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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Losleute, auf die besitzlosen Classen beschränkt glaubte. Diese hungern aller¬
dings und sie würden noch weit schlimmer haben hungern müssen, wenn
nicht die thätige Menschenliebe unserer deutschen Brüder uns in solchem
Umfange zu Hilfe gekommen wäre. Die Besitzer aber, von denen doch schlie߬
lich auf die Dauer die Existenz der Besitzlosen abhängt, sind großentheils
schon jetzt zu Grunde gerichtet. Bei Eigenkäthnern und Bauern, Leuten, die
sonst wenigstens reichlich satt zu essen hatten, ist ebenfalls der bitterste Man¬
gel eingezogen; bei den größeren Besitzern werden Subhastationen und Ban¬
kerotte in erschreckender Zahl nachkommen. Die übrigen, die sich halten,
werden Jahre brauchen, ehe die Verluste der letzten Zeit wieder ausgeglichen
sind. -- Nun bedenken Sie, welche überwiegende Wichtigkeit die Landwirth¬
schaft für unsere Provinz hat! Die Hälfte der ganzen Bevölkerung lebt
unmittelbar von ihr, ein guter Theil der andern Hälfte, z. B. die Hand¬
werker und Krämer der kleinen Städte und ländlichen Ortschaften wenigstens
mittelbar., So ist denn das Gedeihen des Landmanns in viel
höherem Grade eine Lebensfrage für die Gesammtheit, seine
Calamität ein viel allgemeineres Unglück, als in einer ande¬
ren Provinz mit einer stärkeren, selbständigeren Städtebe¬
völkerung und mit vielfältigeren Erwerbsquellen. Und wenn Sie
.sich erinnern, daß die gegenwärtige Krisis nun schon die dritte in unserm
Jahrhundert ist; wenn Sie dazu noch die dauernden Hemmnisse erwägen,
welche den Aufschwung unseres Wohlstandes erschweren, so werden Sie es,
wie ich glaube, vollkommen begreiflich finden, wie die Provinz in ihrer gan¬
zen wirthschaftlichen Entwicklung so weit hinter den andern Landestheilen
hat zurückbleiben können.

Lassen Sie mich zuletzt nur noch einige Zahlen anführen, welche diese
zurückgebliebene Entwicklung thatsächlich belegen werden.

Die Provinz Preußen hat auf mehr als 3 Millionen Einwohner nur 3
Städte mit einer Bevölkerung von über 20,000 Seelen: Königsberg, Elbing
und Danzig. In ihnen hat sich im Vergleiche mit andern Städten der älteren
Landestheile die Bevölkerung von 1816 bis 1864 folgendermaßen entwickelt:

EinwohnerzahlZunahme
18161864Procent,
Elbing17.85027,83454
Königsberg61,084101,50766
Danzig .61.03190.33477
Dagegen: Aachen32.07263.81198
Magdeburg34,73470,147101
Potsdam.20.23442.266108
Trier . .9,91221,674118

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Losleute, auf die besitzlosen Classen beschränkt glaubte. Diese hungern aller¬
dings und sie würden noch weit schlimmer haben hungern müssen, wenn
nicht die thätige Menschenliebe unserer deutschen Brüder uns in solchem
Umfange zu Hilfe gekommen wäre. Die Besitzer aber, von denen doch schlie߬
lich auf die Dauer die Existenz der Besitzlosen abhängt, sind großentheils
schon jetzt zu Grunde gerichtet. Bei Eigenkäthnern und Bauern, Leuten, die
sonst wenigstens reichlich satt zu essen hatten, ist ebenfalls der bitterste Man¬
gel eingezogen; bei den größeren Besitzern werden Subhastationen und Ban¬
kerotte in erschreckender Zahl nachkommen. Die übrigen, die sich halten,
werden Jahre brauchen, ehe die Verluste der letzten Zeit wieder ausgeglichen
sind. — Nun bedenken Sie, welche überwiegende Wichtigkeit die Landwirth¬
schaft für unsere Provinz hat! Die Hälfte der ganzen Bevölkerung lebt
unmittelbar von ihr, ein guter Theil der andern Hälfte, z. B. die Hand¬
werker und Krämer der kleinen Städte und ländlichen Ortschaften wenigstens
mittelbar., So ist denn das Gedeihen des Landmanns in viel
höherem Grade eine Lebensfrage für die Gesammtheit, seine
Calamität ein viel allgemeineres Unglück, als in einer ande¬
ren Provinz mit einer stärkeren, selbständigeren Städtebe¬
völkerung und mit vielfältigeren Erwerbsquellen. Und wenn Sie
.sich erinnern, daß die gegenwärtige Krisis nun schon die dritte in unserm
Jahrhundert ist; wenn Sie dazu noch die dauernden Hemmnisse erwägen,
welche den Aufschwung unseres Wohlstandes erschweren, so werden Sie es,
wie ich glaube, vollkommen begreiflich finden, wie die Provinz in ihrer gan¬
zen wirthschaftlichen Entwicklung so weit hinter den andern Landestheilen
hat zurückbleiben können.

