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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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die übriggebliebenen zu tragen, eröffnen. Dann würde muthmaßlich eine Mehr¬
heit der Neichsvertretung die an sich glimpflichen Zuschlage in den Kauf nehmen,
welche vorgeschlagen werden, um von zwei besonders besteuernswerthen Ver¬
brauchsgegenständen mehr als die bisherigen unerheblichen Summen für die
Staatscassen zu erzielen. Für die Mehrbelastung des Volkes allein wird sich
dagegen niemand erwärmen. Tabak und Zucker sind allerdings, wie die Staats
bedürfnisse einmal sind, in Deutschland theils zu niedrig, theils verkehrt und
uneinträglich besteuert; die Finanzverwaltung ist berechtigt zu wünschen, daß
man mehr aus ihnen herausschlage: allein das Parlament, als eine Versamm¬
lung constitutioneller Politiker, muß von diesem Interesse der Finanzverwaltung
insoweit Nutzen ziehen, daß es sie gegen den Schlendrian der Finanzverwaltu.ng
ins Feld stellt, und nicht anders aus die Wünsche dieser letztern eingeht, als
wenn eine den Staats- und den Volksfinanzen gleich heilsame radicale Tarif-
reduction gleichzeitig zu Stande kommt. Eine Volksvertretung muß ihr Ja,
als die Waare mit der sie handelt, stets so theuer wie möglich zu verkaufen
suchen -- nicht auf Kosten gerechter fremder Ansprüche und Interessen, aber
auf Kosten der Trägheit und Selbstsucht der ihr gegenüberstehenden Ver¬
waltungsbehörden.

Neben der Reform des Zolltarifs wird es sich im Parlament auch um
Reform des Zollverfahrens handeln, eine nicht minder wichtige und noch
weniger aufschiebbare Maßregel. Die jetzige Zollgesetzgebung stammt in der
Hauptsache aus dem Ende der dreißiger Jahre. Das will sagen, sie wurde
geschaffen, als der deutsche Grenzverkehr noch nicht ein Drittel seines heutigen
Umfanges erreicht hatte, als Dampfschiffe an unsern Küsten noch Ausnahms-
erscheinungen bildeten und der Bau von Eisenbahnen in Deutschland eben
begonnen worden war. Kein Wunder, daß das vorgeschriebene Verfahren
der nothwendigen Geschwindigkeit des Dampfzeitalters nirgends entspricht.
Ministerialerlasse haben zwar vielfältig nachzuhelfen versucht; allein was der
eine Minister aus Rücksicht auf die Bedürfnisse des Verkehrs gewährt hat,
kann der andere in seiner pflichtschuldigen Sorge für die Staatseinkünfte
wieder entziehen zu müssen glauben, und dann ist der Spielraum natürlich
auch sehr eng begrenzt, innerhalb dessen sich auf diesem Wege ein Gesetz ver¬
bessern läßt, dessen ganzer Geist dem Wesen der Gegenwart zuwiderläuft.
Der Ausschuß des Handelstags dringt daher mit Recht auf eine ganz neue
Gesetzgebung. An Vorarbeiten zu derselben mangelt es nicht. Abgesehen
von den Schätzen, welche sich in den Acten und den Köpfen der Behörden
im Lauf von drei Jahrzehnten angehäuft haben müssen, haben namentlich
Königsberg, Leipzig und die Hansestädte eingehende Erörterungen geliefert,
welche dem Bundesrath und dem Parlament ihre Aufgabe wesentlich erleich¬
tern werden.


die übriggebliebenen zu tragen, eröffnen. Dann würde muthmaßlich eine Mehr¬
heit der Neichsvertretung die an sich glimpflichen Zuschlage in den Kauf nehmen,
welche vorgeschlagen werden, um von zwei besonders besteuernswerthen Ver¬
brauchsgegenständen mehr als die bisherigen unerheblichen Summen für die
Staatscassen zu erzielen. Für die Mehrbelastung des Volkes allein wird sich
dagegen niemand erwärmen. Tabak und Zucker sind allerdings, wie die Staats
bedürfnisse einmal sind, in Deutschland theils zu niedrig, theils verkehrt und
uneinträglich besteuert; die Finanzverwaltung ist berechtigt zu wünschen, daß
man mehr aus ihnen herausschlage: allein das Parlament, als eine Versamm¬
lung constitutioneller Politiker, muß von diesem Interesse der Finanzverwaltung
insoweit Nutzen ziehen, daß es sie gegen den Schlendrian der Finanzverwaltu.ng
ins Feld stellt, und nicht anders aus die Wünsche dieser letztern eingeht, als
wenn eine den Staats- und den Volksfinanzen gleich heilsame radicale Tarif-
reduction gleichzeitig zu Stande kommt. Eine Volksvertretung muß ihr Ja,
als die Waare mit der sie handelt, stets so theuer wie möglich zu verkaufen
suchen — nicht auf Kosten gerechter fremder Ansprüche und Interessen, aber
auf Kosten der Trägheit und Selbstsucht der ihr gegenüberstehenden Ver¬
waltungsbehörden.

Neben der Reform des Zolltarifs wird es sich im Parlament auch um
Reform des Zollverfahrens handeln, eine nicht minder wichtige und noch
weniger aufschiebbare Maßregel. Die jetzige Zollgesetzgebung stammt in der
Hauptsache aus dem Ende der dreißiger Jahre. Das will sagen, sie wurde
geschaffen, als der deutsche Grenzverkehr noch nicht ein Drittel seines heutigen
Umfanges erreicht hatte, als Dampfschiffe an unsern Küsten noch Ausnahms-
erscheinungen bildeten und der Bau von Eisenbahnen in Deutschland eben
begonnen worden war. Kein Wunder, daß das vorgeschriebene Verfahren
der nothwendigen Geschwindigkeit des Dampfzeitalters nirgends entspricht.
Ministerialerlasse haben zwar vielfältig nachzuhelfen versucht; allein was der
eine Minister aus Rücksicht auf die Bedürfnisse des Verkehrs gewährt hat,
kann der andere in seiner pflichtschuldigen Sorge für die Staatseinkünfte
wieder entziehen zu müssen glauben, und dann ist der Spielraum natürlich
auch sehr eng begrenzt, innerhalb dessen sich auf diesem Wege ein Gesetz ver¬
bessern läßt, dessen ganzer Geist dem Wesen der Gegenwart zuwiderläuft.
Der Ausschuß des Handelstags dringt daher mit Recht auf eine ganz neue
Gesetzgebung. An Vorarbeiten zu derselben mangelt es nicht. Abgesehen
von den Schätzen, welche sich in den Acten und den Köpfen der Behörden
im Lauf von drei Jahrzehnten angehäuft haben müssen, haben namentlich
Königsberg, Leipzig und die Hansestädte eingehende Erörterungen geliefert,
welche dem Bundesrath und dem Parlament ihre Aufgabe wesentlich erleich¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/510>, abgerufen am 01.07.2024.