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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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tale Reservationen, Das erste davon lautet: das deutsche Volk hat das
Recht und die Pflicht, einen deutschen Staat zu gründen und zu erhalten.
Das zweite: dieser wirkliche deutsche Staat war einst in Preußen dargestellt,
ist gegenwärtig im norddeutschen Bund zu suchen und muß demnächst das
ganze Deutschland sein. Und dazu noch das dritte und letzte: jedes und
jeder, gleichviel wie exclusiv gestellt und wie privilegirt bisher, hat in dem
deutschen einheitlichen Staat der Gegenwart und Zukunft keinen andern
Platz, als ein gleichberechtigtes Glied neben den andern. Wer als Particu-
larist und Separatist sich damit nicht begnügen will, ist ein Verräther an
der deutschen Nation. -- Mit diesem kurzen Credo ist alles erschöpft, was
uns von unsern Gegnern, den Welsen und Mtramontanen, den schwarz¬
gelben und Rothen trennt; wer sich dazu bekennt, mag sich außerdem zu den
Altliberalen oder Nationalliberalen zählen, er ist in der Hauptsache doch der
unsrige, während wir eine Uebereinstimmung in den Nebendingen für ganz
gleichgültig halten, wenn der Grund und Kern der Gesinnung nicht der ein¬
zig berechtigte und wahre ist.

Gerade darauf aber möchten wir für die Würdigung des Buches, wel¬
ches wir der Aufmerksamkeit unserer Gesinnungsgenossen aller Farben zu
empfehlen wünschen, besondern Nachdruck legen.' Mit echt geschäftlichem und
wissenschaftlichem Sinne drängt es dem Leser niemals eine formulirte poli¬
tische special- und Schuldoctrin auf; sein Verfasser ist unbefangen genug,
um nicht in einem fertigen Recept das Heil der Nation für alle Zeiten und
Verhältnisse in der Tasche haben zu wollen. Eine lebendige Einsicht in den
innern und äußern Pragmatismus der bisherigen Staatsbildungen in
Deutschland, insbesondere während der verwickelten Evolutionen der Neuzeit,
die in der Gründung des norddeutschen Bundes ihren vorläufigen Abschluß
gefunden haben, gilt ihm -- und setzen wir hinzu auch uns und jedem wahren
Patrioten -- mehr als der Ruhm, eine neue unfehlbare Formel gefunden zu
haben, die doch im besten Falle nicht mehr ist als ein geschickt gelöstes Rechen¬
exempel nach einem willkürlichen Ansatz. Zur Einübung der Elemente des
politischen Wissens mag dergleichen ganz praktisch sein, aber dem männlichen
Ernst des wirklichen Staates gegenüber kann man sich eines mitleidigen und
abweisender Lächelns nicht erwehren, daß man noch immer Leute sehen muß,
die Wunder was gethan zu haben glauben, sobald sie zu den vielen alten
noch ein neues Exempelchen erfinden. Ja es möchte noch immer gehn, wenn
sie nur nicht so tückisch sich geberdeten, sobald man sie bedeutet, daß ihre
Scherze wohl für die Schule, aber nicht für das Leben passen.




Verantwortliche Redacteure: Gustav Frcytng u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Hcrbig. -- Druck von Hüthel H Segler in Leipzig.

tale Reservationen, Das erste davon lautet: das deutsche Volk hat das
Recht und die Pflicht, einen deutschen Staat zu gründen und zu erhalten.
Das zweite: dieser wirkliche deutsche Staat war einst in Preußen dargestellt,
ist gegenwärtig im norddeutschen Bund zu suchen und muß demnächst das
ganze Deutschland sein. Und dazu noch das dritte und letzte: jedes und
jeder, gleichviel wie exclusiv gestellt und wie privilegirt bisher, hat in dem
deutschen einheitlichen Staat der Gegenwart und Zukunft keinen andern
Platz, als ein gleichberechtigtes Glied neben den andern. Wer als Particu-
larist und Separatist sich damit nicht begnügen will, ist ein Verräther an
der deutschen Nation. — Mit diesem kurzen Credo ist alles erschöpft, was
uns von unsern Gegnern, den Welsen und Mtramontanen, den schwarz¬
gelben und Rothen trennt; wer sich dazu bekennt, mag sich außerdem zu den
Altliberalen oder Nationalliberalen zählen, er ist in der Hauptsache doch der
unsrige, während wir eine Uebereinstimmung in den Nebendingen für ganz
gleichgültig halten, wenn der Grund und Kern der Gesinnung nicht der ein¬
zig berechtigte und wahre ist.

Gerade darauf aber möchten wir für die Würdigung des Buches, wel¬
ches wir der Aufmerksamkeit unserer Gesinnungsgenossen aller Farben zu
empfehlen wünschen, besondern Nachdruck legen.' Mit echt geschäftlichem und
wissenschaftlichem Sinne drängt es dem Leser niemals eine formulirte poli¬
tische special- und Schuldoctrin auf; sein Verfasser ist unbefangen genug,
um nicht in einem fertigen Recept das Heil der Nation für alle Zeiten und
Verhältnisse in der Tasche haben zu wollen. Eine lebendige Einsicht in den
innern und äußern Pragmatismus der bisherigen Staatsbildungen in
Deutschland, insbesondere während der verwickelten Evolutionen der Neuzeit,
die in der Gründung des norddeutschen Bundes ihren vorläufigen Abschluß
gefunden haben, gilt ihm — und setzen wir hinzu auch uns und jedem wahren
Patrioten — mehr als der Ruhm, eine neue unfehlbare Formel gefunden zu
haben, die doch im besten Falle nicht mehr ist als ein geschickt gelöstes Rechen¬
exempel nach einem willkürlichen Ansatz. Zur Einübung der Elemente des
politischen Wissens mag dergleichen ganz praktisch sein, aber dem männlichen
Ernst des wirklichen Staates gegenüber kann man sich eines mitleidigen und
abweisender Lächelns nicht erwehren, daß man noch immer Leute sehen muß,
die Wunder was gethan zu haben glauben, sobald sie zu den vielen alten
noch ein neues Exempelchen erfinden. Ja es möchte noch immer gehn, wenn
sie nur nicht so tückisch sich geberdeten, sobald man sie bedeutet, daß ihre
Scherze wohl für die Schule, aber nicht für das Leben passen.




Verantwortliche Redacteure: Gustav Frcytng u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Hcrbig. — Druck von Hüthel H Segler in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/48>, abgerufen am 01.07.2024.