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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Und diese lebhafte Theilnahme des Volks ist das erste und erfreulichste
Moment, das in der Wahlbewegung zu constatiren ist. Stundenweit kommen
die Wähler zu den angesetzten Versammlungen und horchen andächtig und
mit gespannter Aufmerksamkeit der Dinge, die so zum erstenmal vor ihnen
verhandelt werden. Es sind wohl, seitdem auch die Demokratie auf den
Plan getreten ist, da und dort sehr häßliche Scenen vorgekommen, wie sie
schwer bei so hochgehender Bewegung zu vermeiden sein mögen. Aber im
ganzen ist die Haltung dieser Versammlungen, namentlich auf dem Lande,
bisher eine würdige gewesen. Das Volk kommt mit gutem Willen, es will
belehrt sein und es läßt sich belehren. Freilich nicht im Sturm, und am
wenigsten mit hochtönigen Phrasen wird es gewonnen. Unser Landvolk ist
zäh, nicht leicht gibt es sofort den Eindruck zu erkennen, den es empfangen
hat; es ist ihm von Natur ein tiefes Mißtrauen eigen, mit derselben Ge¬
müthsruhe hört es Redner entgegengesetzter Meinungen an und behält sich
sein Urtheil vor. Aber eben dieser Entschluß, das Gehörte zu eigener Mei¬
nung zu verarbeiten, dieser Widerstand gegen blendende Kunststücke der Be-
redtsamkeit ist das Bezeichnende. Die Abwendung von der Phrase ist unver¬
kennbar. Es datirt von dieser Wahlbewegung ein neuer Abschnitt in der
politischen Erziehung unseres Volks.

Es liegt auf der Hand wie sehr diese Bewegung der nationalen Sache
zu Gute kommt. Die Organisation der deutschen Partei hat bisher noch
vieles zu wünschen gelassen, mit bestem Willen war es ihr nicht gelungen,
in einzelne Landesgegenden zu dringen, und die unteren Classen blieben ihr
sast gänzlich verschlossen. Der Einfluß der Volkspartei -- dies war wohl
zu fühlen -- war überall im Abnehmen, aber dies kam noch nicht der deut¬
schen Partei zu gut. Die große Masse stand apathisch zwischen beiden.
Allein diese Zeit war nicht verloren, es war eine Zeit der Selbstbesinnung
um aus den Stimmungen herauszukommen, in welche das Volk im Jahr
1866 hineingesetzt worden war. Was man an einzelnen bemerkte, daß ein
langsamer Umwandlungsprozeß zu besserer Erkenntniß stattfand, den man
doch nicht recht Wort haben wollte, das vollzog sich in ähnlicher Art in
weiten Kreisen. Und wenn jetzt der nationale Gedanke überall anklopfte,
in den abgelegensten Gegenden, in allen Dörfern, so traf er wohl überall
noch lebhaften Widerspruch und alte Vorurtheile, aber er traf doch überall
auch herzliche Erwiederung. Die Parteiung drang jetzt in jede Gemeinde,
dem selbstsüchtigen Partikularismus war sein Monopol entrissen. Viele Hun¬
derte hörten zum erstenmal die Wahrheit über das Jahr 1866. Auch aus
dem Land gewann man, über Erwarten, eifrige und geschickte Agitatoren.
Die junge Generation zeigte sich vorwiegend den neuen Ideen geneigt. Es
kam vor, daß des Vaters Namen unter dem Ausruf für den partikularisti-


Und diese lebhafte Theilnahme des Volks ist das erste und erfreulichste
Moment, das in der Wahlbewegung zu constatiren ist. Stundenweit kommen
die Wähler zu den angesetzten Versammlungen und horchen andächtig und
mit gespannter Aufmerksamkeit der Dinge, die so zum erstenmal vor ihnen
verhandelt werden. Es sind wohl, seitdem auch die Demokratie auf den
Plan getreten ist, da und dort sehr häßliche Scenen vorgekommen, wie sie
schwer bei so hochgehender Bewegung zu vermeiden sein mögen. Aber im
ganzen ist die Haltung dieser Versammlungen, namentlich auf dem Lande,
bisher eine würdige gewesen. Das Volk kommt mit gutem Willen, es will
belehrt sein und es läßt sich belehren. Freilich nicht im Sturm, und am
wenigsten mit hochtönigen Phrasen wird es gewonnen. Unser Landvolk ist
zäh, nicht leicht gibt es sofort den Eindruck zu erkennen, den es empfangen
hat; es ist ihm von Natur ein tiefes Mißtrauen eigen, mit derselben Ge¬
müthsruhe hört es Redner entgegengesetzter Meinungen an und behält sich
sein Urtheil vor. Aber eben dieser Entschluß, das Gehörte zu eigener Mei¬
nung zu verarbeiten, dieser Widerstand gegen blendende Kunststücke der Be-
redtsamkeit ist das Bezeichnende. Die Abwendung von der Phrase ist unver¬
kennbar. Es datirt von dieser Wahlbewegung ein neuer Abschnitt in der
politischen Erziehung unseres Volks.

Es liegt auf der Hand wie sehr diese Bewegung der nationalen Sache
zu Gute kommt. Die Organisation der deutschen Partei hat bisher noch
vieles zu wünschen gelassen, mit bestem Willen war es ihr nicht gelungen,
in einzelne Landesgegenden zu dringen, und die unteren Classen blieben ihr
sast gänzlich verschlossen. Der Einfluß der Volkspartei — dies war wohl
zu fühlen — war überall im Abnehmen, aber dies kam noch nicht der deut¬
schen Partei zu gut. Die große Masse stand apathisch zwischen beiden.
Allein diese Zeit war nicht verloren, es war eine Zeit der Selbstbesinnung
um aus den Stimmungen herauszukommen, in welche das Volk im Jahr
1866 hineingesetzt worden war. Was man an einzelnen bemerkte, daß ein
langsamer Umwandlungsprozeß zu besserer Erkenntniß stattfand, den man
doch nicht recht Wort haben wollte, das vollzog sich in ähnlicher Art in
weiten Kreisen. Und wenn jetzt der nationale Gedanke überall anklopfte,
in den abgelegensten Gegenden, in allen Dörfern, so traf er wohl überall
noch lebhaften Widerspruch und alte Vorurtheile, aber er traf doch überall
auch herzliche Erwiederung. Die Parteiung drang jetzt in jede Gemeinde,
dem selbstsüchtigen Partikularismus war sein Monopol entrissen. Viele Hun¬
derte hörten zum erstenmal die Wahrheit über das Jahr 1866. Auch aus
dem Land gewann man, über Erwarten, eifrige und geschickte Agitatoren.
Die junge Generation zeigte sich vorwiegend den neuen Ideen geneigt. Es
kam vor, daß des Vaters Namen unter dem Ausruf für den partikularisti-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/474>, abgerufen am 01.07.2024.