Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schen Candidaten stand, der Sohn den seinigen unter den nationalen Auf¬
ruf setzte.

Daß die Wahl in ein deutsches Parlament so viel Leben in unser Land
brachte, das allein ist ein unschätzbarer moralischer Erfolg. Die Demokratie
hätte bekanntlich am liebsten die ganze Sache ignorirt. Sie hatte gro߬
sprecherisch verkündigt, daß das würtenbergische Volk sich nicht an diesem
..Verbrechen" betheilige, mit Verachtung von dieser "Berliner Macherschaft"
sich abwende und durch imposante Wahlenthaltung ihr Urtheil über diese
Falle, die man dem süddeutschen Volk legen wolle, vor der Welt abgebe.
Das Volk ertheilte diesen Großsprechereien ein sehr hurtiges Dementi. Es
zeigte im Gegentheil so viel Eiser und Interesse, daß es dadurch auch die
Häupter der Volkspartei zwang, mit in den Kampf einzutreten und um Sitze
in derselben Versammlung zu werben, die sie noch eben aufs unwürdigste
geschmäht hatten. Selbst Moritz Mohl schrieb jetzt, es "wurme" ihn, in das
Parlament zu kommen, nachdem er zuvor in öffentlicher Kammersitzung er¬
klärt hatte, lebendig werde man ihn nicht in dieses Parlament bringen, in
welches kein Mensch eintreten könne, der Respect vor sich selber besitze, und
der in einem Commissionsbericht den norddeutschen Mitgliedern des Parla¬
ments insgesammt Ignoranz und Eigennutz vorgerückt hatte. Oesterlen war
fast der einzige gewesen, der, schon damals zur Candidatur entschlossen, er¬
klärte: "man müsse den Löwen in seiner Höhle aufsuchen." Jetzt nach dem
ermunternden Ausfall der bairischen Wahlen bekamen auch die übrigen Führer
der Demokratie Lust zu dieser fröhlichen Löwenjagd, und es tauchte nun ein
Name um den andern, zum Theil sehr merkwürdige, aus diesem Lager auf,
um zu erklären, daß es patriotische Pflicht sei, im Parlament der Verpreußung
Süddeutschlands entgegenzuarbeiten.

Durch das Auftreten dieser Elemente bekam nun der Kampf allerdings
einen anderen Charakter. Jetzt war wenig mehr vom Zollparlament und
seinen Aufgaben die Rede. Massivere Schlagworte kamen nun an die Reihe.
Jetzt hieß es: man will euch preußisch machen, wie es in Baiern geheißen:
man will euch lutherisch machen. Jetzt wurden die elendesten Vorspieglungen
von Steuer und Militärdruck unter das Volk geworfen. Da und dort tauchte
auch die schwäbische Eigenthümlichkeit: "lieber französisch als preußisch" wieder
auf. Die etwas abgegriffene Phrase: "durch die Freiheit zur Einheit" erhielt
die angenehme Variation- "durch die Einheit zum Hungertyphus". Alles
dies hätte jedoch der Demokratie wenig geholfen, wenn nicht die Regierung,
zur Bekämpfung der nationalen Partei um jeden Preis entschlossen, mit allen
antinationalen Richtungen Bündniß gemacht und ihnen ihren Einfluß zur
Verfügung gestellt hätte. Die Negierung mit ihren Organen vom Minister
bis zum Dorfschulzen, das ist die eigentliche Macht im Schreiberstaat, und


Grenjboten I. 1868. 69

schen Candidaten stand, der Sohn den seinigen unter den nationalen Auf¬
ruf setzte.

Daß die Wahl in ein deutsches Parlament so viel Leben in unser Land
brachte, das allein ist ein unschätzbarer moralischer Erfolg. Die Demokratie
hätte bekanntlich am liebsten die ganze Sache ignorirt. Sie hatte gro߬
sprecherisch verkündigt, daß das würtenbergische Volk sich nicht an diesem
..Verbrechen" betheilige, mit Verachtung von dieser „Berliner Macherschaft"
sich abwende und durch imposante Wahlenthaltung ihr Urtheil über diese
Falle, die man dem süddeutschen Volk legen wolle, vor der Welt abgebe.
Das Volk ertheilte diesen Großsprechereien ein sehr hurtiges Dementi. Es
zeigte im Gegentheil so viel Eiser und Interesse, daß es dadurch auch die
Häupter der Volkspartei zwang, mit in den Kampf einzutreten und um Sitze
in derselben Versammlung zu werben, die sie noch eben aufs unwürdigste
geschmäht hatten. Selbst Moritz Mohl schrieb jetzt, es „wurme" ihn, in das
Parlament zu kommen, nachdem er zuvor in öffentlicher Kammersitzung er¬
klärt hatte, lebendig werde man ihn nicht in dieses Parlament bringen, in
welches kein Mensch eintreten könne, der Respect vor sich selber besitze, und
der in einem Commissionsbericht den norddeutschen Mitgliedern des Parla¬
ments insgesammt Ignoranz und Eigennutz vorgerückt hatte. Oesterlen war
fast der einzige gewesen, der, schon damals zur Candidatur entschlossen, er¬
klärte: „man müsse den Löwen in seiner Höhle aufsuchen." Jetzt nach dem
ermunternden Ausfall der bairischen Wahlen bekamen auch die übrigen Führer
der Demokratie Lust zu dieser fröhlichen Löwenjagd, und es tauchte nun ein
Name um den andern, zum Theil sehr merkwürdige, aus diesem Lager auf,
um zu erklären, daß es patriotische Pflicht sei, im Parlament der Verpreußung
Süddeutschlands entgegenzuarbeiten.

