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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Den gleichen Eindruck macht Gentz gegenüber der fast belustigenden Bigotterie
Pilats. Er weist ihn zuweilen mit ernsten und vortrefflichen Worten zurecht
-- freilich ohne die geringste Wirkung. Das hindert ihn aber nicht, seine
eignen freien Ansichten stets offen vor dem wiener Polizisten zu entwickeln.

In den ersten Jahren der Korrespondenz zeigen Gentz' Briefe noch mehr
Ernst, mehr Feuer, seine Gedanken sind schärfer, geschlossener, große Ziele
treten näher heran und beherrschen lebhafter seinen Geist; allgemeine Grund¬
sätze werden behandelt. In späteren Jahren gehen die Gedanken in ruhige¬
rem, breiterem Strom; Einzelheiten nehmen überHand, Plaudereien werden
öfter untergemischt, alles wird äußerlicher erfaßt, das Urtheil wird gelassener,
zweifelhafter -- aber durchgängig offenbart sich Welt- und Menschenkenntniß,
Meisterschaft in diplomatischen Geschäften, eine staunenswerthe Arbeitskraft,
eine reiche und allzeit handliche wissenschaftliche und publieistische Bildung
kurz, das Bild eines echten Staatsmannes. Er hat ein Recht dazu, auch
uns zur Lehre auszurufen: "Nach dreißigjähriger Arbeit bin ich endlich so
weit gekommen, daß ich begreife, wie einem Manne, der handeln und regie¬
ren muß, eigentlich zu Muthe ist. Wenn dieser Gedanke taufenden meiner
Bekannten nur ein einziges Mal aufstieße, so würden sie sich doch schämen
müssen, über das schwerste auf Erden mit so sträflichen Leichtsinn abzuspre¬
chen." Manche seiner Urtheile über die Presse, seine Aeußerungen über die
Erfordernisse einer guten Zeitung, seine Grundsätze über praktische Staats¬
kunst sind ausgezeichnet. Er überschaut Sinn und Gang der politischen
Lage und behält alles, was seinem System Nutzen und Schaden bringen
kann, zusammenhängend vor Augen. In vielem aber steht er noch höher und
vielleicht in nichts anderm trifft uns die Voraussicht und Größe seines Gei-
stes näher, als in den wie für unsere Tage geschriebenen Worten über die
römische Frage: "der Cardinal Spina sprach wie eine Nachtmütze (schreibt er
während des laibacher Congresses) und so hat sich auch der römische Hos
seither leider benommen. Ihm kann von außen her nicht geholfen werden,
wenn er sich nicht selbst helfen will -- die wahre Gefahr für die katholische
Kirche ist in Rom und nur in Rom. Wenn der päpstliche Hof nicht in
kurzem zu sich kommt und einsieht, daß er nicht, mit dem Kopf gegen ein
eisernes Thor rennen kann, so werden keine auswärts zu seinem Besten er¬
griffenen Maßregeln ihm mehr helfen. Die Gewalt des Stromes, der von
allen Seiten gegen ihn andrängt, ist zu groß, und wenn der Papst sich nicht
selbst an bis Spitze dieser Hauptreformation stellt, so wird in wenig Jahren
eine viel ärgere als die von Luther gegen ihn ausbrechen."

Je wohlthuender uns nun die Achtung vor einem so viel geschmähten
Manne überkommt, je Mehr wir in ihm edle, große Eigenschaften, ja, mit
uns übereinstimmende Urtheile entdecken, um so ernster ergreift der Gegensatz,


Den gleichen Eindruck macht Gentz gegenüber der fast belustigenden Bigotterie
Pilats. Er weist ihn zuweilen mit ernsten und vortrefflichen Worten zurecht
— freilich ohne die geringste Wirkung. Das hindert ihn aber nicht, seine
eignen freien Ansichten stets offen vor dem wiener Polizisten zu entwickeln.

