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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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bewältigen. Die Bevölkerung ist dünn, fremde Arbeiter daher in der meist
sehr kurzen Erntezeit sehr gesucht. Wer deren braucht, muß unverhältnis¬
mäßig hohen Tagelohn zahlen. Schon diese Umstände erklären wohl hin¬
länglich, warum der Reinertrag trotz unsers guten Bodens und günstigen
Wiesenverhältnisses bei uns durchschnittlich niedriger ausfällt, als in allen
andern Provinzen. Bei Regulirung der Grundsteuer wurde der Reinertrag
des Morgens im Durchschnitt aller Benutzungsarten veranschlagt in:

Preußen.....auf 19 Sgr.
Posen .......22 "
Pommern....." 26 "
Schlesien....." 37 "
Brandenburg .... " 26 "
Sachsen......" 62 "
Westphalen .... " 41 "
Rheinland..... " 54 "
im Durchschnitt aller Provinzen auf 33 Sgr.

Hierzu kommt endlich noch der erschwerte Absatz, dessen Ursachen schon
erörtert worden sind. Noch heute muß die Hälfte der Provinz die Trans¬
portkosten für Getreide bis Königsberg auf 6--12 Sgr. pro Scheffel veran¬
schlagen-- oft doppelt soviel, als der Transport von Königsberg nach Eng¬
land kostet! Aber das ist die günstigere Gegenwart. Vor 10--20 Jahren,
wo man vom Herbst bis zum Frühjahr nicht mehr als 20 Scheffel auf einen
vierspännigen Wagen laden und nicht mehr als 4--3 Meilen täglich zurück¬
legen konnte, war es ganz selbstverständlich, daß-die Getreidefuhren 3, 4 und
mehr Tage bis zu ihrer Heimkehr bedurften und daher die Kosten sich weit
höher beliefen, ganz abgesehen von dem Verluste durch zerbrochene Wagen,
zerrissene Geschirre oder erkrankte Pferde und von der langen Entbehrung
der Arbeitskräfte. Dies vorausgeschickt, lassen Sie mich einen raschen Blick
auf die Lage unserer ländlichen Besitzer während der letzten Jahrzehnte werfen.

Kaum waren die Verwüstungen der Kriegszeit an Gebäuden, Aeckern und
Viehstand einigermaßen ausgeglichen, so trat zu Anfang der zwanziger Jahre
auf den ausländischen Märkten ein gänzlicher Mangel an Nachfrage nach
Getreide ein. England, Holland, Frankreich -- alle unsere Kunden hatten
mehrere Jahre hindurch so ungewöhnlich ergiebige Ernten, daß sie ihren Be¬
darf selber deckten. In Folge dessen sanken die Preise in einer bis dahin
unerhörten Weise: der Scheffel Roggen galt 10 Sgr., der Scheffel Weizen
12--15 Sgr. und selbst zu diesen Preisen wollten die königsberg^r Kaufleute
kaum noch kaufen, da ihre Speicher überfüllt waren. Die Gutsbesitzer brachten
kaum die Wirthschaftskosten heraus, die meisten, noch stark verschuldet, konnten
die Zinsen nicht erschwingen, Subhastationen waren an der Tagesordnung, die


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bewältigen. Die Bevölkerung ist dünn, fremde Arbeiter daher in der meist
sehr kurzen Erntezeit sehr gesucht. Wer deren braucht, muß unverhältnis¬
mäßig hohen Tagelohn zahlen. Schon diese Umstände erklären wohl hin¬
länglich, warum der Reinertrag trotz unsers guten Bodens und günstigen
Wiesenverhältnisses bei uns durchschnittlich niedriger ausfällt, als in allen
andern Provinzen. Bei Regulirung der Grundsteuer wurde der Reinertrag
des Morgens im Durchschnitt aller Benutzungsarten veranschlagt in:

Preußen.....auf 19 Sgr.
Posen .......22 „
Pommern.....„ 26 „
Schlesien.....„ 37 „
Brandenburg .... „ 26 „
Sachsen......„ 62 „
Westphalen .... „ 41 „
Rheinland..... „ 54 „
im Durchschnitt aller Provinzen auf 33 Sgr.

Hierzu kommt endlich noch der erschwerte Absatz, dessen Ursachen schon
erörtert worden sind. Noch heute muß die Hälfte der Provinz die Trans¬
portkosten für Getreide bis Königsberg auf 6—12 Sgr. pro Scheffel veran¬
schlagen— oft doppelt soviel, als der Transport von Königsberg nach Eng¬
land kostet! Aber das ist die günstigere Gegenwart. Vor 10—20 Jahren,
wo man vom Herbst bis zum Frühjahr nicht mehr als 20 Scheffel auf einen
vierspännigen Wagen laden und nicht mehr als 4—3 Meilen täglich zurück¬
legen konnte, war es ganz selbstverständlich, daß-die Getreidefuhren 3, 4 und
mehr Tage bis zu ihrer Heimkehr bedurften und daher die Kosten sich weit
höher beliefen, ganz abgesehen von dem Verluste durch zerbrochene Wagen,
zerrissene Geschirre oder erkrankte Pferde und von der langen Entbehrung
der Arbeitskräfte. Dies vorausgeschickt, lassen Sie mich einen raschen Blick
auf die Lage unserer ländlichen Besitzer während der letzten Jahrzehnte werfen.

Kaum waren die Verwüstungen der Kriegszeit an Gebäuden, Aeckern und
Viehstand einigermaßen ausgeglichen, so trat zu Anfang der zwanziger Jahre
auf den ausländischen Märkten ein gänzlicher Mangel an Nachfrage nach
Getreide ein. England, Holland, Frankreich — alle unsere Kunden hatten
mehrere Jahre hindurch so ungewöhnlich ergiebige Ernten, daß sie ihren Be¬
darf selber deckten. In Folge dessen sanken die Preise in einer bis dahin
unerhörten Weise: der Scheffel Roggen galt 10 Sgr., der Scheffel Weizen
12—15 Sgr. und selbst zu diesen Preisen wollten die königsberg^r Kaufleute
kaum noch kaufen, da ihre Speicher überfüllt waren. Die Gutsbesitzer brachten
kaum die Wirthschaftskosten heraus, die meisten, noch stark verschuldet, konnten
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/417>, abgerufen am 24.08.2024.