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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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schweigsamer und zurückhaltender zusieht, als seit langer Zeit, die Moskaner
Presse dieselben fast vollständig ignorirt. Zieht man ferner in Betracht, daß
Galizien ohne Frage das geordneteste und bestregierteste Land des gesammten
slavischen Südostens ist und in dieser Beziehung weder mit Rumänien noch
mit Serbien oder der Herzegowina verglichen werden kann, so erscheint nicht
übertrieben, wenn dieser ganze Theil Europas mit einem Pulverfasse ver¬
glichen wird, das durch den ersten Funken, -- mag er von Osten oder von
Süden oder Westen her geschleudert werden -- zu furchtbarer Erplosion ge¬
bracht werden kann.

Gehen wir von Galizien zu dem rumänischen Staat der Moldau-Wal¬
lachen über. Seit dem Tage Peters des Großen daran gewöhnt, Rußland als
seinen Hauptschutz gegen die Pforte anzusehen, hat dieses Fürstenthum durch
Absenkung einer außerordentlichen Gesandtschaft nach Se. Petersburg und
durch Ansammlung beträchtlicher Streitkräfte (es sollen mit Einschluß der
Milizen 30,000 Mann sein) zu Besorgnissen vor einer Störung des Friedens
besondere Veranlassung geboten. Neuerdings wird allerdings gemeldet, das
Land werde nicht von russischen Agenten durchzogen und in demselben sam¬
melten sich keine Freischaaren an: nach den übrigen aus diesem mysteriösen
Erdwinkel einlaufenden directen Nachrichten zu urtheilen bedarf es aber dieser
besonderen Agitationsmittel gar nicht, um das Land in Aufregung zu er¬
halten. Das oben erwähnte Lemberger Journal theilt seinen Lesern als welt¬
bekannte Nachricht mit. daß Fürst Karl zwar nicht die Türkei angreifen, sich
aber demnächst zum unabhängigen Könige von Rumänien erklären wolle und
der Zustimmung der Cabinette von Berlin und Petersberg im voraus gewiß
sei -- eine Auffassung der neuesten in Buckarest vorbereiteten Schritte, die
unseres Wissens noch in keine deutsche oder französische Zeitung den Weg
gefunden hat. Damit stimmt, was die slavischen und russischen Journale
sonst aus Rumänien melden; wie dem Golos Ende Februar aus Buckarest
geschrieben wird, nimmt die Zahl der in die Wallachei geflüchteten bulgari¬
schen Unzufriedenen täglich zu. Schon Mitte des vorigen Monats betrug
ihre Zahl über 2000 und die türkischen Behörden sollen das Mögliche thun,
um diese Auswanderung zu begünstigen. "Wenn diese unruhigen Leute außer¬
halb unseres Staats leben", hat der neue Minister Mithad-Pascha dem eng¬
lischen General Consul Longworth auf dessen bezügliche Anzeige geantwor¬
tet, so kann ich ihre Schritte genau überwachen lassen und von all ihren
Umtrieben Kunde erhalten: gegen sie interveniren zulassen, steht mir völker¬
rechtlich zu und ich habe die Mittel, solches herbeizuführen. Bleiben sie in
der Türkei, so können sie die Landbewohner zu einem Aufstande veranlassen
und dann haben wir Türken Alles zu verlieren." Daß viele dieser Aus¬
wanderer rumänische Dienste genommen haben, ist aller Wahrscheinlichkeit nach


schweigsamer und zurückhaltender zusieht, als seit langer Zeit, die Moskaner
Presse dieselben fast vollständig ignorirt. Zieht man ferner in Betracht, daß
Galizien ohne Frage das geordneteste und bestregierteste Land des gesammten
slavischen Südostens ist und in dieser Beziehung weder mit Rumänien noch
mit Serbien oder der Herzegowina verglichen werden kann, so erscheint nicht
übertrieben, wenn dieser ganze Theil Europas mit einem Pulverfasse ver¬
glichen wird, das durch den ersten Funken, — mag er von Osten oder von
Süden oder Westen her geschleudert werden — zu furchtbarer Erplosion ge¬
bracht werden kann.

