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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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am Main, seinen Rock linkshändig zuknöpfen müsse. Auch hat Bause die
Brust etwas verlängert, weil er das Bildniß in ein Oval gesetzt hat. Weicht
nun schon in diesen Äußerlichkeiten sein Stich vom Original ab, so ist er
auch zwar vortrefflich und fleißig ausgeführt wie alle Bäuschchen Arbeiten,
doch in den Gesichtszügen weit stärker markirt als das Gemälde, und das
Antlitz erhält dadurch einen etwas philisterhaften und eher abstoßenden Aus¬
druck. So mag man auch schon, als das Blatt erschien, geurtheilt haben,
denn Reiske schreibt am 12. December 1772 an Lessing: "Meine Frau be¬
trachtet oft Ihr Portrait von Bause, ob es Ihnen gleich wenig ähnlich
sieht." Frau Reiske, bekanntlich eine hochgelehrte Frau, liebte Lessing, und
hoffte später nach Reiske's Tode, er würde sie heirathen.

Weit treuer als Bause's Stich, wenn auch- ein wenig verflacht, gibt
ein neues Blatt von L. Sichling, welches auch in den Aeußerlichkeiten genau
dem Originale entspricht, den Charakter des Gemäldes wieder. Dies Blatt
gehört zu der bei Breitkopf und Härtel erschienenen Bildersammlung großer
Deutschen.

Nach diesem Gemälde und besonders nach dem Bäuschchen Stiche sind
von jeher die meisten der unzähligen Bildnisse Lessing's, ja fast alle, copirt
worden. - Von älteren Stichen ist besonders eine vortreffliche Radirung ohne
Künstlernamen zu nennen, welche sich in der Oesfeldschen Portraitsammlung
bei der königlichen Bibliothek zu Berlin befindet, dann kleinere Stiche von
Fritsch, Sturm und Liebe, die zum Theil für Bücher oder Kalender bestimmt
waren, ein Blatt von Verhelft, sauber aber karrikirt, ist in Manheim 1778
gestochen, also bald nachdem Lessing dort gewesen, besser ist eins von Karcher,
1797 erschienen.

Diese drei schönen Gemälde von Tischbein, May und Graff bezeugen
nicht allein durch ihre Uebereinstimmung in den Zügen, daß sie alle drei
ähnlich sind, sondern sie gleichen auch sämmtlich der Todtenmaske, welche
der braunschweigsche Medailleur und Bildhauer Krull abgeformt hat. Sie
ist freilich nicht "höchst sorgfältig gearbeitet", wie Guhrauer sie nennt, denn
Todtenmasken werden, nicht gearbeitet, sondern sind mechanische Abgüsse des
Antlitzes von Verstorbenen, und haben eben als unmittelbare Abdrücke größere
Authenticität für die physischen Züge als irgend ein Kunstwerk. Dies ist es,
was allen Todtenmasken solch hohes Interesse gibt. Die Todtenmaske
Lessing's ist nicht einmal sorgfältig abgeformt, allein dennoch zeigt sie die
edlen, reinen Formen seines Kopfes, und besonders tritt die Stirn als be¬
deutend hervor, sie ist wie die griechischen Stirnen breit aber nicht hoch, und
ein reiches Leben voll ernster tiefer Forschung hat sie ausgearbeitet. Krull
hat nach der Maske sogleich eine wohlgelungene lebensgroße Büste verfertigt,
von welcher auch kleine Copien in Biscuitmasse gemacht wurden.


am Main, seinen Rock linkshändig zuknöpfen müsse. Auch hat Bause die
Brust etwas verlängert, weil er das Bildniß in ein Oval gesetzt hat. Weicht
nun schon in diesen Äußerlichkeiten sein Stich vom Original ab, so ist er
auch zwar vortrefflich und fleißig ausgeführt wie alle Bäuschchen Arbeiten,
doch in den Gesichtszügen weit stärker markirt als das Gemälde, und das
Antlitz erhält dadurch einen etwas philisterhaften und eher abstoßenden Aus¬
druck. So mag man auch schon, als das Blatt erschien, geurtheilt haben,
denn Reiske schreibt am 12. December 1772 an Lessing: „Meine Frau be¬
trachtet oft Ihr Portrait von Bause, ob es Ihnen gleich wenig ähnlich
sieht." Frau Reiske, bekanntlich eine hochgelehrte Frau, liebte Lessing, und
hoffte später nach Reiske's Tode, er würde sie heirathen.

Weit treuer als Bause's Stich, wenn auch- ein wenig verflacht, gibt
ein neues Blatt von L. Sichling, welches auch in den Aeußerlichkeiten genau
dem Originale entspricht, den Charakter des Gemäldes wieder. Dies Blatt
gehört zu der bei Breitkopf und Härtel erschienenen Bildersammlung großer
Deutschen.

Nach diesem Gemälde und besonders nach dem Bäuschchen Stiche sind
von jeher die meisten der unzähligen Bildnisse Lessing's, ja fast alle, copirt
worden. - Von älteren Stichen ist besonders eine vortreffliche Radirung ohne
Künstlernamen zu nennen, welche sich in der Oesfeldschen Portraitsammlung
bei der königlichen Bibliothek zu Berlin befindet, dann kleinere Stiche von
Fritsch, Sturm und Liebe, die zum Theil für Bücher oder Kalender bestimmt
waren, ein Blatt von Verhelft, sauber aber karrikirt, ist in Manheim 1778
gestochen, also bald nachdem Lessing dort gewesen, besser ist eins von Karcher,
1797 erschienen.

Diese drei schönen Gemälde von Tischbein, May und Graff bezeugen
nicht allein durch ihre Uebereinstimmung in den Zügen, daß sie alle drei
ähnlich sind, sondern sie gleichen auch sämmtlich der Todtenmaske, welche
der braunschweigsche Medailleur und Bildhauer Krull abgeformt hat. Sie
ist freilich nicht „höchst sorgfältig gearbeitet", wie Guhrauer sie nennt, denn
Todtenmasken werden, nicht gearbeitet, sondern sind mechanische Abgüsse des
Antlitzes von Verstorbenen, und haben eben als unmittelbare Abdrücke größere
Authenticität für die physischen Züge als irgend ein Kunstwerk. Dies ist es,
was allen Todtenmasken solch hohes Interesse gibt. Die Todtenmaske
Lessing's ist nicht einmal sorgfältig abgeformt, allein dennoch zeigt sie die
edlen, reinen Formen seines Kopfes, und besonders tritt die Stirn als be¬
deutend hervor, sie ist wie die griechischen Stirnen breit aber nicht hoch, und
ein reiches Leben voll ernster tiefer Forschung hat sie ausgearbeitet. Krull
hat nach der Maske sogleich eine wohlgelungene lebensgroße Büste verfertigt,
von welcher auch kleine Copien in Biscuitmasse gemacht wurden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/456>, abgerufen am 24.08.2024.