Lassen Sie mich zuletzt nur noch einige Zahlen anführen, welche diese
zurückgebliebene Entwicklung thatsächlich belegen werden.

Die Provinz Preußen hat auf mehr als 3 Millionen Einwohner nur 3
Städte mit einer Bevölkerung von über 20,000 Seelen: Königsberg, Elbing
und Danzig. In ihnen hat sich im Vergleiche mit andern Städten der älteren
Landestheile die Bevölkerung von 1816 bis 1864 folgendermaßen entwickelt:

EinwohnerzahlZunahme
18161864Procent,
Elbing17.85027,83454
Königsberg61,084101,50766
Danzig .61.03190.33477
Dagegen: Aachen32.07263.81198
Magdeburg34,73470,147101
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[0419] Losleute, auf die besitzlosen Classen beschränkt glaubte. Diese hungern aller¬ dings und sie würden noch weit schlimmer haben hungern müssen, wenn nicht die thätige Menschenliebe unserer deutschen Brüder uns in solchem Umfange zu Hilfe gekommen wäre. Die Besitzer aber, von denen doch schlie߬ lich auf die Dauer die Existenz der Besitzlosen abhängt, sind großentheils schon jetzt zu Grunde gerichtet. Bei Eigenkäthnern und Bauern, Leuten, die sonst wenigstens reichlich satt zu essen hatten, ist ebenfalls der bitterste Man¬ gel eingezogen; bei den größeren Besitzern werden Subhastationen und Ban¬ kerotte in erschreckender Zahl nachkommen. Die übrigen, die sich halten, werden Jahre brauchen, ehe die Verluste der letzten Zeit wieder ausgeglichen sind. — Nun bedenken Sie, welche überwiegende Wichtigkeit die Landwirth¬ schaft für unsere Provinz hat! Die Hälfte der ganzen Bevölkerung lebt unmittelbar von ihr, ein guter Theil der andern Hälfte, z. B. die Hand¬ werker und Krämer der kleinen Städte und ländlichen Ortschaften wenigstens mittelbar., So ist denn das Gedeihen des Landmanns in viel höherem Grade eine Lebensfrage für die Gesammtheit, seine Calamität ein viel allgemeineres Unglück, als in einer ande¬ ren Provinz mit einer stärkeren, selbständigeren Städtebe¬ völkerung und mit vielfältigeren Erwerbsquellen. Und wenn Sie .sich erinnern, daß die gegenwärtige Krisis nun schon die dritte in unserm Jahrhundert ist; wenn Sie dazu noch die dauernden Hemmnisse erwägen, welche den Aufschwung unseres Wohlstandes erschweren, so werden Sie es, wie ich glaube, vollkommen begreiflich finden, wie die Provinz in ihrer gan¬ zen wirthschaftlichen Entwicklung so weit hinter den andern Landestheilen hat zurückbleiben können. Lassen Sie mich zuletzt nur noch einige Zahlen anführen, welche diese zurückgebliebene Entwicklung thatsächlich belegen werden. Die Provinz Preußen hat auf mehr als 3 Millionen Einwohner nur 3 Städte mit einer Bevölkerung von über 20,000 Seelen: Königsberg, Elbing und Danzig. In ihnen hat sich im Vergleiche mit andern Städten der älteren Landestheile die Bevölkerung von 1816 bis 1864 folgendermaßen entwickelt: EinwohnerzahlZunahme 18161864Procent, Elbing17.85027,83454 Königsberg61,084101,50766 Danzig .61.03190.33477 Dagegen: Aachen32.07263.81198 Magdeburg34,73470,147101 Potsdam.20.23442.266108 Trier . .9,91221,674118 52*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/419>, abgerufen am 24.08.2024.