Durch das Auftreten dieser Elemente bekam nun der Kampf allerdings
einen anderen Charakter. Jetzt war wenig mehr vom Zollparlament und
seinen Aufgaben die Rede. Massivere Schlagworte kamen nun an die Reihe.
Jetzt hieß es: man will euch preußisch machen, wie es in Baiern geheißen:
man will euch lutherisch machen. Jetzt wurden die elendesten Vorspieglungen
von Steuer und Militärdruck unter das Volk geworfen. Da und dort tauchte
auch die schwäbische Eigenthümlichkeit: „lieber französisch als preußisch" wieder
auf. Die etwas abgegriffene Phrase: „durch die Freiheit zur Einheit" erhielt
die angenehme Variation- „durch die Einheit zum Hungertyphus". Alles
dies hätte jedoch der Demokratie wenig geholfen, wenn nicht die Regierung,
zur Bekämpfung der nationalen Partei um jeden Preis entschlossen, mit allen
antinationalen Richtungen Bündniß gemacht und ihnen ihren Einfluß zur
Verfügung gestellt hätte. Die Negierung mit ihren Organen vom Minister
bis zum Dorfschulzen, das ist die eigentliche Macht im Schreiberstaat, und


Grenjboten I. 1868. 69
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117477"/>
          <p xml:id="ID_1552" prev="#ID_1551"> schen Candidaten stand, der Sohn den seinigen unter den nationalen Auf¬<lb/>
ruf setzte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1553"> Daß die Wahl in ein deutsches Parlament so viel Leben in unser Land<lb/>
brachte, das allein ist ein unschätzbarer moralischer Erfolg. Die Demokratie<lb/>
hätte bekanntlich am liebsten die ganze Sache ignorirt. Sie hatte gro߬<lb/>
sprecherisch verkündigt, daß das würtenbergische Volk sich nicht an diesem<lb/>
..Verbrechen" betheilige, mit Verachtung von dieser &#x201E;Berliner Macherschaft"<lb/>
sich abwende und durch imposante Wahlenthaltung ihr Urtheil über diese<lb/>
Falle, die man dem süddeutschen Volk legen wolle, vor der Welt abgebe.<lb/>
Das Volk ertheilte diesen Großsprechereien ein sehr hurtiges Dementi. Es<lb/>
zeigte im Gegentheil so viel Eiser und Interesse, daß es dadurch auch die<lb/>
Häupter der Volkspartei zwang, mit in den Kampf einzutreten und um Sitze<lb/>
in derselben Versammlung zu werben, die sie noch eben aufs unwürdigste<lb/>
geschmäht hatten. Selbst Moritz Mohl schrieb jetzt, es &#x201E;wurme" ihn, in das<lb/>
Parlament zu kommen, nachdem er zuvor in öffentlicher Kammersitzung er¬<lb/>
klärt hatte, lebendig werde man ihn nicht in dieses Parlament bringen, in<lb/>
welches kein Mensch eintreten könne, der Respect vor sich selber besitze, und<lb/>
der in einem Commissionsbericht den norddeutschen Mitgliedern des Parla¬<lb/>
ments insgesammt Ignoranz und Eigennutz vorgerückt hatte. Oesterlen war<lb/>
fast der einzige gewesen, der, schon damals zur Candidatur entschlossen, er¬<lb/>
klärte: &#x201E;man müsse den Löwen in seiner Höhle aufsuchen." Jetzt nach dem<lb/>
ermunternden Ausfall der bairischen Wahlen bekamen auch die übrigen Führer<lb/>
der Demokratie Lust zu dieser fröhlichen Löwenjagd, und es tauchte nun ein<lb/>
Name um den andern, zum Theil sehr merkwürdige, aus diesem Lager auf,<lb/>
um zu erklären, daß es patriotische Pflicht sei, im Parlament der Verpreußung<lb/>
Süddeutschlands entgegenzuarbeiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1554" next="#ID_1555"> Durch das Auftreten dieser Elemente bekam nun der Kampf allerdings<lb/>
einen anderen Charakter. Jetzt war wenig mehr vom Zollparlament und<lb/>
seinen Aufgaben die Rede. Massivere Schlagworte kamen nun an die Reihe.<lb/>
Jetzt hieß es: man will euch preußisch machen, wie es in Baiern geheißen:<lb/>
man will euch lutherisch machen. Jetzt wurden die elendesten Vorspieglungen<lb/>
von Steuer und Militärdruck unter das Volk geworfen. Da und dort tauchte<lb/>