Gehen wir von Galizien zu dem rumänischen Staat der Moldau-Wal¬
lachen über. Seit dem Tage Peters des Großen daran gewöhnt, Rußland als
seinen Hauptschutz gegen die Pforte anzusehen, hat dieses Fürstenthum durch
Absenkung einer außerordentlichen Gesandtschaft nach Se. Petersburg und
durch Ansammlung beträchtlicher Streitkräfte (es sollen mit Einschluß der
Milizen 30,000 Mann sein) zu Besorgnissen vor einer Störung des Friedens
besondere Veranlassung geboten. Neuerdings wird allerdings gemeldet, das
Land werde nicht von russischen Agenten durchzogen und in demselben sam¬
melten sich keine Freischaaren an: nach den übrigen aus diesem mysteriösen
Erdwinkel einlaufenden directen Nachrichten zu urtheilen bedarf es aber dieser
besonderen Agitationsmittel gar nicht, um das Land in Aufregung zu er¬
halten. Das oben erwähnte Lemberger Journal theilt seinen Lesern als welt¬
bekannte Nachricht mit. daß Fürst Karl zwar nicht die Türkei angreifen, sich
aber demnächst zum unabhängigen Könige von Rumänien erklären wolle und
der Zustimmung der Cabinette von Berlin und Petersberg im voraus gewiß
sei — eine Auffassung der neuesten in Buckarest vorbereiteten Schritte, die
unseres Wissens noch in keine deutsche oder französische Zeitung den Weg
gefunden hat. Damit stimmt, was die slavischen und russischen Journale
sonst aus Rumänien melden; wie dem Golos Ende Februar aus Buckarest
geschrieben wird, nimmt die Zahl der in die Wallachei geflüchteten bulgari¬
schen Unzufriedenen täglich zu. Schon Mitte des vorigen Monats betrug
ihre Zahl über 2000 und die türkischen Behörden sollen das Mögliche thun,
um diese Auswanderung zu begünstigen. „Wenn diese unruhigen Leute außer¬
halb unseres Staats leben", hat der neue Minister Mithad-Pascha dem eng¬
lischen General Consul Longworth auf dessen bezügliche Anzeige geantwor¬
tet, so kann ich ihre Schritte genau überwachen lassen und von all ihren
Umtrieben Kunde erhalten: gegen sie interveniren zulassen, steht mir völker¬
rechtlich zu und ich habe die Mittel, solches herbeizuführen. Bleiben sie in
der Türkei, so können sie die Landbewohner zu einem Aufstande veranlassen
und dann haben wir Türken Alles zu verlieren." Daß viele dieser Aus¬
wanderer rumänische Dienste genommen haben, ist aller Wahrscheinlichkeit nach


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[0481] schweigsamer und zurückhaltender zusieht, als seit langer Zeit, die Moskaner Presse dieselben fast vollständig ignorirt. Zieht man ferner in Betracht, daß Galizien ohne Frage das geordneteste und bestregierteste Land des gesammten slavischen Südostens ist und in dieser Beziehung weder mit Rumänien noch mit Serbien oder der Herzegowina verglichen werden kann, so erscheint nicht übertrieben, wenn dieser ganze Theil Europas mit einem Pulverfasse ver¬ glichen wird, das durch den ersten Funken, — mag er von Osten oder von Süden oder Westen her geschleudert werden — zu furchtbarer Erplosion ge¬ bracht werden kann. Gehen wir von Galizien zu dem rumänischen Staat der Moldau-Wal¬ lachen über. Seit dem Tage Peters des Großen daran gewöhnt, Rußland als seinen Hauptschutz gegen die Pforte anzusehen, hat dieses Fürstenthum durch Absenkung einer außerordentlichen Gesandtschaft nach Se. Petersburg und durch Ansammlung beträchtlicher Streitkräfte (es sollen mit Einschluß der Milizen 30,000 Mann sein) zu Besorgnissen vor einer Störung des Friedens besondere Veranlassung geboten. Neuerdings wird allerdings gemeldet, das Land werde nicht von russischen Agenten durchzogen und in demselben sam¬ melten sich keine Freischaaren an: nach den übrigen aus diesem mysteriösen Erdwinkel einlaufenden directen Nachrichten zu urtheilen bedarf es aber dieser besonderen Agitationsmittel gar nicht, um das Land in Aufregung zu er¬ halten. Das oben erwähnte Lemberger Journal theilt seinen Lesern als welt¬ bekannte Nachricht mit. daß Fürst Karl zwar nicht die Türkei angreifen, sich aber demnächst zum unabhängigen Könige von Rumänien erklären wolle und der Zustimmung der Cabinette von Berlin und Petersberg im voraus gewiß sei — eine Auffassung der neuesten in Buckarest vorbereiteten Schritte, die unseres Wissens noch in keine deutsche oder französische Zeitung den Weg gefunden hat. Damit stimmt, was die slavischen und russischen Journale sonst aus Rumänien melden; wie dem Golos Ende Februar aus Buckarest geschrieben wird, nimmt die Zahl der in die Wallachei geflüchteten bulgari¬ schen Unzufriedenen täglich zu. Schon Mitte des vorigen Monats betrug ihre Zahl über 2000 und die türkischen Behörden sollen das Mögliche thun, um diese Auswanderung zu begünstigen. „Wenn diese unruhigen Leute außer¬ halb unseres Staats leben", hat der neue Minister Mithad-Pascha dem eng¬ lischen General Consul Longworth auf dessen bezügliche Anzeige geantwor¬ tet, so kann ich ihre Schritte genau überwachen lassen und von all ihren Umtrieben Kunde erhalten: gegen sie interveniren zulassen, steht mir völker¬ rechtlich zu und ich habe die Mittel, solches herbeizuführen. Bleiben sie in der Türkei, so können sie die Landbewohner zu einem Aufstande veranlassen und dann haben wir Türken Alles zu verlieren." Daß viele dieser Aus¬ wanderer rumänische Dienste genommen haben, ist aller Wahrscheinlichkeit nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/481>, abgerufen am 24.08.2024.