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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Vortheile zu gewähren, und damit dem Ganzen den Keim des Neides und
der Zwietracht einzuimpfen? Ist die Zurückweisung so gefährlicher Krank¬
heitsstoffe "präjudicirlich für die gesammte Organisation des neuen Staates?"
Hängt irgendwie damit eine "heilsame Reorganisation der Verwaltung in
den neuen Provinzen" zusammen, eine Reorganisation, welche zudem die
Vertreter von Hannover auf das entschiedenste ablehnen?

Und nun gar der neue deutsche Staat! Läßt sich derselbe anders grün¬
den, als auf die Grundsätze der Gerechtigkeit, und das sind eben "die Ord¬
nungen des alten preußischen Staats", welche neben aller Anerkennung be¬
rechtigter provinzieller Eigenthümlichkeiten doch niemals in einer begünstigten
Sonderstellung -- einer soeietgZ Isouirur -- eine berechtigte Eigenthüm¬
lichkeit zu erkennen vermag.

Geht damit etwa "Deutschland in Preußen auf", daß alle seine einzelnen
Theile nach dem alten preußischen Grundsatze "suum cuiczus" zu einem in
allen Theilen gleichberechtigten Ganzen sich vereinigen? oder soll Preußen,
um in Deutschland aufzugehen, damit beginnen, in der Provinz Hannover
aufzugehen? Ist überhaupt der Begriff "Deutschland" oder "deutscher Staat"
ein so eng begrenzter, daß von der glücklichen Lösung der Frage, ob einer
preußischen Provinz ein Fonds für ihre Provinzialzwecke gebühre, "die Zu¬
kunft der gesammten deutschen Frage wesentlich mitbedingt" ist?

Die Bejahung dieser Fragen scheint mindestens eine strengere Beweis¬
führung vorauszusetzen, als ihnen Ihr Correspondent hat angedeihen lassen.
Auch in der Debatte begegnete man einzelnen solchen Exvectorationen; aber
es blieb auch da bei unbewiesenen Behauptungen. Die Regierung -- an
der Spitze der Herr Ministerpräsident, um mit dem Correspondenten zu reden,
der "ausschließliche Träger der nationalen Idee", der Repräsentant des
"idealen Preußens" hat mit der kühlen, besonnenen Haltung, welche ihn seine
großen Erfolge hat erringen lassen, von derartigen Speculationen sich frei
gehalten. Er begründet seine Vorlage einmal auf Rücksichten der Billigkeit,
"dem Lande Hannover den Uebergang aus alten gewohnten Zuständen zu
erleichtern" -- Rücksichten, welche doch eben nur vorübergehender Natur sind,
und denen in diesem Sinne eben durch den Diestschen Antrag Rechnung ge<
tragen werden sollte -- und auf die Absicht, damit "zuerst eine Bresche in
das System der Centralisation zu legen", einen zweiten Versuch dazu (nach
dem Vorgange des hessischen Staatsschatzes) zu machen -- als ob nicht in
den hervorgehobenen Beziehungen bereits seit länger als einem Menschenalter
Decentralisation und Selbstverwaltung in den alten preußischen Provinzen
bestanden hätte; aber wohlverstanden, wie es die eigentliche Selbstverwaltung
bedingt, aus ihren Mitteln, auf ihre Kosten; während in der Provinz Han¬
nover allerdings jetzt der erste Versuch einer solchen Selbstverwaltung unter-


Vortheile zu gewähren, und damit dem Ganzen den Keim des Neides und
der Zwietracht einzuimpfen? Ist die Zurückweisung so gefährlicher Krank¬
heitsstoffe „präjudicirlich für die gesammte Organisation des neuen Staates?"
Hängt irgendwie damit eine „heilsame Reorganisation der Verwaltung in
den neuen Provinzen" zusammen, eine Reorganisation, welche zudem die
Vertreter von Hannover auf das entschiedenste ablehnen?

Und nun gar der neue deutsche Staat! Läßt sich derselbe anders grün¬
den, als auf die Grundsätze der Gerechtigkeit, und das sind eben „die Ord¬
nungen des alten preußischen Staats", welche neben aller Anerkennung be¬
rechtigter provinzieller Eigenthümlichkeiten doch niemals in einer begünstigten
Sonderstellung — einer soeietgZ Isouirur — eine berechtigte Eigenthüm¬
lichkeit zu erkennen vermag.

Geht damit etwa „Deutschland in Preußen auf", daß alle seine einzelnen
Theile nach dem alten preußischen Grundsatze „suum cuiczus" zu einem in
allen Theilen gleichberechtigten Ganzen sich vereinigen? oder soll Preußen,
um in Deutschland aufzugehen, damit beginnen, in der Provinz Hannover
aufzugehen? Ist überhaupt der Begriff „Deutschland" oder „deutscher Staat"
ein so eng begrenzter, daß von der glücklichen Lösung der Frage, ob einer
preußischen Provinz ein Fonds für ihre Provinzialzwecke gebühre, „die Zu¬
kunft der gesammten deutschen Frage wesentlich mitbedingt" ist?

Die Bejahung dieser Fragen scheint mindestens eine strengere Beweis¬
führung vorauszusetzen, als ihnen Ihr Correspondent hat angedeihen lassen.
Auch in der Debatte begegnete man einzelnen solchen Exvectorationen; aber
es blieb auch da bei unbewiesenen Behauptungen. Die Regierung — an
der Spitze der Herr Ministerpräsident, um mit dem Correspondenten zu reden,
der „ausschließliche Träger der nationalen Idee", der Repräsentant des
„idealen Preußens" hat mit der kühlen, besonnenen Haltung, welche ihn seine
großen Erfolge hat erringen lassen, von derartigen Speculationen sich frei
gehalten. Er begründet seine Vorlage einmal auf Rücksichten der Billigkeit,
„dem Lande Hannover den Uebergang aus alten gewohnten Zuständen zu
erleichtern" — Rücksichten, welche doch eben nur vorübergehender Natur sind,
und denen in diesem Sinne eben durch den Diestschen Antrag Rechnung ge<
tragen werden sollte — und auf die Absicht, damit „zuerst eine Bresche in
das System der Centralisation zu legen", einen zweiten Versuch dazu (nach
dem Vorgange des hessischen Staatsschatzes) zu machen — als ob nicht in
den hervorgehobenen Beziehungen bereits seit länger als einem Menschenalter
Decentralisation und Selbstverwaltung in den alten preußischen Provinzen
bestanden hätte; aber wohlverstanden, wie es die eigentliche Selbstverwaltung
bedingt, aus ihren Mitteln, auf ihre Kosten; während in der Provinz Han¬
nover allerdings jetzt der erste Versuch einer solchen Selbstverwaltung unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/514>, abgerufen am 01.10.2024.