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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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daß Graff, damals der erste Bildnißmaler in Nordeutschland, häusig seine
Bilder von Schülern und Gehilfen copiren ließ und dann selbst die letzte
Hand anlegte, indem er sie mehr oder minder übermalte.- Und ohne Zweifel
wünschten manche von Lessing's zahlreichen Verehrern und Freunden gleich
damals sein Bildniß zu besitzen. Wir kennen jetzt fünf alte gleichzeitige
Exemplare; ein sehr schönes im Besitz des Herrn Buchhändlers .Dr. Härtel
zu Leipzig stammt nach dessen freundlicher Mittheilung aus dem Besitz des
alten Breitkopf, welcher bekanntlich mit Lessing bekannt war. Ein zweites
besitzt Herr Ziegler im Palmengarten zu Winterthur, Herr Buchhändler An¬
dreas Perthes zu Gotha das dritte, welches aus dem Hause seines Groß-
Vaters Matthias Claudius, des Wandsbecker Boten, stammt. Von einem
andern Exemplar zu Mainz hat Herr Freiherr von Aufseß dem Herrn An¬
dreas Perthes Nachricht gegeben, also dem vierten. Und endlich verdanken
wir Herrn Dr. A. Soetbeer zu Hamburg die Kunde, daß sich das fünfte
Exemplar dort im Besitz der Frau Senator Pehmöller befindet.

Welches von diesen fünf Exemplaren das Original ist, falls dies nicht
vielleicht in Braunschweig oder Wolfenbüttel sich noch versteckt, das könnte
nur eine künstlerische Vergleichung aller neben einander gestellten Exemplare
ermitteln. Herr Dr. Soetbeer, welcher einen ausführlichen Aufsatz über das
Hamburger Bild vorbereitet, hält dieses für das Original. Möglich ist es,
aber nicht wahrscheinlich. Fest steht nur, daß dies Exemplar früher im Besitz
des Kaufmanns Schwalb in Hamburg war, welcher zu Lessing's dortigem
Umgangskreise gehörte. Allein es ist wahrscheinlicher, daß Schwalb, mit Graff
nachweislich befreundet, sich eben auch ein Exemplar malen ließ, als daß
Lessing's Gattin ein solches Gemälde -- wenn sie es besaß, was wir nicht
einmal wissen -- einem Freunde geschenkt hätte. Das leipziger Exemplar,
welches ich gesehen, hat mir durchaus den Eindruck des Originals gemacht-

Wie ein französischer Literat Thiebault, welcher zwanzig Jahre als Leh¬
rer seiner Muttersprache an der Kriegsschule und als literarischer Handlanger
Friedrichs des Großen in Berlin gelebt hat, sich rühmt, er habe aus diesem
Bildniß, ohne zu wissen, daß es Lessing vorstelle, dessen Charakter mit all
seinen Eigenthümlichkeiten erkannt, mag man in seinen Souvenirs as virißt
ans ac LHour Z, Berlin oder in dem Buche von Danzel und Guhrauer nach¬
lesen. Die Erzählung macht nicht den Eindruck der Wahrheit.

Gleich im folgenden Jahr, nachdem dies Bild gemalt war, hat Bause
seinen bekannten Stich danach herausgegeben; vielleicht hat er ihn nach dem
Exemplar des Herrn Dr. Härtel gemacht, da wir wissen, daß dies von An¬
fang an in Bause's Wohnort Leipzig war. Dieser Stich ist von der Gegen¬
seite, deshalb hat der aufmerksame Bause Knöpfe und Knopflöcher vertauscht,
damit Lessing nicht, wie der colossale Göthe von Schwanthaler in Frankfurt


daß Graff, damals der erste Bildnißmaler in Nordeutschland, häusig seine
Bilder von Schülern und Gehilfen copiren ließ und dann selbst die letzte
Hand anlegte, indem er sie mehr oder minder übermalte.- Und ohne Zweifel
wünschten manche von Lessing's zahlreichen Verehrern und Freunden gleich
damals sein Bildniß zu besitzen. Wir kennen jetzt fünf alte gleichzeitige
Exemplare; ein sehr schönes im Besitz des Herrn Buchhändlers .Dr. Härtel
zu Leipzig stammt nach dessen freundlicher Mittheilung aus dem Besitz des
alten Breitkopf, welcher bekanntlich mit Lessing bekannt war. Ein zweites
besitzt Herr Ziegler im Palmengarten zu Winterthur, Herr Buchhändler An¬
dreas Perthes zu Gotha das dritte, welches aus dem Hause seines Groß-
Vaters Matthias Claudius, des Wandsbecker Boten, stammt. Von einem
andern Exemplar zu Mainz hat Herr Freiherr von Aufseß dem Herrn An¬
dreas Perthes Nachricht gegeben, also dem vierten. Und endlich verdanken
wir Herrn Dr. A. Soetbeer zu Hamburg die Kunde, daß sich das fünfte
Exemplar dort im Besitz der Frau Senator Pehmöller befindet.

Welches von diesen fünf Exemplaren das Original ist, falls dies nicht
vielleicht in Braunschweig oder Wolfenbüttel sich noch versteckt, das könnte
nur eine künstlerische Vergleichung aller neben einander gestellten Exemplare
ermitteln. Herr Dr. Soetbeer, welcher einen ausführlichen Aufsatz über das
Hamburger Bild vorbereitet, hält dieses für das Original. Möglich ist es,
aber nicht wahrscheinlich. Fest steht nur, daß dies Exemplar früher im Besitz
des Kaufmanns Schwalb in Hamburg war, welcher zu Lessing's dortigem
Umgangskreise gehörte. Allein es ist wahrscheinlicher, daß Schwalb, mit Graff
nachweislich befreundet, sich eben auch ein Exemplar malen ließ, als daß
Lessing's Gattin ein solches Gemälde — wenn sie es besaß, was wir nicht
einmal wissen — einem Freunde geschenkt hätte. Das leipziger Exemplar,
welches ich gesehen, hat mir durchaus den Eindruck des Originals gemacht-

Wie ein französischer Literat Thiebault, welcher zwanzig Jahre als Leh¬
rer seiner Muttersprache an der Kriegsschule und als literarischer Handlanger
Friedrichs des Großen in Berlin gelebt hat, sich rühmt, er habe aus diesem
Bildniß, ohne zu wissen, daß es Lessing vorstelle, dessen Charakter mit all
seinen Eigenthümlichkeiten erkannt, mag man in seinen Souvenirs as virißt
ans ac LHour Z, Berlin oder in dem Buche von Danzel und Guhrauer nach¬
lesen. Die Erzählung macht nicht den Eindruck der Wahrheit.

Gleich im folgenden Jahr, nachdem dies Bild gemalt war, hat Bause
seinen bekannten Stich danach herausgegeben; vielleicht hat er ihn nach dem
Exemplar des Herrn Dr. Härtel gemacht, da wir wissen, daß dies von An¬
fang an in Bause's Wohnort Leipzig war. Dieser Stich ist von der Gegen¬
seite, deshalb hat der aufmerksame Bause Knöpfe und Knopflöcher vertauscht,
damit Lessing nicht, wie der colossale Göthe von Schwanthaler in Frankfurt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/455>, abgerufen am 24.08.2024.