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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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nisation äußeren Schutzes und diesen darf sie nicht zurückweisen, mag er
ihr von Osten oder von Westen angeboten werden. Sind wir voll¬
kommen organisirt, so haben wir alle Zeit, in Erwägung zu ziehen, mit
wem Freundschaft zu schließen ist, mit wem nicht."

Diese Sprache scheint deutlich genug, um des Commentars entbehren
zu können- Auch wenn keine Banden gebildet, keine Aufstände vorbereitet
werden, ist reichlicher Grund zu der Annahme vorhanden, die Dinge an der
Donau gingen trotz der russischen Zurückhaltung einer entscheidenden Cnfis
entgegen und zwar weil diese das Resultat einer langjährigen natürlichen
Entwickelung ist, die gar keiner Beschleunigung bedarf, um zum Ausbruch
zu kommen. Bemerkenswerth ist, daß der offietelle "russische Invalide" im
Gegensatz zu der zurückhaltender Sprache, die er in letzter Zeit sonst zu führen
begonnen, die östreichische Presse neuerdings zu einer kategorischen Antwort
darüber eingeladen hat, was die k. k. Regierung für den Fall plötzlicher
innerer Ereignisse in den türkischen Grenzländern zu thun gedenke, und daß
die Moskaner Zeitung ziemlich gleichzeitig von den officiellen Petersburger
Journalen verlangt hat, sie sollten wenigstens Alles vermeiden, was zur
Entmuthigung und Demoralisation der "Brüder im Auslande" gereichen
könne.

Ziemlich analog den rumänischen, scheinen die serbischen Zustände zu
sein. Auch Serbien hat seine wichtigsten Rechte russischem Wohlwollen (den
Verträgen von 1812, 1829 und denen der fünfziger Jahre) zu danken; der
Gegensatz zwischen der großserbischen und der panslavistischen Partei ist heute
ausgeglichen, beide haben sich in dem Bestreben nach Befreiung von allen
türkischen Einflüssen vereinigt und verständigt. Auch hier spielen die böh¬
mischen Flüchtlinge eine wichtige Rolle; allein siebenhundert derselben studiren
in der Belgrader Kriegsschule. Gerade wie in Buckarest ist in Belgrad der
französische Einfluß in der Abnahme und will es trotz verzweifelter An¬
strengungen nicht gelingen, denselben neu zu beleben. Ziemlich unverblümt
spricht sich in dieser Beziehung ein Artikel der weitverbreiteten serbischen
Zeitung "Widowdan" aus, der eine Besprechung der im pariser Gelbbuch
veröffentlichten Aktenstücke mit nachstehenden kräftigen Worten schließt: "Die
französische Presse wird Niemandem mehr Furcht einjagen, sie ist außer Stande,
unsere Bestrebungen zu hemmen. Fürst Michael huldigt wie früher den
Grundsätzen einer gemäßigten und friedliebenden Politik, wie sie durch die
Interessen Serbiens gefordert wird. Er wird den Frieden Europas nicht
stören, wenn Europa nur nicht seinem Ehrgefühl (wörtlich: seiner Liebe zur
Ehre) zu nahe tritt." Daß Serbien mit besonderem Eifer rüstet, dürfte aber
nicht nur durch die "Liebe zur Ehre" motivirt sein, welche Fürst Michael
sich offen nachrühmen läßt, sondern zugleich mit der Rücksicht, welche durch


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nisation äußeren Schutzes und diesen darf sie nicht zurückweisen, mag er
ihr von Osten oder von Westen angeboten werden. Sind wir voll¬
kommen organisirt, so haben wir alle Zeit, in Erwägung zu ziehen, mit
wem Freundschaft zu schließen ist, mit wem nicht."

Diese Sprache scheint deutlich genug, um des Commentars entbehren
zu können- Auch wenn keine Banden gebildet, keine Aufstände vorbereitet
werden, ist reichlicher Grund zu der Annahme vorhanden, die Dinge an der
Donau gingen trotz der russischen Zurückhaltung einer entscheidenden Cnfis
entgegen und zwar weil diese das Resultat einer langjährigen natürlichen
Entwickelung ist, die gar keiner Beschleunigung bedarf, um zum Ausbruch
zu kommen. Bemerkenswerth ist, daß der offietelle „russische Invalide" im
Gegensatz zu der zurückhaltender Sprache, die er in letzter Zeit sonst zu führen
begonnen, die östreichische Presse neuerdings zu einer kategorischen Antwort
darüber eingeladen hat, was die k. k. Regierung für den Fall plötzlicher
innerer Ereignisse in den türkischen Grenzländern zu thun gedenke, und daß
die Moskaner Zeitung ziemlich gleichzeitig von den officiellen Petersburger
Journalen verlangt hat, sie sollten wenigstens Alles vermeiden, was zur
Entmuthigung und Demoralisation der „Brüder im Auslande" gereichen
könne.

Ziemlich analog den rumänischen, scheinen die serbischen Zustände zu
sein. Auch Serbien hat seine wichtigsten Rechte russischem Wohlwollen (den
Verträgen von 1812, 1829 und denen der fünfziger Jahre) zu danken; der
Gegensatz zwischen der großserbischen und der panslavistischen Partei ist heute
ausgeglichen, beide haben sich in dem Bestreben nach Befreiung von allen
türkischen Einflüssen vereinigt und verständigt. Auch hier spielen die böh¬
mischen Flüchtlinge eine wichtige Rolle; allein siebenhundert derselben studiren
in der Belgrader Kriegsschule. Gerade wie in Buckarest ist in Belgrad der
französische Einfluß in der Abnahme und will es trotz verzweifelter An¬
strengungen nicht gelingen, denselben neu zu beleben. Ziemlich unverblümt
spricht sich in dieser Beziehung ein Artikel der weitverbreiteten serbischen
Zeitung „Widowdan" aus, der eine Besprechung der im pariser Gelbbuch
veröffentlichten Aktenstücke mit nachstehenden kräftigen Worten schließt: „Die
französische Presse wird Niemandem mehr Furcht einjagen, sie ist außer Stande,
unsere Bestrebungen zu hemmen. Fürst Michael huldigt wie früher den
Grundsätzen einer gemäßigten und friedliebenden Politik, wie sie durch die
Interessen Serbiens gefordert wird. Er wird den Frieden Europas nicht
stören, wenn Europa nur nicht seinem Ehrgefühl (wörtlich: seiner Liebe zur
Ehre) zu nahe tritt." Daß Serbien mit besonderem Eifer rüstet, dürfte aber
nicht nur durch die „Liebe zur Ehre" motivirt sein, welche Fürst Michael
sich offen nachrühmen läßt, sondern zugleich mit der Rücksicht, welche durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/483>, abgerufen am 24.08.2024.