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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Güter wurden zu wahren Spottpreisen verkauft, viele Hypothekengläubiger
fielen mit ihren Forderungen aus, viele Besitzer mußten Haus und Hof verlassen
und versanken in die tiefste Dürftigkeit. Nur diejenigen, die selbst oder deren
Eltern diese Krisis überdauert haben, und die, welche erst in oder bald nach
derselben ihre Güter gekauft, stehen heutzutage fest in ihren Schuhen. Denn
nach einigen Jahren wurde der Markt für Getreide günstiger, Schafzucht
und Rapsbau fingen an sich auszubreiten, die ersten Chausseen wurden an¬
gelegt, Credit und Kaufpreis der Güter stieg, zuerst langsam und mäßig --
dann schwindelhaft. Besonders seit den fünfziger Jahren wurden große und
kleine Besitzungen förmlich zur Handelswaare. Eine Schaar von Güter-
agenten wuchs gleich Giftpilzen aus dem Boden und vermittelte die Geschäfte.
Fremde Käufer, namentlich aus Mecklenburg, kamen ins Land, darunter
solide, mit Capital und Wirthschaftskenntniß ausgerüstet -- ihnen allen geht
es gut und sie werden auch fast ausnahmslos die gegenwärtige Krisis über¬
stehen -- aber auch Abenteurer und Unerfahrene genug. Jene kauften
besonders gern Güter mit Waldbesitz, machten sofort das Holz zu Gelde,
den Waldboden zu Acker und verkauften dann das Gut zu noch höherem
Preise, um mit dem Erlös sogleich ein neues Geschäft gleicher Art zu begin¬
nen. Diese gingen, oft mit sehr geringem Capital, Gutskäufe ein zu so
hohen Preisen, als müßten die günstigen Conjuncturen ewig dauern und
als könnten gar keine andern Ernten mehr vorkommen, als gute. Beiden
Kategorien ist nicht zu helfen -- sie werden die Folgen ihres Leicht¬
sinns oder ihrer Schwindelei zu tragen haben! Das Unglück ist nur, daß,
wie so häufig, der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden muß: der Credit
unserer Landwirthe ist zur Zeit völlig ruinirt! Einer unserer leitenden
Staatsmänner hat kürzlich gesagt: man möge doch nicht den Credit der Pro¬
vinz durch übertriebene Schilderungen des Nothstandes gefährden. Ich möchte
wissen, was an einer Sache zu gefährden ist, die eigentlich gar nicht mehr existirt!
Selbst Hypothekendocumente, die auf größeren, wohl bewirthschafteten Gütern
zu sicherer Stelle eingetragen sind, kann man nicht ohne 20 Proc, Verlust
versilbern. Der Bauer aber, auch der solideste, dem ein Capital gekündigt
worden ist, oder der zum Betriebe seiner Wirthschaft unumgänglich nöthig
baares Geld braucht, bekommt es unter keinerlei Bedingungen mehr. Im
Januar waren allein im stallupöner Kreise 170 Subhastationen bäuerlicher
Grundstücke im Gange, im gumbinner und insterburger je 70--80; und deren
Besitzer waren keine Schwindler, sondern größtentheils ordentliche Leute, die
bis vor ein paar Jahren noch für wohlhabend, für echte Repräsentanten des
tüchtigen, ehrenhaften deutschen Bauernstandes gelten konnten. Solche That¬
sachen reden laut genug; dagegen helfen keine Bemäntelungen!

Man würde also sehr irren, wenn man die Noth Ostpreußens auf die


Güter wurden zu wahren Spottpreisen verkauft, viele Hypothekengläubiger
fielen mit ihren Forderungen aus, viele Besitzer mußten Haus und Hof verlassen
und versanken in die tiefste Dürftigkeit. Nur diejenigen, die selbst oder deren
Eltern diese Krisis überdauert haben, und die, welche erst in oder bald nach
derselben ihre Güter gekauft, stehen heutzutage fest in ihren Schuhen. Denn
nach einigen Jahren wurde der Markt für Getreide günstiger, Schafzucht
und Rapsbau fingen an sich auszubreiten, die ersten Chausseen wurden an¬
gelegt, Credit und Kaufpreis der Güter stieg, zuerst langsam und mäßig —
dann schwindelhaft. Besonders seit den fünfziger Jahren wurden große und
kleine Besitzungen förmlich zur Handelswaare. Eine Schaar von Güter-
agenten wuchs gleich Giftpilzen aus dem Boden und vermittelte die Geschäfte.
Fremde Käufer, namentlich aus Mecklenburg, kamen ins Land, darunter
solide, mit Capital und Wirthschaftskenntniß ausgerüstet — ihnen allen geht
es gut und sie werden auch fast ausnahmslos die gegenwärtige Krisis über¬
stehen — aber auch Abenteurer und Unerfahrene genug. Jene kauften
besonders gern Güter mit Waldbesitz, machten sofort das Holz zu Gelde,
den Waldboden zu Acker und verkauften dann das Gut zu noch höherem
Preise, um mit dem Erlös sogleich ein neues Geschäft gleicher Art zu begin¬
nen. Diese gingen, oft mit sehr geringem Capital, Gutskäufe ein zu so
hohen Preisen, als müßten die günstigen Conjuncturen ewig dauern und
als könnten gar keine andern Ernten mehr vorkommen, als gute. Beiden
Kategorien ist nicht zu helfen — sie werden die Folgen ihres Leicht¬
sinns oder ihrer Schwindelei zu tragen haben! Das Unglück ist nur, daß,
wie so häufig, der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden muß: der Credit
unserer Landwirthe ist zur Zeit völlig ruinirt! Einer unserer leitenden
Staatsmänner hat kürzlich gesagt: man möge doch nicht den Credit der Pro¬
vinz durch übertriebene Schilderungen des Nothstandes gefährden. Ich möchte
wissen, was an einer Sache zu gefährden ist, die eigentlich gar nicht mehr existirt!
Selbst Hypothekendocumente, die auf größeren, wohl bewirthschafteten Gütern
zu sicherer Stelle eingetragen sind, kann man nicht ohne 20 Proc, Verlust
versilbern. Der Bauer aber, auch der solideste, dem ein Capital gekündigt
worden ist, oder der zum Betriebe seiner Wirthschaft unumgänglich nöthig
baares Geld braucht, bekommt es unter keinerlei Bedingungen mehr. Im
Januar waren allein im stallupöner Kreise 170 Subhastationen bäuerlicher
Grundstücke im Gange, im gumbinner und insterburger je 70—80; und deren
Besitzer waren keine Schwindler, sondern größtentheils ordentliche Leute, die
bis vor ein paar Jahren noch für wohlhabend, für echte Repräsentanten des
tüchtigen, ehrenhaften deutschen Bauernstandes gelten konnten. Solche That¬
sachen reden laut genug; dagegen helfen keine Bemäntelungen!

