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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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nommer wird -- nach dem Vorgange der alten Provinzen, aber nach einer
neuerfundenen Schablone auf Kosten und für Rechnung des Staates*).

Es dürfte hienach einleuchten, daß es allerdings in erster Linie nicht um
eine politische oder Parteifrage -- sondern um eine Frage des Rechts, des
Meins und Deins. der ausgleichenden Gerechtigkeit von Provinz zu Provinz
sich handelte, und es kann hiernach nicht überraschen, daß die Abstimmung
wesentlich nicht nach politischen Parteistellungen stattfand; sondern nach lands¬
mannschaftlicher Zusammensetzung; sodaß die Vertreter von Hannover und
Hessen nicht blos, sondern auch von Nassau und mit Ausnahmen von Zweien
Schleswig Holstein, und ebenso alle Polen (die consequenten Vertreter aller
Particularistischen, wie sie es bezeichnen nationalen Bestrebungen) für --
die Vertreter der alten Provinzen weit überwiegend gegen die Bewilligung
sich erklärten.

Ihr Correspondent meint, nur aus der vollen Bedeutung für die deutsche
Frage lasse sich "die ungeheure Rolle erklären, welche die Debatten im preußi¬
schen Parlament und in unserm öffentlichen Leben gespielt haben." Diese
Parlamentarische Bedeutung kann man zugeben; der Grund lag aber wesent¬
lich in inneren rein preußischen Beziehungen, nämlich:

1. in der Einführung eines neuen, in der preußischen Verwaltung seit¬
her unbekannten Prinzips der Bevorzugung einer neuen, in vielen ihrer ein¬
flußreichen Kreise zudem der Einverleibung opponirenden Provinz;

2. in den unausgesetzten Bemühungen der Regierung wie einzelner ein¬
flußreicher Abgeordneten, der Vorlage gegen die anfangs ziemlich allgemeine
Abneigung zum Durchgange zu verhelfen;

3. in dem durch die Natur der Sache weniger, als durch die zu der
Frage einmal eingenommene persönliche Stellung motivirten Bestreben des
Ministerpräsidenten, seine hervorragende Stellung und die begründete An¬
hänglichkeit seiner alten Parteigenossen für die Vorlage einzusetzen, deren
Annahme viele Mitglieder (mit Ausnahme der Polen, aus allen Parteien
des Hauses) einmal mit ihrer rechtlichen Ueberzeugung -- sagen wir lieber
mit ihrem Gewissen und ihrem Eide -- nicht vereinbar fanden.

Weil man diese Ueberzeugungen nicht der Rücksicht auf die großen Ver¬
dienste des Grafen Bismarck zum Opfer bringen wollte und durfte, nur des¬
halb ist die Verstimmung eingetreten, welche Ihr Correspondent als einen
"Conflict zwischen der Regierung und den Conservativen" bezeichnet. Daß
derselbe größere Dimensionen angenommen hat, als die Sache an sich recht-



*) Inwiefern in den neuen wie in den alten Provinzen es einer Modifikation der bisher
bestandenen Prvvinzinlvcrtrctungen anerkanntermaßen bedarf, ist selbstredend eine dafür nicht
entscheidende, jedenfalls hier nicht zu erörternde Frage.
Grenzboten I. 1868. 64

nommer wird — nach dem Vorgange der alten Provinzen, aber nach einer
neuerfundenen Schablone auf Kosten und für Rechnung des Staates*).

Es dürfte hienach einleuchten, daß es allerdings in erster Linie nicht um
eine politische oder Parteifrage — sondern um eine Frage des Rechts, des
Meins und Deins. der ausgleichenden Gerechtigkeit von Provinz zu Provinz
sich handelte, und es kann hiernach nicht überraschen, daß die Abstimmung
wesentlich nicht nach politischen Parteistellungen stattfand; sondern nach lands¬
mannschaftlicher Zusammensetzung; sodaß die Vertreter von Hannover und
Hessen nicht blos, sondern auch von Nassau und mit Ausnahmen von Zweien
Schleswig Holstein, und ebenso alle Polen (die consequenten Vertreter aller
Particularistischen, wie sie es bezeichnen nationalen Bestrebungen) für —
die Vertreter der alten Provinzen weit überwiegend gegen die Bewilligung
sich erklärten.

Ihr Correspondent meint, nur aus der vollen Bedeutung für die deutsche
Frage lasse sich „die ungeheure Rolle erklären, welche die Debatten im preußi¬
schen Parlament und in unserm öffentlichen Leben gespielt haben." Diese
Parlamentarische Bedeutung kann man zugeben; der Grund lag aber wesent¬
lich in inneren rein preußischen Beziehungen, nämlich:

1. in der Einführung eines neuen, in der preußischen Verwaltung seit¬
her unbekannten Prinzips der Bevorzugung einer neuen, in vielen ihrer ein¬
flußreichen Kreise zudem der Einverleibung opponirenden Provinz;

2. in den unausgesetzten Bemühungen der Regierung wie einzelner ein¬
flußreicher Abgeordneten, der Vorlage gegen die anfangs ziemlich allgemeine
Abneigung zum Durchgange zu verhelfen;

3. in dem durch die Natur der Sache weniger, als durch die zu der
Frage einmal eingenommene persönliche Stellung motivirten Bestreben des
Ministerpräsidenten, seine hervorragende Stellung und die begründete An¬
hänglichkeit seiner alten Parteigenossen für die Vorlage einzusetzen, deren
Annahme viele Mitglieder (mit Ausnahme der Polen, aus allen Parteien
des Hauses) einmal mit ihrer rechtlichen Ueberzeugung — sagen wir lieber
mit ihrem Gewissen und ihrem Eide — nicht vereinbar fanden.

Weil man diese Ueberzeugungen nicht der Rücksicht auf die großen Ver¬
dienste des Grafen Bismarck zum Opfer bringen wollte und durfte, nur des¬
halb ist die Verstimmung eingetreten, welche Ihr Correspondent als einen
"Conflict zwischen der Regierung und den Conservativen" bezeichnet. Daß
derselbe größere Dimensionen angenommen hat, als die Sache an sich recht-



*) Inwiefern in den neuen wie in den alten Provinzen es einer Modifikation der bisher
bestandenen Prvvinzinlvcrtrctungen anerkanntermaßen bedarf, ist selbstredend eine dafür nicht
entscheidende, jedenfalls hier nicht zu erörternde Frage.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/515>, abgerufen am 01.10.2024.