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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Bemerkungen, welche die Lektüre historischer und politischer Werke veranlaßte,
bilden den Hauptinhalt der beiden Bände; die mitgetheilten Briefe sind
gleichfalls vorwiegend politischen Inhalts. Wichtig sind die Publikationen
nicht nur zur Kenntniß der einzelnen Ereignisse, die sie betreffen , sondern
auch, weil aus ihnen weit mehr als bisher Gentz' Anschauungen sich charak-
teristren, und sich ergibt, was in ihm bleibende Ueberzeugung, innerste Geistes¬
art war und was und wie es sich im Lauf des Lebens und seiner Erfahrungen
allmählich, und zum Theil bis in den Gegensatz umwandelte. Allgemeines
Interesse beansprucht sein Briefwechsel mit Pilat, der in diesem Werke nur
in spärlichen und ungenauen Bruchstücken, vollständig aber von Professor
Mendelssohn, der die Originale von Pilats Erben in Wien erwarb, heraus¬
gegeben worden ist. In ihnen offenbart sich Gentz gleich unbefangen als
Mensch und als Staatsmann; sie geben zu jenen schroffen Zügen, in denen
man sich sein Bild vorzustellen gewöhnt hat, die versöhnenden Mitteltöne.
In einem besondern Essay hat Mendelssohn mit einer vollkommeneren Be¬
herrschung des Materials, als es früheren Biographen zu Gebote stand, die
Grundzüge in Gentz' Charakter geschildert und deren Gegensätze erläutert
und verbunden.

Diese zahlreichen Briefe, welche Gentz an den wiener Polizeiminister
Pilat richtete, den Herausgeber des österreichischen Beobachters, einer von
Metternichs Regierung inspirirter Zeitung, zeigen in der That alle glän¬
zenden und gesunden Seiten von Gentz. Sein dem Adressaten überlegener
Rang berechtigte ihn, gegen denselben eine Würde und Zurückhaltung zu
bewahren, die ihm sehr gut anstehen. Um so freiwilliger und natür¬
licher äußert sich dazwischen eine Vertraulichkeit, die zu erweisen der leicht
bewegten Seele Gentz'5 ein Bedürfniß war. Besonders aber nimmt für
Gentz die geistige Ueberlegenheit ein, die einem kleinklugen und leicht er¬
hitzten Politiker wie Pilat gegenüber wohlthuend und klar hervortritt und,
wenn er seinen Correspondenten mit starken Worten hat in Schranken wei¬
sen müssen,*) so erscheinen die Gleichmäßigkeit seines Vertrauens zu ihm und
sein unbeirrt sicheres politisches Urtheil doppelt erfreulich und werthvoll.



') "Gewöhnen Sie sich doch, wenn es Ihnen möglich ist, eine Wendung in Ihren Brie-
fen ab, die mich oft und schwer ärgert; nämlich die: "Lassen Sie uns über diesen und jenen
Gegensatz nicht länger hadern." Fürs Erste hadre ich nie und finde den Ausdruck nicht
anständig. Für" Zweite kömmt diese Wendung fast immer in Fällen vor, wo Sie, anstatt
Zu hadern, sich lieber von mir belehren lassen sollten, in Sachen, die ich nothwendig viel
besser wissen muß als Sie, wo wir nicht auf einer Linie stehen, also auch nicht mit einander
hadern können. Ich raisonire gar nicht mit Ihnen; ich hadre noch viel weniger. Wenn
Sie meine Belehrung verschmähen, so schweigen Sie still, und denken Sie sich das Ihrige,
daß Sie es mir aber als einen Act der Mäßigung anrechnen wollen, wenn Sie, um mich zu
schonen, endlich aufhören, Ihre These zu behaupten, das ist zu stark."
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Bemerkungen, welche die Lektüre historischer und politischer Werke veranlaßte,
bilden den Hauptinhalt der beiden Bände; die mitgetheilten Briefe sind
gleichfalls vorwiegend politischen Inhalts. Wichtig sind die Publikationen
nicht nur zur Kenntniß der einzelnen Ereignisse, die sie betreffen , sondern
auch, weil aus ihnen weit mehr als bisher Gentz' Anschauungen sich charak-
teristren, und sich ergibt, was in ihm bleibende Ueberzeugung, innerste Geistes¬
art war und was und wie es sich im Lauf des Lebens und seiner Erfahrungen
allmählich, und zum Theil bis in den Gegensatz umwandelte. Allgemeines
Interesse beansprucht sein Briefwechsel mit Pilat, der in diesem Werke nur
in spärlichen und ungenauen Bruchstücken, vollständig aber von Professor
Mendelssohn, der die Originale von Pilats Erben in Wien erwarb, heraus¬
gegeben worden ist. In ihnen offenbart sich Gentz gleich unbefangen als
Mensch und als Staatsmann; sie geben zu jenen schroffen Zügen, in denen
man sich sein Bild vorzustellen gewöhnt hat, die versöhnenden Mitteltöne.
In einem besondern Essay hat Mendelssohn mit einer vollkommeneren Be¬
herrschung des Materials, als es früheren Biographen zu Gebote stand, die
Grundzüge in Gentz' Charakter geschildert und deren Gegensätze erläutert
und verbunden.

Diese zahlreichen Briefe, welche Gentz an den wiener Polizeiminister
Pilat richtete, den Herausgeber des österreichischen Beobachters, einer von
Metternichs Regierung inspirirter Zeitung, zeigen in der That alle glän¬
zenden und gesunden Seiten von Gentz. Sein dem Adressaten überlegener
Rang berechtigte ihn, gegen denselben eine Würde und Zurückhaltung zu
bewahren, die ihm sehr gut anstehen. Um so freiwilliger und natür¬
licher äußert sich dazwischen eine Vertraulichkeit, die zu erweisen der leicht
bewegten Seele Gentz'5 ein Bedürfniß war. Besonders aber nimmt für
Gentz die geistige Ueberlegenheit ein, die einem kleinklugen und leicht er¬
hitzten Politiker wie Pilat gegenüber wohlthuend und klar hervortritt und,
wenn er seinen Correspondenten mit starken Worten hat in Schranken wei¬
sen müssen,*) so erscheinen die Gleichmäßigkeit seines Vertrauens zu ihm und
sein unbeirrt sicheres politisches Urtheil doppelt erfreulich und werthvoll.



') „Gewöhnen Sie sich doch, wenn es Ihnen möglich ist, eine Wendung in Ihren Brie-
fen ab, die mich oft und schwer ärgert; nämlich die: „Lassen Sie uns über diesen und jenen
Gegensatz nicht länger hadern." Fürs Erste hadre ich nie und finde den Ausdruck nicht
anständig. Für« Zweite kömmt diese Wendung fast immer in Fällen vor, wo Sie, anstatt
Zu hadern, sich lieber von mir belehren lassen sollten, in Sachen, die ich nothwendig viel
besser wissen muß als Sie, wo wir nicht auf einer Linie stehen, also auch nicht mit einander
hadern können. Ich raisonire gar nicht mit Ihnen; ich hadre noch viel weniger. Wenn
Sie meine Belehrung verschmähen, so schweigen Sie still, und denken Sie sich das Ihrige,
daß Sie es mir aber als einen Act der Mäßigung anrechnen wollen, wenn Sie, um mich zu
schonen, endlich aufhören, Ihre These zu behaupten, das ist zu stark."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/461>, abgerufen am 22.07.2024.