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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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und doch hatte man schließlich das Nachsehen, das eigene Nein wurde zum
Ja; man mußte zuletzt ratifieiren, was man offen und laut mißbilligt
hatte. Ein Zug der stillen Resignation ging durch den Halbmondsaal, und
bereits erregten die Reformbestrebungen, die zugleich mit dem Regierungs¬
wechsel auftauchten, mehr wehmüthiges Lächeln, als stolze Hoffnung.

Als freilich das große Schicksalsjahr kam. waren jene guten Lehren
wieder vergessen. Jetzt schien der Tag der Rache für so viel Demüthigung
gekommen. Immer noch war es dieselbe Kammer, die im Juni fast noch
größeren Eifer für den Krieg wider den Friedensbrecher entwickelte, als der
Minister des Va.ö Vietis, und ihm mit einer Art ungeduldiger Freudigkeit
die Gelder dafür bewilligte. Dieselbe Kammer hatte noch im August, als
Königgrätz bereits geschlagen war und es galt, weiteres nutzloses Blut am
Main zu sparen, den Vorschlag, ein Wort sür den Frieden einzulegen, von
sich gewiesen, und als sie dann nach Tauberbischofshcim den Friedensvertrag
zu genehmigen hatte, that sie es nicht, ohne gleichzeitig eine Adresse zu be¬
schließen, worin sie ihren Gefühlen noch einmal feierlich Ausdruck gab und
eine engere Verbindung mit Preußen zur Ueberbrückung des Main nach¬
drücklich von sich wies. Aber das vergeltende Schicksal hatte ihr noch mehr
aufgespart. Denn wiederum war es dieselbe Kammer, die im Jahr 1867
vor den neuen Zollvertrag und das Bündniß mit Preußen sich gestellt sah,
die der Genehmigung dieser Verträge nicht ausweichen konnte und schließlich
ein Wehrgesetz votirte, welches das verhaßte preußische System auch in
Schwaben einführt. Wie zur Sühne durste sie mit eigner Hand die Fäden
wieder knüpfen, bei deren Zerreißung im Juni 1866 sie mitgeholfen hatte.

Es liegt ein heiterer Zug der Gerechtigkeit in dieser kurzen Aufzählung
der Daten. Grausam freilich war es unter allen Umständen, daß eine Kam¬
mer, die sich so bestimmt und feierlich in einer politischen Richtung engagirt
hatte, zu Acten genöthigt wurde, die in entgegengesetzter Strömung lagen.
Es bewies keine übergroße Achtung vor der Würde der Volksvertretung,
daß Herr v. Varnbüler von einer und derselben Kammer verlangte, seine
Politik von 1866 und seine Politik von 1867 mitzumachen. Er konnte sich
freilich darauf berufen, daß er selber ja gleichfalls es verstanden habe, den
verschiedenen Situationen mit Gleichmuth gerecht zu werden, und daß er
auch andern zumuthen könne, was er sich selbst zugemuthet habe.

Gleicher Erleuchtung erfreuten sich nun die Abgeordneten der zweiten
Kammer nicht. Unmöglich auch konnte die des Ministers einfach sür sie
maßgebend sein. Und wenn die Thatsachen inzwischen vernehmlich gesprochen
hatten, so war auch dies noch keineswegs ein Grund, der mit Sicherheit ein
Verständniß dieser Thatsachen voraussetzen ließ. Im Gegentheil. Verächtlich
ist für den Schwaben der brutale Erfolg, ihn reizt das Unmögliche, und


und doch hatte man schließlich das Nachsehen, das eigene Nein wurde zum
Ja; man mußte zuletzt ratifieiren, was man offen und laut mißbilligt
hatte. Ein Zug der stillen Resignation ging durch den Halbmondsaal, und
bereits erregten die Reformbestrebungen, die zugleich mit dem Regierungs¬
wechsel auftauchten, mehr wehmüthiges Lächeln, als stolze Hoffnung.

Als freilich das große Schicksalsjahr kam. waren jene guten Lehren
wieder vergessen. Jetzt schien der Tag der Rache für so viel Demüthigung
gekommen. Immer noch war es dieselbe Kammer, die im Juni fast noch
größeren Eifer für den Krieg wider den Friedensbrecher entwickelte, als der
Minister des Va.ö Vietis, und ihm mit einer Art ungeduldiger Freudigkeit
die Gelder dafür bewilligte. Dieselbe Kammer hatte noch im August, als
Königgrätz bereits geschlagen war und es galt, weiteres nutzloses Blut am
Main zu sparen, den Vorschlag, ein Wort sür den Frieden einzulegen, von
sich gewiesen, und als sie dann nach Tauberbischofshcim den Friedensvertrag
zu genehmigen hatte, that sie es nicht, ohne gleichzeitig eine Adresse zu be¬
schließen, worin sie ihren Gefühlen noch einmal feierlich Ausdruck gab und
eine engere Verbindung mit Preußen zur Ueberbrückung des Main nach¬
drücklich von sich wies. Aber das vergeltende Schicksal hatte ihr noch mehr
aufgespart. Denn wiederum war es dieselbe Kammer, die im Jahr 1867
vor den neuen Zollvertrag und das Bündniß mit Preußen sich gestellt sah,
die der Genehmigung dieser Verträge nicht ausweichen konnte und schließlich
ein Wehrgesetz votirte, welches das verhaßte preußische System auch in
Schwaben einführt. Wie zur Sühne durste sie mit eigner Hand die Fäden
wieder knüpfen, bei deren Zerreißung im Juni 1866 sie mitgeholfen hatte.

Es liegt ein heiterer Zug der Gerechtigkeit in dieser kurzen Aufzählung
der Daten. Grausam freilich war es unter allen Umständen, daß eine Kam¬
mer, die sich so bestimmt und feierlich in einer politischen Richtung engagirt
hatte, zu Acten genöthigt wurde, die in entgegengesetzter Strömung lagen.
Es bewies keine übergroße Achtung vor der Würde der Volksvertretung,
daß Herr v. Varnbüler von einer und derselben Kammer verlangte, seine
Politik von 1866 und seine Politik von 1867 mitzumachen. Er konnte sich
freilich darauf berufen, daß er selber ja gleichfalls es verstanden habe, den
verschiedenen Situationen mit Gleichmuth gerecht zu werden, und daß er
auch andern zumuthen könne, was er sich selbst zugemuthet habe.

Gleicher Erleuchtung erfreuten sich nun die Abgeordneten der zweiten
Kammer nicht. Unmöglich auch konnte die des Ministers einfach sür sie
maßgebend sein. Und wenn die Thatsachen inzwischen vernehmlich gesprochen
hatten, so war auch dies noch keineswegs ein Grund, der mit Sicherheit ein
Verständniß dieser Thatsachen voraussetzen ließ. Im Gegentheil. Verächtlich
ist für den Schwaben der brutale Erfolg, ihn reizt das Unmögliche, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/400>, abgerufen am 03.07.2024.