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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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begründeten. Namen wie Desiderius Erasmus, Herrmann von dem
Busche, Johann Murmel. Johann Cäsarius, Conrad Goclenius
genügen, um zu zeigen, welche Schüler er bildete. Klaren und kräftigen
Geistes vermochte er, ein Schüler von Thomas a Kempis, die Fesseln
der scholastischen Disciplin abzustreifen und verschmähete nicht, von jüngeren
Mitschülern und Freunden, denen es gelungen war, in Italien an der Quelle
des Humanismus zu schöpfen, wie Rudolf Agricola und Rudolf von
Lange, zu lernen, um sich der griechischen und lateinischen Sprache völlig
zu bemeistern. Unbestritten ist sein Verdienst, die Methode des Unterrichts
gereinigt und vereinfacht, die alten Lehrbücher verbannt oder verbessert, die
Lecture der Alten in ihr Recht eingesetzt, der Schulbildung die Richtung
gegeben zu haben, welche sie zur Trägerin eines neuen geistigen Lebens
machte. Er war einer von jenen geborenen Lehrernaturen, welche unwill¬
kürlich durch ihr Wesen, durch Erscheinung, BeHaben und Leben belehren,
bilden und erziehen, die in den verschiedensten Schülern die geistige und sitt¬
liche Kraft wecken und stärken, auf jeden seiner Art gemäß einwirken, und
in dieser Thätigkeit volle Befriedigung finden. Wie Erasmus nichts an
ihm auszusetzen weiß, als daß er für seinen Ruhm als Schriftsteller nicht be¬
sorgt genug gewesen sei, so verstand er auch nicht, Geld und Gut zu sam¬
meln. Bei dem außerordentlichen Zudrang zu seiner Schule erwarb er nicht
wenig, lebte einfach und hinterließ doch bei seinem Tode kein Vermögen;
er war ein Vater seiner dürftigen Schüler gewesen, und hatte mit ihnen ge¬
theilt, was ihm die bemittelten zahlten. Ein Blick auf den sittlichen Ernst
und die edle Bescheidenheit einer so großartigen, tiefgreifenden Wirksamkeit
vermag uns zu entschädigen,-wenn auf die Anfänge der Humanitätsstudien
in Deutschland kaum ein Streiflicht von dem hellen Glänze fällt, in welchem
sie in Italien strahlen und nur "zu oft auch prunken.

Nicht ohne Mühe erlangte Johannes von dem Abt -- zugleich mit
seinem Eintritt war Johann von Segen zum Abt erwählt worden
die Erlaubniß, in Deventer wieder die Studien zu beginnen, und stellte sich
mit Empfehlungen wohl versehen dem verehrten Rector vor. Hegius prüfte
ihn und schüttelte den Kopf, denn der neue Schüler wußte auf gar keine
Frage Bescheid zu geben, nur weil die Briefe gar so dringlich lauteten, setzte
er ihn zur Probe in die siebente Classe, um mit den kleinen Kindern die An¬
fangsgründe der Grammatik zu lernen. Er bestand die Probe nicht, Hunger
und Kälte, Scham' und Verlegenheit trieben ihn bald, die Schüler im Stich
zu lassen, er war froh, daß man ihn in seinem Kloster wieder als Laien¬
bruder aufnahm. Und doch ließ es ihm nun hier keine Ruhe, daß er nicht
Geistlicher werden sollte. Als er einstmal den Abt nach Frankfurt begleitete,
traf er dort seine Mutter. Diese, welche den sehnlicher Wunsch ihres ver"


begründeten. Namen wie Desiderius Erasmus, Herrmann von dem
Busche, Johann Murmel. Johann Cäsarius, Conrad Goclenius
genügen, um zu zeigen, welche Schüler er bildete. Klaren und kräftigen
Geistes vermochte er, ein Schüler von Thomas a Kempis, die Fesseln
der scholastischen Disciplin abzustreifen und verschmähete nicht, von jüngeren
Mitschülern und Freunden, denen es gelungen war, in Italien an der Quelle
des Humanismus zu schöpfen, wie Rudolf Agricola und Rudolf von
Lange, zu lernen, um sich der griechischen und lateinischen Sprache völlig
zu bemeistern. Unbestritten ist sein Verdienst, die Methode des Unterrichts
gereinigt und vereinfacht, die alten Lehrbücher verbannt oder verbessert, die
Lecture der Alten in ihr Recht eingesetzt, der Schulbildung die Richtung
gegeben zu haben, welche sie zur Trägerin eines neuen geistigen Lebens
machte. Er war einer von jenen geborenen Lehrernaturen, welche unwill¬
kürlich durch ihr Wesen, durch Erscheinung, BeHaben und Leben belehren,
bilden und erziehen, die in den verschiedensten Schülern die geistige und sitt¬
liche Kraft wecken und stärken, auf jeden seiner Art gemäß einwirken, und
in dieser Thätigkeit volle Befriedigung finden. Wie Erasmus nichts an
ihm auszusetzen weiß, als daß er für seinen Ruhm als Schriftsteller nicht be¬
sorgt genug gewesen sei, so verstand er auch nicht, Geld und Gut zu sam¬
meln. Bei dem außerordentlichen Zudrang zu seiner Schule erwarb er nicht
wenig, lebte einfach und hinterließ doch bei seinem Tode kein Vermögen;
er war ein Vater seiner dürftigen Schüler gewesen, und hatte mit ihnen ge¬
theilt, was ihm die bemittelten zahlten. Ein Blick auf den sittlichen Ernst
und die edle Bescheidenheit einer so großartigen, tiefgreifenden Wirksamkeit
vermag uns zu entschädigen,-wenn auf die Anfänge der Humanitätsstudien
in Deutschland kaum ein Streiflicht von dem hellen Glänze fällt, in welchem
sie in Italien strahlen und nur "zu oft auch prunken.

Nicht ohne Mühe erlangte Johannes von dem Abt — zugleich mit
seinem Eintritt war Johann von Segen zum Abt erwählt worden
die Erlaubniß, in Deventer wieder die Studien zu beginnen, und stellte sich
mit Empfehlungen wohl versehen dem verehrten Rector vor. Hegius prüfte
ihn und schüttelte den Kopf, denn der neue Schüler wußte auf gar keine
Frage Bescheid zu geben, nur weil die Briefe gar so dringlich lauteten, setzte
er ihn zur Probe in die siebente Classe, um mit den kleinen Kindern die An¬
fangsgründe der Grammatik zu lernen. Er bestand die Probe nicht, Hunger
und Kälte, Scham' und Verlegenheit trieben ihn bald, die Schüler im Stich
zu lassen, er war froh, daß man ihn in seinem Kloster wieder als Laien¬
bruder aufnahm. Und doch ließ es ihm nun hier keine Ruhe, daß er nicht
Geistlicher werden sollte. Als er einstmal den Abt nach Frankfurt begleitete,
traf er dort seine Mutter. Diese, welche den sehnlicher Wunsch ihres ver»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/500>, abgerufen am 22.07.2024.