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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Stoffen zeigt seine gründliche Schneiderbildung -- und besonders beschwerte
es sein Gewissen, daß er so manches gute Stück Tuch in den Kasten fallen
lassen mußte, der unter dem Arbeitstisch stand und das Auge hieß, damit
man den Kunden mit gutem Gewissen betheuern konnte, es sei auch nicht
soviel zurückbehalten, als man im Auge leiden könne. Für alles entschädigte
ihn der Gedanke: du bist in Deutschland! und endlich ging auch diese Prü-
fungszeit vorüber, als freigesprochener Gesell besah sich Hans erst die frank¬
furter Messe und nahm dann Arbeit in Mainz, Hier suchte und fand er
Gelegenheit, mit Geistlichen zu verkehren, und besuchte fleißig die Klöster, zu
dene.: er sich innerlich hingezogen fühlte. In diesem Umgang steigerte sich
der Wunsch, selbst einem Kloster anzugehören, und er war glücklich, als
er es dahin brachte, als Laienbruder im Kloster Se. Johannisberg
im herrlichen gesegneten Rheingau ausgenommen zu werden. Den Schnitt
der Klostertracht hatte er in einem benachbarten Kloster in wenig Wochen
gelernt, und nun saß er da in einer schönen über dem Krankensaal gelegenen
Werkstatt mit köstlicher Aussicht und schneiderte sür die Geistlichen, Laienbrüder
und Dienstleute des Klosters. Auch sonst gab es in dem Kloster, wo es
überhaupt rührig und fleißig herging, genug für ihn zu thun; außer manchem
Kirchendienst mußte er im Hospital zur Hand sein, den Küchenmeister bei -
seinen Markteinkäufen, die Arbeiter im Weinberg und auf den Wiesen unter¬
stützen, den Prälaten und die Conventualen auf Reisen zu Pferde begleiten.
Er wäre hier ganz zufrieden gewesen, wenn nicht der Trieb zu studiren un-
bezwinglich sich wieder in ihm geregt und der Wunsch seines Vaters, daß er
ein Geistlicher werden sollte, ihn wie zu einer Gewissenspflicht gemahnt hätte.
Als es beschlossen worden war, ihn zum Schneider in die Lehre zu geben,
da war ihm und seinem jüngeren Bruder die Gestalt des Vaters erschienen
und hatte ihn wehmüthig flehend angeblickt. Und im Kloster kam eine
neue Vorbedeutung. Als er dort mit einem armen Kranken von seiner
Sehnsucht nach dem geistlichen Stande sprach, löste sich eine Thür von der
Wand und fiel vor ihm nieder, was ihm der Greis wie in prophetischer
Verzückung als ein glückverkündendes Zeichen deutete. Auch jüngere Geist¬
liche redeten ihm zu und riethen ihm, in die Schule zu gehen, von der sie
kamen, die als die Schule aller Schulen galt, nach Deventer zu Hegius,
an den sie ihm Empfehlungsbriefe mitzugeben versprachen.

Alexander Hegius, geb. um 1420 in Westphalen, eröffnete, Nachdem
er in Wesel und Emmerich Rector gewesen war, um 1465 in dem durch
eine Seuche hart mitgenommenen Deventer die Schule, aus welcher, unter
ihm und durch ihn gebildet, eine lange Reihe ausgezeichneter und tüchtiger
Männer hervorging, die durch Schriften und Lehre an Schulen und Univer¬
sitäten classische Studien als das Fundament geistiger Freiheit und Bildung


Grenzboten I. 18V8. 62

Stoffen zeigt seine gründliche Schneiderbildung — und besonders beschwerte
es sein Gewissen, daß er so manches gute Stück Tuch in den Kasten fallen
lassen mußte, der unter dem Arbeitstisch stand und das Auge hieß, damit
man den Kunden mit gutem Gewissen betheuern konnte, es sei auch nicht
soviel zurückbehalten, als man im Auge leiden könne. Für alles entschädigte
ihn der Gedanke: du bist in Deutschland! und endlich ging auch diese Prü-
fungszeit vorüber, als freigesprochener Gesell besah sich Hans erst die frank¬
furter Messe und nahm dann Arbeit in Mainz, Hier suchte und fand er
Gelegenheit, mit Geistlichen zu verkehren, und besuchte fleißig die Klöster, zu
dene.: er sich innerlich hingezogen fühlte. In diesem Umgang steigerte sich
der Wunsch, selbst einem Kloster anzugehören, und er war glücklich, als
er es dahin brachte, als Laienbruder im Kloster Se. Johannisberg
im herrlichen gesegneten Rheingau ausgenommen zu werden. Den Schnitt
der Klostertracht hatte er in einem benachbarten Kloster in wenig Wochen
gelernt, und nun saß er da in einer schönen über dem Krankensaal gelegenen
Werkstatt mit köstlicher Aussicht und schneiderte sür die Geistlichen, Laienbrüder
und Dienstleute des Klosters. Auch sonst gab es in dem Kloster, wo es
überhaupt rührig und fleißig herging, genug für ihn zu thun; außer manchem
Kirchendienst mußte er im Hospital zur Hand sein, den Küchenmeister bei -
seinen Markteinkäufen, die Arbeiter im Weinberg und auf den Wiesen unter¬
stützen, den Prälaten und die Conventualen auf Reisen zu Pferde begleiten.
Er wäre hier ganz zufrieden gewesen, wenn nicht der Trieb zu studiren un-
bezwinglich sich wieder in ihm geregt und der Wunsch seines Vaters, daß er
ein Geistlicher werden sollte, ihn wie zu einer Gewissenspflicht gemahnt hätte.
Als es beschlossen worden war, ihn zum Schneider in die Lehre zu geben,
da war ihm und seinem jüngeren Bruder die Gestalt des Vaters erschienen
und hatte ihn wehmüthig flehend angeblickt. Und im Kloster kam eine
neue Vorbedeutung. Als er dort mit einem armen Kranken von seiner
Sehnsucht nach dem geistlichen Stande sprach, löste sich eine Thür von der
Wand und fiel vor ihm nieder, was ihm der Greis wie in prophetischer
Verzückung als ein glückverkündendes Zeichen deutete. Auch jüngere Geist¬
liche redeten ihm zu und riethen ihm, in die Schule zu gehen, von der sie
kamen, die als die Schule aller Schulen galt, nach Deventer zu Hegius,
an den sie ihm Empfehlungsbriefe mitzugeben versprachen.

