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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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in welchem wir die Summe seines Wirkens und seine ganze Zeit zu unserer
Gegenwart stehen sehen. Hier ist der Kernpunkt des Interesses, mit welchem
Gentz gleicherweise unsern Verstand und unser Gemüth fesselt. Ein Bild
seiner Wirksamkeit, am besten seine eignen Zeugnisse, seine Briefe zeigen ihn
inmitten einer Zeit, die uns, der unmittelbar folgenden Generation, wunder¬
bar entlegen erscheint, inmitten- einer politischen Lage, deren Gegensatz zu
unseren Tagen nicht schroffer gedacht werden kann, mit seltener Kraft und
Mit voller Zuversicht an einem Werke arbeiten, welches jetzt durchaus zer¬
trümmert vor uns liegt, mit allem Reichthum und allem Scharfsinn seines
Geistes Zielen dienen, deren Schwäche, deren Lüge, deren UnHaltbarkeit jetzt
aller Welt offenkundig und im allgemeinen Bewußtsein sind.

Man darf Gentz mit Metternich identificiren. er war dessen zweites Ich,
sein Rath und seine Feder. Mit Gentz werden alle Akte der Negierung ver¬
handelt, ihm die wichtigsten Schriftstücke übertragen, er ist der Praktiker, der
die öffentliche Meinung beobachtet, und der thörichten, groben oder böswilli¬
gen Volksmenge Schädliches vorenthält, Vermessenes tadelt, Irriges wohl¬
meinend berichtigt. Er ist der Träger jener Periode farblosen Einerleis,
dumpfer Stille, dummen Gehorsams, der "Ruhe um jeden Preis". Es über¬
rascht uns immer wieder, daß jene Männer wirklich glaubten, ein großes,
von jungen Siegen erregtes und begeistertes Volk in blinder Abhängigkeit
und Theilnahmlosigkeit unter einer Regierung zu halten, die ausschließlich nach
dem Interesse eigengefälliger Cabinetspolitik und ohne Zusammenhang, ohne
Verständniß von dem Wünschen und Wesen des Volkes handeln wollte, daß
sie keine.Vorstellung von der unerschöpflichen und unwiderstehlichen Macht
hatten, welche aus einer sorgsam gepflegten und geleiteten Entwicklung des
Volksbewußtseins quillt, daß das Stichwort und das Zauberwort unserer
Tage, bey Grund unserer Größe, die "nationale Politik" von ihnen völlig
unbegriffen war. Schwächlich und kindisch waren freilich oft die Regun¬
gen dieses nationalen Bewußtseins; wer will sich des Lächelns erwehren,
Kenn sechs jenenser Studenten -- nach der gewiß wahrheitsgetreuer
Schilderung von Gentz -- vom Großherzog von Weimar zur Tafel geladen,
M deutscher Tracht mit großen rothen Schärpen, offenem Halse und langem
Barte erscheinen und, als der Großherzog die Gesundheit der Universität
aufbringt, einer der "Unholde" mit dem Gegentoaste antwortet: "dem ein¬
zigen deutschen Fürsten, der sein Wort gehalten hat", -- aber ganz unwür¬
dig schwächlich waren auch die Empfindsamkeit und Furcht, welche Gentz und
die Seinigen diesen Regungen entgegensetzten. Spaßig ist es noch, daß ihm
^ dem herrlichen Gemälde des Heidelberger Schlosses "der einzige Fleck die
grotesken und widerlichen Figuren sind, die in schmutzigen altdeutschen Trach¬
ten, Gott und den Menschen ein gerechter Greuel, mit Büchern unter dem


in welchem wir die Summe seines Wirkens und seine ganze Zeit zu unserer
Gegenwart stehen sehen. Hier ist der Kernpunkt des Interesses, mit welchem
Gentz gleicherweise unsern Verstand und unser Gemüth fesselt. Ein Bild
seiner Wirksamkeit, am besten seine eignen Zeugnisse, seine Briefe zeigen ihn
inmitten einer Zeit, die uns, der unmittelbar folgenden Generation, wunder¬
bar entlegen erscheint, inmitten- einer politischen Lage, deren Gegensatz zu
unseren Tagen nicht schroffer gedacht werden kann, mit seltener Kraft und
Mit voller Zuversicht an einem Werke arbeiten, welches jetzt durchaus zer¬
trümmert vor uns liegt, mit allem Reichthum und allem Scharfsinn seines
Geistes Zielen dienen, deren Schwäche, deren Lüge, deren UnHaltbarkeit jetzt
aller Welt offenkundig und im allgemeinen Bewußtsein sind.

Man darf Gentz mit Metternich identificiren. er war dessen zweites Ich,
sein Rath und seine Feder. Mit Gentz werden alle Akte der Negierung ver¬
handelt, ihm die wichtigsten Schriftstücke übertragen, er ist der Praktiker, der
die öffentliche Meinung beobachtet, und der thörichten, groben oder böswilli¬
gen Volksmenge Schädliches vorenthält, Vermessenes tadelt, Irriges wohl¬
meinend berichtigt. Er ist der Träger jener Periode farblosen Einerleis,
dumpfer Stille, dummen Gehorsams, der „Ruhe um jeden Preis". Es über¬
rascht uns immer wieder, daß jene Männer wirklich glaubten, ein großes,
von jungen Siegen erregtes und begeistertes Volk in blinder Abhängigkeit
und Theilnahmlosigkeit unter einer Regierung zu halten, die ausschließlich nach
dem Interesse eigengefälliger Cabinetspolitik und ohne Zusammenhang, ohne
Verständniß von dem Wünschen und Wesen des Volkes handeln wollte, daß
sie keine.Vorstellung von der unerschöpflichen und unwiderstehlichen Macht
hatten, welche aus einer sorgsam gepflegten und geleiteten Entwicklung des
Volksbewußtseins quillt, daß das Stichwort und das Zauberwort unserer
Tage, bey Grund unserer Größe, die „nationale Politik" von ihnen völlig
unbegriffen war. Schwächlich und kindisch waren freilich oft die Regun¬
gen dieses nationalen Bewußtseins; wer will sich des Lächelns erwehren,
Kenn sechs jenenser Studenten — nach der gewiß wahrheitsgetreuer
Schilderung von Gentz — vom Großherzog von Weimar zur Tafel geladen,
M deutscher Tracht mit großen rothen Schärpen, offenem Halse und langem
Barte erscheinen und, als der Großherzog die Gesundheit der Universität
aufbringt, einer der „Unholde" mit dem Gegentoaste antwortet: „dem ein¬
zigen deutschen Fürsten, der sein Wort gehalten hat", — aber ganz unwür¬
dig schwächlich waren auch die Empfindsamkeit und Furcht, welche Gentz und
die Seinigen diesen Regungen entgegensetzten. Spaßig ist es noch, daß ihm
^ dem herrlichen Gemälde des Heidelberger Schlosses „der einzige Fleck die
grotesken und widerlichen Figuren sind, die in schmutzigen altdeutschen Trach¬
ten, Gott und den Menschen ein gerechter Greuel, mit Büchern unter dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/463>, abgerufen am 22.07.2024.