In den ersten Jahren der Korrespondenz zeigen Gentz' Briefe noch mehr
Ernst, mehr Feuer, seine Gedanken sind schärfer, geschlossener, große Ziele
treten näher heran und beherrschen lebhafter seinen Geist; allgemeine Grund¬
sätze werden behandelt. In späteren Jahren gehen die Gedanken in ruhige¬
rem, breiterem Strom; Einzelheiten nehmen überHand, Plaudereien werden
öfter untergemischt, alles wird äußerlicher erfaßt, das Urtheil wird gelassener,
zweifelhafter — aber durchgängig offenbart sich Welt- und Menschenkenntniß,
Meisterschaft in diplomatischen Geschäften, eine staunenswerthe Arbeitskraft,
eine reiche und allzeit handliche wissenschaftliche und publieistische Bildung
kurz, das Bild eines echten Staatsmannes. Er hat ein Recht dazu, auch
uns zur Lehre auszurufen: „Nach dreißigjähriger Arbeit bin ich endlich so
weit gekommen, daß ich begreife, wie einem Manne, der handeln und regie¬
ren muß, eigentlich zu Muthe ist. Wenn dieser Gedanke taufenden meiner
Bekannten nur ein einziges Mal aufstieße, so würden sie sich doch schämen
müssen, über das schwerste auf Erden mit so sträflichen Leichtsinn abzuspre¬
chen." Manche seiner Urtheile über die Presse, seine Aeußerungen über die
Erfordernisse einer guten Zeitung, seine Grundsätze über praktische Staats¬
kunst sind ausgezeichnet. Er überschaut Sinn und Gang der politischen
Lage und behält alles, was seinem System Nutzen und Schaden bringen
kann, zusammenhängend vor Augen. In vielem aber steht er noch höher und
vielleicht in nichts anderm trifft uns die Voraussicht und Größe seines Gei-
stes näher, als in den wie für unsere Tage geschriebenen Worten über die
römische Frage: „der Cardinal Spina sprach wie eine Nachtmütze (schreibt er
während des laibacher Congresses) und so hat sich auch der römische Hos
seither leider benommen. Ihm kann von außen her nicht geholfen werden,
wenn er sich nicht selbst helfen will — die wahre Gefahr für die katholische
Kirche ist in Rom und nur in Rom. Wenn der päpstliche Hof nicht in
kurzem zu sich kommt und einsieht, daß er nicht, mit dem Kopf gegen ein
eisernes Thor rennen kann, so werden keine auswärts zu seinem Besten er¬
griffenen Maßregeln ihm mehr helfen. Die Gewalt des Stromes, der von
allen Seiten gegen ihn andrängt, ist zu groß, und wenn der Papst sich nicht
selbst an bis Spitze dieser Hauptreformation stellt, so wird in wenig Jahren
eine viel ärgere als die von Luther gegen ihn ausbrechen."

Je wohlthuender uns nun die Achtung vor einem so viel geschmähten
Manne überkommt, je Mehr wir in ihm edle, große Eigenschaften, ja, mit
uns übereinstimmende Urtheile entdecken, um so ernster ergreift der Gegensatz,


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[0462] Den gleichen Eindruck macht Gentz gegenüber der fast belustigenden Bigotterie Pilats. Er weist ihn zuweilen mit ernsten und vortrefflichen Worten zurecht — freilich ohne die geringste Wirkung. Das hindert ihn aber nicht, seine eignen freien Ansichten stets offen vor dem wiener Polizisten zu entwickeln. In den ersten Jahren der Korrespondenz zeigen Gentz' Briefe noch mehr Ernst, mehr Feuer, seine Gedanken sind schärfer, geschlossener, große Ziele treten näher heran und beherrschen lebhafter seinen Geist; allgemeine Grund¬ sätze werden behandelt. In späteren Jahren gehen die Gedanken in ruhige¬ rem, breiterem Strom; Einzelheiten nehmen überHand, Plaudereien werden öfter untergemischt, alles wird äußerlicher erfaßt, das Urtheil wird gelassener, zweifelhafter — aber durchgängig offenbart sich Welt- und Menschenkenntniß, Meisterschaft in diplomatischen Geschäften, eine staunenswerthe Arbeitskraft, eine reiche und allzeit handliche wissenschaftliche und publieistische Bildung kurz, das Bild eines echten Staatsmannes. Er hat ein Recht dazu, auch uns zur Lehre auszurufen: „Nach dreißigjähriger Arbeit bin ich endlich so weit gekommen, daß ich begreife, wie einem Manne, der handeln und regie¬ ren muß, eigentlich zu Muthe ist. Wenn dieser Gedanke taufenden meiner Bekannten nur ein einziges Mal aufstieße, so würden sie sich doch schämen müssen, über das schwerste auf Erden mit so sträflichen Leichtsinn abzuspre¬ chen." Manche seiner Urtheile über die Presse, seine Aeußerungen über die Erfordernisse einer guten Zeitung, seine Grundsätze über praktische Staats¬ kunst sind ausgezeichnet. Er überschaut Sinn und Gang der politischen Lage und behält alles, was seinem System Nutzen und Schaden bringen kann, zusammenhängend vor Augen. In vielem aber steht er noch höher und vielleicht in nichts anderm trifft uns die Voraussicht und Größe seines Gei- stes näher, als in den wie für unsere Tage geschriebenen Worten über die römische Frage: „der Cardinal Spina sprach wie eine Nachtmütze (schreibt er während des laibacher Congresses) und so hat sich auch der römische Hos seither leider benommen. Ihm kann von außen her nicht geholfen werden, wenn er sich nicht selbst helfen will — die wahre Gefahr für die katholische Kirche ist in Rom und nur in Rom. Wenn der päpstliche Hof nicht in kurzem zu sich kommt und einsieht, daß er nicht, mit dem Kopf gegen ein eisernes Thor rennen kann, so werden keine auswärts zu seinem Besten er¬ griffenen Maßregeln ihm mehr helfen. Die Gewalt des Stromes, der von allen Seiten gegen ihn andrängt, ist zu groß, und wenn der Papst sich nicht selbst an bis Spitze dieser Hauptreformation stellt, so wird in wenig Jahren eine viel ärgere als die von Luther gegen ihn ausbrechen." Je wohlthuender uns nun die Achtung vor einem so viel geschmähten Manne überkommt, je Mehr wir in ihm edle, große Eigenschaften, ja, mit uns übereinstimmende Urtheile entdecken, um so ernster ergreift der Gegensatz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/462>, abgerufen am 22.07.2024.