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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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und bediente bald im Stall oder auf der Weide das Vieh, bald als Kämmer¬
ling oder Reitknecht in der Burg oder am Hoflager die Herrschaft. Fünf
Jahre verlebte er unter mancherlei Abenteuern in einem Lande, dessen Sprache
ihm, wiewohl er sie sich jetzt bald aneignete, so barbarisch erschien, daß er,
wenn die Burschen den Mädchen Ständchen brachten, immer glaubte, es
werde Mord und Feuer geschrieen, weil alle sich bei den Köpfen haben.
Fühlte er sich auch zu Zeiten geschmeichelt, wenn die Bauern, die jeden
Fremden für einen Vornehmen hielten, ihn als Pan (Herr) Hansle an¬
redeten, so stießen ihn doch Land und Leute ab, er konnte sich dort nicht
heimisch fühlen. Von den'Räuberbanden in den böhmischen Wäldern, von
ungeschlachten Sitten, von Ketzerei und Aberglauben weiß er zu berichten.
Doch ließ er sich sympathetische Euren wenig einladender Natur gefallen,
deren Sündlichkeit ihm freilich später in der Beichte klar gemacht wurde; aber
wahr muß wahr bleiben: geholfen hatten sie ihm. Doch als eine alte
Hexe, deren es damals in Böhmen viele gab -- diese war freilich aus Deutsch¬
land dahin gekommen --, sich erbot, in eine schwarze Kuh verwandelt ihn
in einem Tag und einer Nacht über Berg und Thal, durch Wälder und
Flüsse nach Deutschland zu tragen, verwünschte er sie, wo sie hin gehörte,
ins höllische Feuer, so groß sein Verlangen nach der Heimath auch war.
Aber ohne übernatürliche Künste fortzukommen war nicht leicht, überall paßte
man ihm scharf auf und hielt seine guten Kleider und Sachen unter Ver¬
schluß. Die mußte er auch im Stich lassen, als es ihm endlich durch einen
glücklichen Zufall gelang, seiner Herrschaft zu entwischen und dann über die
Grenze zu kommen. Und als er erst in Deutschland war, da ließ es ihm
keine Ruhe, bis er mit Hilfe wohlthätiger Menschen auch seine Vaterstadt
erreichte.

Als Doctor kam er freilich nicht wieder nach Miltenberg und statt latei¬
nisch brachte er nur böhmisch mit, die Freude über seine Wiederkehr bei Ver¬
wandten und Bekannten war darum nicht minder groß. Seine Mutter, die
ihn schon verloren gegeben hatte, war überglücklich, aber mit einer Trauer¬
kunde empfing sie ihn, die ihn bittere Thränen kostete: sein Vater war wäh¬
rend seiner Abwesenheit gestorben. Seine Mutter hatte sich wieder verhei-
rathet und in seinem Stiefvater fand er einen braven Mann, der ihn mit
herzlicher Liebe aufnahm und für ihn Sorge trug, wie für sein eigenes Kind.
Der Gedanke an gelehrte Studien wurde jetzt ganz aufgegeben; Hans ent¬
schloß sich, Schneider zu werden und wurde zu einem tüchtigen Meister in
einem benachbarten Ort in die Lehre gegeben und die Lehrzeit auf zwei Jahre
bedungen. Sie wurden ihm herzlich sauer, er wurde schlecht und hart gehalten,
mußte viele leidige Knechtsdienste thun, es war ihm auch gar nicht recht, so
der Eitelkeit der Welt zu dienen -- ein langes Register von Mustern und


und bediente bald im Stall oder auf der Weide das Vieh, bald als Kämmer¬
ling oder Reitknecht in der Burg oder am Hoflager die Herrschaft. Fünf
Jahre verlebte er unter mancherlei Abenteuern in einem Lande, dessen Sprache
ihm, wiewohl er sie sich jetzt bald aneignete, so barbarisch erschien, daß er,
wenn die Burschen den Mädchen Ständchen brachten, immer glaubte, es
werde Mord und Feuer geschrieen, weil alle sich bei den Köpfen haben.
Fühlte er sich auch zu Zeiten geschmeichelt, wenn die Bauern, die jeden
Fremden für einen Vornehmen hielten, ihn als Pan (Herr) Hansle an¬
redeten, so stießen ihn doch Land und Leute ab, er konnte sich dort nicht
heimisch fühlen. Von den'Räuberbanden in den böhmischen Wäldern, von
ungeschlachten Sitten, von Ketzerei und Aberglauben weiß er zu berichten.
Doch ließ er sich sympathetische Euren wenig einladender Natur gefallen,
deren Sündlichkeit ihm freilich später in der Beichte klar gemacht wurde; aber
wahr muß wahr bleiben: geholfen hatten sie ihm. Doch als eine alte
Hexe, deren es damals in Böhmen viele gab — diese war freilich aus Deutsch¬
land dahin gekommen —, sich erbot, in eine schwarze Kuh verwandelt ihn
in einem Tag und einer Nacht über Berg und Thal, durch Wälder und
Flüsse nach Deutschland zu tragen, verwünschte er sie, wo sie hin gehörte,
ins höllische Feuer, so groß sein Verlangen nach der Heimath auch war.
Aber ohne übernatürliche Künste fortzukommen war nicht leicht, überall paßte
man ihm scharf auf und hielt seine guten Kleider und Sachen unter Ver¬
schluß. Die mußte er auch im Stich lassen, als es ihm endlich durch einen
glücklichen Zufall gelang, seiner Herrschaft zu entwischen und dann über die
Grenze zu kommen. Und als er erst in Deutschland war, da ließ es ihm
keine Ruhe, bis er mit Hilfe wohlthätiger Menschen auch seine Vaterstadt
erreichte.

Als Doctor kam er freilich nicht wieder nach Miltenberg und statt latei¬
nisch brachte er nur böhmisch mit, die Freude über seine Wiederkehr bei Ver¬
wandten und Bekannten war darum nicht minder groß. Seine Mutter, die
ihn schon verloren gegeben hatte, war überglücklich, aber mit einer Trauer¬
kunde empfing sie ihn, die ihn bittere Thränen kostete: sein Vater war wäh¬
rend seiner Abwesenheit gestorben. Seine Mutter hatte sich wieder verhei-
rathet und in seinem Stiefvater fand er einen braven Mann, der ihn mit
herzlicher Liebe aufnahm und für ihn Sorge trug, wie für sein eigenes Kind.
Der Gedanke an gelehrte Studien wurde jetzt ganz aufgegeben; Hans ent¬
schloß sich, Schneider zu werden und wurde zu einem tüchtigen Meister in
einem benachbarten Ort in die Lehre gegeben und die Lehrzeit auf zwei Jahre
bedungen. Sie wurden ihm herzlich sauer, er wurde schlecht und hart gehalten,
mußte viele leidige Knechtsdienste thun, es war ihm auch gar nicht recht, so
der Eitelkeit der Welt zu dienen — ein langes Register von Mustern und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/498>, abgerufen am 24.08.2024.