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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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zu erfahren. Hier aber ist dieser Grundirrthum glücklich vermieden und
zwar, wie kaum bemerkt zu werden braucht, nicht etwa auf Kosten der Gründ¬
lichkeit und, sachgemäßen Kenntniß des Materials. Denn eine populäre
Schrift in dem leider noch immer gewöhnlichen Wortsinn darf man sich unter
dieser Einleitung in das deutsche Staatsrecht nicht vorstellen. Sie gibt die
Resultate der Einzelarbeit auf dem ganzen Gebiet, auf dem sich ihr Verfasser
schon früher bewährt hat, in systematischer, streng geordneter Folge. Sie ist
nicht bestimmt, halb im Schlafe gelesen zu werden, sondern sie verlangt eine
Sammlung und Fesselung der Aufmerksamkeit und des Denkens, ohne die
man überhaupt kein Buch zur Hand nehmen sollte. Aber man braucht kein
Jurist zu sein, um sie zu verstehn, und die nach dem heutigen Bildungsstand
unabweisbaren Anforderungen des guten Geschmacks werden in ihr nicht
ignorirt.

.Doch darauf allein möchten wir nicht alles Gewicht legen, ja nicht ein¬
mal das hauptsächliche. Mehr noch als der umsichtige Fleiß und die gründ¬
liche Durchforschung des Materials, mehr als die klare und durchsichtige
Darstellung gilt uns die Gesinnung, die aus dem ganzen Werke spricht.
Und nicht blos deshalb, weil sie dieselbe ist, zu der auch wir uns bekennen.
Auch dies ist nichts geringes in unseren Augen, denn wir sind so unbeschei¬
den zu glauben, daß es die rechte und wahre ist und daß jeder rechte und
wahre Mann, der den deutschen Namen trägt, zumal jeder, der die Präten¬
sion erhebt, in irgend einer Art ein geistiger Führer der Nation zu sein, sich
zu ihr von Rechts wegen bekennen müßte. Wir sind durchaus nicht gemeint,
jenen quietistischen Jndifferentismus gelten zu lassen, der unter dem beliebten,
Mantel der Toleranz so häufig Faulheit und Feigheit verbergen mußte.
Wer nicht zu uns gehört, von dem wissen wir, daß er im Irrthum befangen
ist und es kommt nur darauf an, sich klar zu machen, warum er es ist, um
darnach unsere Stellung gegen ihn zu nehmen. Eine doctrinäre, bis ins
ein zelnste ausgetüftelte Uniformität des politischen Bekenntnisses würde uns
ebenso ungeheuerlich vorkommen, wie die Subtilitäten einer confessionellen
tormuls, eonec>i'<1la,(;. Nicht blos aus Ehrfurcht vor dem Rechte der subjec-
tiven Ueberzeugung, sondern aus dem praktischen Grunde, daß damit alle
und jede Lebensregung erstickt wäre, verzichten wir gern darauf. Wir halten
also nicht jeden, der z. B. über die Frage der activen und passiven Wahl¬
berechtigung, über die Nothwendigkeit einer ersten Kammer, über die jährliche
Vorlage des Budgets und hundert andre Controversen von großem Belange
für die politische Praxis anders denkt wie wir, für unsern Feind; wir rech¬
nen ihn zu den unsrigen, trotz momentaner Gegnerschaft, wenn er nur in den
Haupt- und Cardinaldogmen mit uns eins ist. Und solcher gibt es für uns
nur wenige und ganz klare, unzweideutige, ohne alle Subtilitäten und men-


zu erfahren. Hier aber ist dieser Grundirrthum glücklich vermieden und
zwar, wie kaum bemerkt zu werden braucht, nicht etwa auf Kosten der Gründ¬
lichkeit und, sachgemäßen Kenntniß des Materials. Denn eine populäre
Schrift in dem leider noch immer gewöhnlichen Wortsinn darf man sich unter
dieser Einleitung in das deutsche Staatsrecht nicht vorstellen. Sie gibt die
Resultate der Einzelarbeit auf dem ganzen Gebiet, auf dem sich ihr Verfasser
schon früher bewährt hat, in systematischer, streng geordneter Folge. Sie ist
nicht bestimmt, halb im Schlafe gelesen zu werden, sondern sie verlangt eine
Sammlung und Fesselung der Aufmerksamkeit und des Denkens, ohne die
man überhaupt kein Buch zur Hand nehmen sollte. Aber man braucht kein
Jurist zu sein, um sie zu verstehn, und die nach dem heutigen Bildungsstand
unabweisbaren Anforderungen des guten Geschmacks werden in ihr nicht
ignorirt.

.Doch darauf allein möchten wir nicht alles Gewicht legen, ja nicht ein¬
mal das hauptsächliche. Mehr noch als der umsichtige Fleiß und die gründ¬
liche Durchforschung des Materials, mehr als die klare und durchsichtige
Darstellung gilt uns die Gesinnung, die aus dem ganzen Werke spricht.
Und nicht blos deshalb, weil sie dieselbe ist, zu der auch wir uns bekennen.
Auch dies ist nichts geringes in unseren Augen, denn wir sind so unbeschei¬
den zu glauben, daß es die rechte und wahre ist und daß jeder rechte und
wahre Mann, der den deutschen Namen trägt, zumal jeder, der die Präten¬
sion erhebt, in irgend einer Art ein geistiger Führer der Nation zu sein, sich
zu ihr von Rechts wegen bekennen müßte. Wir sind durchaus nicht gemeint,
jenen quietistischen Jndifferentismus gelten zu lassen, der unter dem beliebten,
Mantel der Toleranz so häufig Faulheit und Feigheit verbergen mußte.
Wer nicht zu uns gehört, von dem wissen wir, daß er im Irrthum befangen
ist und es kommt nur darauf an, sich klar zu machen, warum er es ist, um
darnach unsere Stellung gegen ihn zu nehmen. Eine doctrinäre, bis ins
ein zelnste ausgetüftelte Uniformität des politischen Bekenntnisses würde uns
ebenso ungeheuerlich vorkommen, wie die Subtilitäten einer confessionellen
tormuls, eonec>i'<1la,(;. Nicht blos aus Ehrfurcht vor dem Rechte der subjec-
tiven Ueberzeugung, sondern aus dem praktischen Grunde, daß damit alle
und jede Lebensregung erstickt wäre, verzichten wir gern darauf. Wir halten
also nicht jeden, der z. B. über die Frage der activen und passiven Wahl¬
berechtigung, über die Nothwendigkeit einer ersten Kammer, über die jährliche
Vorlage des Budgets und hundert andre Controversen von großem Belange
für die politische Praxis anders denkt wie wir, für unsern Feind; wir rech¬
nen ihn zu den unsrigen, trotz momentaner Gegnerschaft, wenn er nur in den
Haupt- und Cardinaldogmen mit uns eins ist. Und solcher gibt es für uns
nur wenige und ganz klare, unzweideutige, ohne alle Subtilitäten und men-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/47>, abgerufen am 03.07.2024.