Man würde also sehr irren, wenn man die Noth Ostpreußens auf die


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[0418] Güter wurden zu wahren Spottpreisen verkauft, viele Hypothekengläubiger fielen mit ihren Forderungen aus, viele Besitzer mußten Haus und Hof verlassen und versanken in die tiefste Dürftigkeit. Nur diejenigen, die selbst oder deren Eltern diese Krisis überdauert haben, und die, welche erst in oder bald nach derselben ihre Güter gekauft, stehen heutzutage fest in ihren Schuhen. Denn nach einigen Jahren wurde der Markt für Getreide günstiger, Schafzucht und Rapsbau fingen an sich auszubreiten, die ersten Chausseen wurden an¬ gelegt, Credit und Kaufpreis der Güter stieg, zuerst langsam und mäßig — dann schwindelhaft. Besonders seit den fünfziger Jahren wurden große und kleine Besitzungen förmlich zur Handelswaare. Eine Schaar von Güter- agenten wuchs gleich Giftpilzen aus dem Boden und vermittelte die Geschäfte. Fremde Käufer, namentlich aus Mecklenburg, kamen ins Land, darunter solide, mit Capital und Wirthschaftskenntniß ausgerüstet — ihnen allen geht es gut und sie werden auch fast ausnahmslos die gegenwärtige Krisis über¬ stehen — aber auch Abenteurer und Unerfahrene genug. Jene kauften besonders gern Güter mit Waldbesitz, machten sofort das Holz zu Gelde, den Waldboden zu Acker und verkauften dann das Gut zu noch höherem Preise, um mit dem Erlös sogleich ein neues Geschäft gleicher Art zu begin¬ nen. Diese gingen, oft mit sehr geringem Capital, Gutskäufe ein zu so hohen Preisen, als müßten die günstigen Conjuncturen ewig dauern und als könnten gar keine andern Ernten mehr vorkommen, als gute. Beiden Kategorien ist nicht zu helfen — sie werden die Folgen ihres Leicht¬ sinns oder ihrer Schwindelei zu tragen haben! Das Unglück ist nur, daß, wie so häufig, der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden muß: der Credit unserer Landwirthe ist zur Zeit völlig ruinirt! Einer unserer leitenden Staatsmänner hat kürzlich gesagt: man möge doch nicht den Credit der Pro¬ vinz durch übertriebene Schilderungen des Nothstandes gefährden. Ich möchte wissen, was an einer Sache zu gefährden ist, die eigentlich gar nicht mehr existirt! Selbst Hypothekendocumente, die auf größeren, wohl bewirthschafteten Gütern zu sicherer Stelle eingetragen sind, kann man nicht ohne 20 Proc, Verlust versilbern. Der Bauer aber, auch der solideste, dem ein Capital gekündigt worden ist, oder der zum Betriebe seiner Wirthschaft unumgänglich nöthig baares Geld braucht, bekommt es unter keinerlei Bedingungen mehr. Im Januar waren allein im stallupöner Kreise 170 Subhastationen bäuerlicher Grundstücke im Gange, im gumbinner und insterburger je 70—80; und deren Besitzer waren keine Schwindler, sondern größtentheils ordentliche Leute, die bis vor ein paar Jahren noch für wohlhabend, für echte Repräsentanten des tüchtigen, ehrenhaften deutschen Bauernstandes gelten konnten. Solche That¬ sachen reden laut genug; dagegen helfen keine Bemäntelungen! Man würde also sehr irren, wenn man die Noth Ostpreußens auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/418>, abgerufen am 24.08.2024.