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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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sobald sie mit den Loyalen auch die Demokraten und Ultramontanen, sobald
sie alles zum gemeinsamen Kampf gegen die nationale Partei aufrief, war
der Ausgang des Wahlkampfs entschieden. Diesem dreifachen Gegner ist die
deutsche Partei numerisch nicht gewachsen. Die Wahlbewegung ist für sie
ein Mittel, sich durch das ganze Land zu organisiren, aber nur in wenigen
Bezirken wird sie jetzt schon über die entgegenstehende Coalition siegen können.

Die Wahlen werden also weit überwiegend gegen die nationale Partei
ausfallen; damit aber noch nicht gerade antinational. Unter den voraus¬
sichtlich aus der Wahlurne hervorgehenden Siegern sind gewaltige Differen¬
zen. Die gouvernementale Mittelpartei zählt Mitglieder, die dem Programm
der deutschen Partei nahe stehen, die so zu sagen auch ein großes Vaterland
wollen und die sich ausdrücklich für Erweiterung der Competenz der Bundes¬
organe ausgesprochen haben. Nur ganz wenige haben den Muth gehabt, sich
gegen solche Erweiterung ausdrücklich zu verwahren. Selbst die Demokraten
wie Oesterlen und Probst, sahen sich zu der Erklärung genöthigt, daß man
an den Verträgen mit Preußen, deren heftigste Gegner sie gewesen, nun¬
mehr loyal festhalten müsse, und allein der Freiherr v. Neurath, "der treue
Neurath", wie er jetzt im Beobachter genannt wird, sprach es offen aus,
daß man die Verträge allerdings so lange halten müsse, als man keine Ge¬
legenheit habe, sie "auf völkerrechtlich zulässige Weise" wieder zu vernichten.
Nicht wenige wollen sogar prophezeien, daß Herr Oesterlen, der jetzt so tapfer
dem Löwen in der Höhle zu Leibe rückt, wenn er desselben einmal ansichtig
geworden, vielleicht nicht abgeneigt sein dürfte, ein billiges Abkommen mit
demselben zu schließen. Ueberhaupt werden unsere Bundesstaatlich-Constitu-
tionellen wie unsere Demokraten im Zollparlament so wenig gefährlich sein,
als es im ersten Reichstag die Sachsen und Holsteiner und Hannoveraner
waren, die es meist vorzogen, auf dem zweiten Reichstag sich nicht mehr
blicken zu lassen; und es wird den Schwaben, ohne daß sie den Gang der
Dinge aufzuhalten vermögen, einzig der Ruhm bleiben, daß sie es für ihre
Vertretung in Berlin weniger auf tüchtige und willige Kräfte abgesehen haben,
als auf die Befriedigung eines kleinlichen Trotzes.

Auf die Stimmung im Lande selbst kann der ganze Wahlkampf nur
günstig zurückwirken. Das widerliche Bündniß der Demagogie mit den
Loyalen, die Mittel, welche von jener Seite wie von der Regierung unge-
scheut angewandt wurden, haben auf alle anständigen Leute einen bleibenden
Eindruck machen müssen, den die Regierung schwerlich voraus gesehen hat'
sie wenden sich ab von einem Staatswesen, das> wie es scheint, nur noch
mit solchen Mitteln aufrecht zu halten ist. Die deutsche Partei wird, wäh¬
rend die verbündeten Sieger nach gewonnenem Sieg auseinander fallen, durch
den Kampf selbst gekräftigt fester dastehen als zuvor, und stärker als jede


sobald sie mit den Loyalen auch die Demokraten und Ultramontanen, sobald
sie alles zum gemeinsamen Kampf gegen die nationale Partei aufrief, war
der Ausgang des Wahlkampfs entschieden. Diesem dreifachen Gegner ist die
deutsche Partei numerisch nicht gewachsen. Die Wahlbewegung ist für sie
ein Mittel, sich durch das ganze Land zu organisiren, aber nur in wenigen
Bezirken wird sie jetzt schon über die entgegenstehende Coalition siegen können.

Die Wahlen werden also weit überwiegend gegen die nationale Partei
ausfallen; damit aber noch nicht gerade antinational. Unter den voraus¬
sichtlich aus der Wahlurne hervorgehenden Siegern sind gewaltige Differen¬
zen. Die gouvernementale Mittelpartei zählt Mitglieder, die dem Programm
der deutschen Partei nahe stehen, die so zu sagen auch ein großes Vaterland
wollen und die sich ausdrücklich für Erweiterung der Competenz der Bundes¬
organe ausgesprochen haben. Nur ganz wenige haben den Muth gehabt, sich
gegen solche Erweiterung ausdrücklich zu verwahren. Selbst die Demokraten
wie Oesterlen und Probst, sahen sich zu der Erklärung genöthigt, daß man
an den Verträgen mit Preußen, deren heftigste Gegner sie gewesen, nun¬
mehr loyal festhalten müsse, und allein der Freiherr v. Neurath, „der treue
Neurath", wie er jetzt im Beobachter genannt wird, sprach es offen aus,
daß man die Verträge allerdings so lange halten müsse, als man keine Ge¬
legenheit habe, sie „auf völkerrechtlich zulässige Weise" wieder zu vernichten.
Nicht wenige wollen sogar prophezeien, daß Herr Oesterlen, der jetzt so tapfer
dem Löwen in der Höhle zu Leibe rückt, wenn er desselben einmal ansichtig
geworden, vielleicht nicht abgeneigt sein dürfte, ein billiges Abkommen mit
demselben zu schließen. Ueberhaupt werden unsere Bundesstaatlich-Constitu-
tionellen wie unsere Demokraten im Zollparlament so wenig gefährlich sein,
als es im ersten Reichstag die Sachsen und Holsteiner und Hannoveraner
waren, die es meist vorzogen, auf dem zweiten Reichstag sich nicht mehr
blicken zu lassen; und es wird den Schwaben, ohne daß sie den Gang der
Dinge aufzuhalten vermögen, einzig der Ruhm bleiben, daß sie es für ihre
Vertretung in Berlin weniger auf tüchtige und willige Kräfte abgesehen haben,
als auf die Befriedigung eines kleinlichen Trotzes.

Auf die Stimmung im Lande selbst kann der ganze Wahlkampf nur
günstig zurückwirken. Das widerliche Bündniß der Demagogie mit den
Loyalen, die Mittel, welche von jener Seite wie von der Regierung unge-
scheut angewandt wurden, haben auf alle anständigen Leute einen bleibenden
Eindruck machen müssen, den die Regierung schwerlich voraus gesehen hat'
sie wenden sich ab von einem Staatswesen, das> wie es scheint, nur noch
mit solchen Mitteln aufrecht zu halten ist. Die deutsche Partei wird, wäh¬
rend die verbündeten Sieger nach gewonnenem Sieg auseinander fallen, durch
den Kampf selbst gekräftigt fester dastehen als zuvor, und stärker als jede


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/476>, abgerufen am 22.07.2024.