkt aus russische Unterstützung angewiesen. Diese wird ihnen nach
Kräften gewährt, wofür sie ihrerseits erklärt haben, die Herrschaftsanfprüche
der russischen Sprache anerkennen und nach Kräften fördern zu wollen. Man
weiß auf beiden Seiten, daß eine engere Alliance nicht möglich ist und be¬
gnügt sich damit, gegenseitig von einander den größtmöglichster Vortheil zu
ziehen, ohne die streitigen Punkte zu berühren. Bei dem großen moralischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/78>, abgerufen am 24.08.2024.