Alexander Hegius, geb. um 1420 in Westphalen, eröffnete, Nachdem
er in Wesel und Emmerich Rector gewesen war, um 1465 in dem durch
eine Seuche hart mitgenommenen Deventer die Schule, aus welcher, unter
ihm und durch ihn gebildet, eine lange Reihe ausgezeichneter und tüchtiger
Männer hervorging, die durch Schriften und Lehre an Schulen und Univer¬
sitäten classische Studien als das Fundament geistiger Freiheit und Bildung


Grenzboten I. 18V8. 62
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[0499] Stoffen zeigt seine gründliche Schneiderbildung — und besonders beschwerte es sein Gewissen, daß er so manches gute Stück Tuch in den Kasten fallen lassen mußte, der unter dem Arbeitstisch stand und das Auge hieß, damit man den Kunden mit gutem Gewissen betheuern konnte, es sei auch nicht soviel zurückbehalten, als man im Auge leiden könne. Für alles entschädigte ihn der Gedanke: du bist in Deutschland! und endlich ging auch diese Prü- fungszeit vorüber, als freigesprochener Gesell besah sich Hans erst die frank¬ furter Messe und nahm dann Arbeit in Mainz, Hier suchte und fand er Gelegenheit, mit Geistlichen zu verkehren, und besuchte fleißig die Klöster, zu dene.: er sich innerlich hingezogen fühlte. In diesem Umgang steigerte sich der Wunsch, selbst einem Kloster anzugehören, und er war glücklich, als er es dahin brachte, als Laienbruder im Kloster Se. Johannisberg im herrlichen gesegneten Rheingau ausgenommen zu werden. Den Schnitt der Klostertracht hatte er in einem benachbarten Kloster in wenig Wochen gelernt, und nun saß er da in einer schönen über dem Krankensaal gelegenen Werkstatt mit köstlicher Aussicht und schneiderte sür die Geistlichen, Laienbrüder und Dienstleute des Klosters. Auch sonst gab es in dem Kloster, wo es überhaupt rührig und fleißig herging, genug für ihn zu thun; außer manchem Kirchendienst mußte er im Hospital zur Hand sein, den Küchenmeister bei - seinen Markteinkäufen, die Arbeiter im Weinberg und auf den Wiesen unter¬ stützen, den Prälaten und die Conventualen auf Reisen zu Pferde begleiten. Er wäre hier ganz zufrieden gewesen, wenn nicht der Trieb zu studiren un- bezwinglich sich wieder in ihm geregt und der Wunsch seines Vaters, daß er ein Geistlicher werden sollte, ihn wie zu einer Gewissenspflicht gemahnt hätte. Als es beschlossen worden war, ihn zum Schneider in die Lehre zu geben, da war ihm und seinem jüngeren Bruder die Gestalt des Vaters erschienen und hatte ihn wehmüthig flehend angeblickt. Und im Kloster kam eine neue Vorbedeutung. Als er dort mit einem armen Kranken von seiner Sehnsucht nach dem geistlichen Stande sprach, löste sich eine Thür von der Wand und fiel vor ihm nieder, was ihm der Greis wie in prophetischer Verzückung als ein glückverkündendes Zeichen deutete. Auch jüngere Geist¬ liche redeten ihm zu und riethen ihm, in die Schule zu gehen, von der sie kamen, die als die Schule aller Schulen galt, nach Deventer zu Hegius, an den sie ihm Empfehlungsbriefe mitzugeben versprachen. Alexander Hegius, geb. um 1420 in Westphalen, eröffnete, Nachdem er in Wesel und Emmerich Rector gewesen war, um 1465 in dem durch eine Seuche hart mitgenommenen Deventer die Schule, aus welcher, unter ihm und durch ihn gebildet, eine lange Reihe ausgezeichneter und tüchtiger Männer hervorging, die durch Schriften und Lehre an Schulen und Univer¬ sitäten classische Studien als das Fundament geistiger Freiheit und Bildung Grenzboten I. 18V8. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/499>, abgerufen am 02.10.2024.