auch die schwäbische Eigenthümlichkeit: &#x201E;lieber französisch als preußisch" wieder<lb/>
auf. Die etwas abgegriffene Phrase: &#x201E;durch die Freiheit zur Einheit" erhielt<lb/>
die angenehme Variation- &#x201E;durch die Einheit zum Hungertyphus". Alles<lb/>
dies hätte jedoch der Demokratie wenig geholfen, wenn nicht die Regierung,<lb/>
zur Bekämpfung der nationalen Partei um jeden Preis entschlossen, mit allen<lb/>
antinationalen Richtungen Bündniß gemacht und ihnen ihren Einfluß zur<lb/>
Verfügung gestellt hätte.  Die Negierung mit ihren Organen vom Minister<lb/>
bis zum Dorfschulzen, das ist die eigentliche Macht im Schreiberstaat, und</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenjboten I. 1868. 69</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0475] schen Candidaten stand, der Sohn den seinigen unter den nationalen Auf¬ ruf setzte. Daß die Wahl in ein deutsches Parlament so viel Leben in unser Land brachte, das allein ist ein unschätzbarer moralischer Erfolg. Die Demokratie hätte bekanntlich am liebsten die ganze Sache ignorirt. Sie hatte gro߬ sprecherisch verkündigt, daß das würtenbergische Volk sich nicht an diesem ..Verbrechen" betheilige, mit Verachtung von dieser „Berliner Macherschaft" sich abwende und durch imposante Wahlenthaltung ihr Urtheil über diese Falle, die man dem süddeutschen Volk legen wolle, vor der Welt abgebe. Das Volk ertheilte diesen Großsprechereien ein sehr hurtiges Dementi. Es zeigte im Gegentheil so viel Eiser und Interesse, daß es dadurch auch die Häupter der Volkspartei zwang, mit in den Kampf einzutreten und um Sitze in derselben Versammlung zu werben, die sie noch eben aufs unwürdigste geschmäht hatten. Selbst Moritz Mohl schrieb jetzt, es „wurme" ihn, in das Parlament zu kommen, nachdem er zuvor in öffentlicher Kammersitzung er¬ klärt hatte, lebendig werde man ihn nicht in dieses Parlament bringen, in welches kein Mensch eintreten könne, der Respect vor sich selber besitze, und der in einem Commissionsbericht den norddeutschen Mitgliedern des Parla¬ ments insgesammt Ignoranz und Eigennutz vorgerückt hatte. Oesterlen war fast der einzige gewesen, der, schon damals zur Candidatur entschlossen, er¬ klärte: „man müsse den Löwen in seiner Höhle aufsuchen." Jetzt nach dem ermunternden Ausfall der bairischen Wahlen bekamen auch die übrigen Führer der Demokratie Lust zu dieser fröhlichen Löwenjagd, und es tauchte nun ein Name um den andern, zum Theil sehr merkwürdige, aus diesem Lager auf, um zu erklären, daß es patriotische Pflicht sei, im Parlament der Verpreußung Süddeutschlands entgegenzuarbeiten. Durch das Auftreten dieser Elemente bekam nun der Kampf allerdings einen anderen Charakter. Jetzt war wenig mehr vom Zollparlament und seinen Aufgaben die Rede. Massivere Schlagworte kamen nun an die Reihe. Jetzt hieß es: man will euch preußisch machen, wie es in Baiern geheißen: man will euch lutherisch machen. Jetzt wurden die elendesten Vorspieglungen von Steuer und Militärdruck unter das Volk geworfen. Da und dort tauchte auch die schwäbische Eigenthümlichkeit: „lieber französisch als preußisch" wieder auf. Die etwas abgegriffene Phrase: „durch die Freiheit zur Einheit" erhielt die angenehme Variation- „durch die Einheit zum Hungertyphus". Alles dies hätte jedoch der Demokratie wenig geholfen, wenn nicht die Regierung, zur Bekämpfung der nationalen Partei um jeden Preis entschlossen, mit allen antinationalen Richtungen Bündniß gemacht und ihnen ihren Einfluß zur Verfügung gestellt hätte. Die Negierung mit ihren Organen vom Minister bis zum Dorfschulzen, das ist die eigentliche Macht im Schreiberstaat, und Grenjboten I. 1868. 69

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/475
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/475>, abgerufen am 01.10.2024.