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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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der Grund zu dem Gerücht von der Concentration revolutionärer Banden
gewesen. Sieht die Pforte diesen Emigrationen ruhig zu und läßt sie es
geschehen, daß Rumänien mit Hilfe derselben im Stillen seine Wehrkraft er¬
höht, so steht die Sache aber in Wahrheit sehr viel schlimmer, als wenn Ban¬
den gebildet würden, denn es fehlt der formelle Grund zum Einschreiten der
Schutzmächte, so lange die äußere Ruhe nicht gestört wird. Festzustellen,
wer Alles in der rumänischen Armee dient, hat seine großen Schwierigkeiten
und aus diesem Grunde sind die einzelnen Verhaftungen, welche Mithad-
Pascha an aus Buckarest nach Bulgarien zurückgekehrten Handelsleuten vor¬
nehmen ließ, durchaus resultatlos geblieben, d. h. sie haben zu keinerlei Ent¬
deckungen revolutionärer Umtriebe geführt. Daß die moldau-wallachische Re¬
gierung darauf sinnt, sich kommenden Eventualitäten gegenüber möglichste
Freiheit des Handelns zu sichern, geht schon aus den Anstrengungen hervor,
welche gegenwärtig gemacht werden, um die Handlungen der Minister wenigstens
für einige Zeit von der konstitutionellen Controle zu emancipiren. Die durch
polnische Verbindungen sehr wohl unterrichtete, zu Paris neuerdings begrün¬
dete " Lorrssxoväg.mes An Uorä-Lst" brachte dieser Tage die Mittheilung,
es sei Bratiano, dem Minister des Innern, nach ziemlich harten Kämpfen
gelungen, eine Bill durchzubringen, deren § 6 u. A. bestimmt, daß Ab¬
weichungen vom Gesetz, welche ein Minister "direct im Interesse des Staats
vornehme", unbestraft bleiben sollten, sobald dieses Interesse gehörig nach¬
gewiesen worden! -- Höchst charakteristisch für die Richtung, welche die Moldau-
Wallachische Unabhängigkeitspolitik neuerdings einzuschlagen begonnen hat,
ist ferner eine Rede, welche derselbe Bratiano in den letzten Februar-Tagen
in einer Volksversammlung gehalten hat und über welche das erwähnte russi¬
sche Journal gleichfalls ausführlich berichtet. "Die Moldau-Wallachei ist
Frankreich stets dankbar gewesen und wird dieser Macht für das Gute dankbar
bleiben, das dieselbe ihr auf dem pariser Congreß erwiesen hat*). Wäre
Frankreich nicht dagewesen, wir hätten es niemals zu unserer gegenwärtigen
Stellung gebracht. Die Moldau-Wallachei wird gegen ihre Wohlthäterin
niemals die Hand erheben -- sie ist aber verpflichtet, zugleich gute Beziehun¬
gen zu den übrigen Schutzmächten aufrecht zu erhalten und diese sind uns
zur Zeit wohl geneigt -- ja sie sind bereit, uns überall und in jeder
Beziehung zu unterstützen. Die Moldau-Wallachei leidet an Vielem
Noth, vor Allem bedarf sie bis zu ihrer vollständigen inneren Orga-



") Frankreich verwandte sich im I. 18S9 bekanntlich dafür, daß Kusa als Hospodar
beider Fürstenthümer anerkannt wurde, und zwar gegen den Wortlaut der Verträge. Ruß"
land, das der Erhebung Karls v. Hohenjollem anfangs feindlich war und die Aufrechterhal-
tung der Union bekämpfte, hat sich neuerdings mit den Rumänen ausgesöhnt, ihre Unab-
hängigkeitsbestrel'ungen gefördert und dadurch Frankreich, das die Interessen der Pforte be¬
rücksichtigt wissen will, den Rang abgelaufen.

der Grund zu dem Gerücht von der Concentration revolutionärer Banden
gewesen. Sieht die Pforte diesen Emigrationen ruhig zu und läßt sie es
geschehen, daß Rumänien mit Hilfe derselben im Stillen seine Wehrkraft er¬
höht, so steht die Sache aber in Wahrheit sehr viel schlimmer, als wenn Ban¬
den gebildet würden, denn es fehlt der formelle Grund zum Einschreiten der
Schutzmächte, so lange die äußere Ruhe nicht gestört wird. Festzustellen,
wer Alles in der rumänischen Armee dient, hat seine großen Schwierigkeiten
und aus diesem Grunde sind die einzelnen Verhaftungen, welche Mithad-
Pascha an aus Buckarest nach Bulgarien zurückgekehrten Handelsleuten vor¬
nehmen ließ, durchaus resultatlos geblieben, d. h. sie haben zu keinerlei Ent¬
deckungen revolutionärer Umtriebe geführt. Daß die moldau-wallachische Re¬
gierung darauf sinnt, sich kommenden Eventualitäten gegenüber möglichste
Freiheit des Handelns zu sichern, geht schon aus den Anstrengungen hervor,
welche gegenwärtig gemacht werden, um die Handlungen der Minister wenigstens
für einige Zeit von der konstitutionellen Controle zu emancipiren. Die durch
polnische Verbindungen sehr wohl unterrichtete, zu Paris neuerdings begrün¬
dete „ Lorrssxoväg.mes An Uorä-Lst" brachte dieser Tage die Mittheilung,
es sei Bratiano, dem Minister des Innern, nach ziemlich harten Kämpfen
gelungen, eine Bill durchzubringen, deren § 6 u. A. bestimmt, daß Ab¬
weichungen vom Gesetz, welche ein Minister „direct im Interesse des Staats
vornehme", unbestraft bleiben sollten, sobald dieses Interesse gehörig nach¬
gewiesen worden! — Höchst charakteristisch für die Richtung, welche die Moldau-
Wallachische Unabhängigkeitspolitik neuerdings einzuschlagen begonnen hat,
ist ferner eine Rede, welche derselbe Bratiano in den letzten Februar-Tagen
in einer Volksversammlung gehalten hat und über welche das erwähnte russi¬
sche Journal gleichfalls ausführlich berichtet. „Die Moldau-Wallachei ist
Frankreich stets dankbar gewesen und wird dieser Macht für das Gute dankbar
bleiben, das dieselbe ihr auf dem pariser Congreß erwiesen hat*). Wäre
Frankreich nicht dagewesen, wir hätten es niemals zu unserer gegenwärtigen
Stellung gebracht. Die Moldau-Wallachei wird gegen ihre Wohlthäterin
niemals die Hand erheben — sie ist aber verpflichtet, zugleich gute Beziehun¬
gen zu den übrigen Schutzmächten aufrecht zu erhalten und diese sind uns
zur Zeit wohl geneigt — ja sie sind bereit, uns überall und in jeder
Beziehung zu unterstützen. Die Moldau-Wallachei leidet an Vielem
Noth, vor Allem bedarf sie bis zu ihrer vollständigen inneren Orga-



") Frankreich verwandte sich im I. 18S9 bekanntlich dafür, daß Kusa als Hospodar
beider Fürstenthümer anerkannt wurde, und zwar gegen den Wortlaut der Verträge. Ruß«
land, das der Erhebung Karls v. Hohenjollem anfangs feindlich war und die Aufrechterhal-
tung der Union bekämpfte, hat sich neuerdings mit den Rumänen ausgesöhnt, ihre Unab-
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rücksichtigt wissen will, den Rang abgelaufen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/482>, abgerufen am 24.08.2024.