Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

welchen Verträgen und Gesetzen er seine Sanction zu ertheilen haben werde.
Sechsjährig sind im constitutionellen Musterstaat die Landtagsperioden'. im
Januar 1862 ward die Kammer gewählt und welche Fülle von Ereignissen
drängt sich in diesen 6 Jahren zusammen und spiegelt sich wieder in den
Verhandlungen eines kleinstaatlichen Landtags!

Es macht Mühe, sich in jene Zeit zurückzuversetzen, da er zu seiner ersten
kurzen Sitzung zusammentrat. Damals, im Mai 1862, regierte noch König
Wilhelm, und auf dem Präsidentenstuhl saß der alte Römer, beides die Ver¬
treter einer entschwundenen Zeit. Noch waren die Parteien in einer uns
heute schwer verständlichen Mischung. Es gab noch eine geschlossene Linke,
die sich nicht wenig darauf zu gute that, daß sie eben die Linke war. Zwar
rüttelte die deutsche Frage bereits sehr unbequem an dem Bestand dieser
Partei, aber man war noch nach Kräften bemüht, den im eigenen Lager
sich erhebenden Zwiespalt sorgfältig zu verdecken, Es war die Zeit, da in
den Einzelkammern die bekannten Anträge auf "Centralgewalt und Parla¬
ment" gestellt zu werden pflegten, und damals vereinigten sich Holder und
Oesterlen zu einem gemeinschaftlichen Antrag in der deutschen Frage, die
kurz darauf als die Führer gegnerischer Lager auseinandergehen sollten. Denn
im Lauf des Jahres 1863 theilte sich auch in Würtemberg die Linke in eine
nationale und eine großdeutsch-demokratische Partei; über dem Delegirten-
projekt und der Reformakte -- wer denkt heute noch an diese Aktenfascikel!
-- über Abgeordnetentag und Fürstentag erhob sich unsäglicher Hader, bis
dann im November 1863, eben als der Landtag zu seiner ersten längeren
Session zusammentrat, die Schleswig-holsteinische Verwicklung zwang, die alten
ausgetretenen Geleise dessen, was man bis dahin die deutsche Frage genannt
hatte, zu verlassen.

Und nun warf sich die Kammer kopfüber in die große Politik. Es
folgten, von acht zu acht Tagen wiederholt, die warmherzigen Verhandlungen
über das augustenburgische Erbrecht und über die Nothwendigkeit einer selb¬
ständigen Mittelstaatenpolitik. Den großen Worten entsprach freilich nicht
der Erfolg. Nach kurzem Anlauf war es mit der Mittelstaatenpolitik zu
Ende und die Unterwerfung unter die Großmächte vollständig. Bald daraus
folgte eine neue Niederlage, der Abschluß des Handelsvertragsstreits, der
gleichfalls ein so ganz anderes Ende nahm, als die Kammer und der be¬
rühmte Mohlsche Foliant gewünscht hatte. Zwei empfindliche Erfahrungen
hatte man so hinter sich und es war nur natürlich, wenn an der Hand
dieser geschichtlichen Lectionen bescheidenere Vorstellungen über Aufgabe und
Politik eines Kleinstaates im allgemeinen und einer kleinstaatlichen Kammer
insbesondere zu reisen schienen. War doch im Grund alles hinderlich ge¬
gangen. In energischen Reden hatte man das Menschenmögliche geleistet,


welchen Verträgen und Gesetzen er seine Sanction zu ertheilen haben werde.
Sechsjährig sind im constitutionellen Musterstaat die Landtagsperioden'. im
Januar 1862 ward die Kammer gewählt und welche Fülle von Ereignissen
drängt sich in diesen 6 Jahren zusammen und spiegelt sich wieder in den
Verhandlungen eines kleinstaatlichen Landtags!

Es macht Mühe, sich in jene Zeit zurückzuversetzen, da er zu seiner ersten
kurzen Sitzung zusammentrat. Damals, im Mai 1862, regierte noch König
Wilhelm, und auf dem Präsidentenstuhl saß der alte Römer, beides die Ver¬
treter einer entschwundenen Zeit. Noch waren die Parteien in einer uns
heute schwer verständlichen Mischung. Es gab noch eine geschlossene Linke,
die sich nicht wenig darauf zu gute that, daß sie eben die Linke war. Zwar
rüttelte die deutsche Frage bereits sehr unbequem an dem Bestand dieser
Partei, aber man war noch nach Kräften bemüht, den im eigenen Lager
sich erhebenden Zwiespalt sorgfältig zu verdecken, Es war die Zeit, da in
den Einzelkammern die bekannten Anträge auf „Centralgewalt und Parla¬
ment" gestellt zu werden pflegten, und damals vereinigten sich Holder und
Oesterlen zu einem gemeinschaftlichen Antrag in der deutschen Frage, die
kurz darauf als die Führer gegnerischer Lager auseinandergehen sollten. Denn
im Lauf des Jahres 1863 theilte sich auch in Würtemberg die Linke in eine
nationale und eine großdeutsch-demokratische Partei; über dem Delegirten-
projekt und der Reformakte — wer denkt heute noch an diese Aktenfascikel!
— über Abgeordnetentag und Fürstentag erhob sich unsäglicher Hader, bis
dann im November 1863, eben als der Landtag zu seiner ersten längeren
Session zusammentrat, die Schleswig-holsteinische Verwicklung zwang, die alten
ausgetretenen Geleise dessen, was man bis dahin die deutsche Frage genannt
hatte, zu verlassen.

Und nun warf sich die Kammer kopfüber in die große Politik. Es
folgten, von acht zu acht Tagen wiederholt, die warmherzigen Verhandlungen
über das augustenburgische Erbrecht und über die Nothwendigkeit einer selb¬
ständigen Mittelstaatenpolitik. Den großen Worten entsprach freilich nicht
der Erfolg. Nach kurzem Anlauf war es mit der Mittelstaatenpolitik zu
Ende und die Unterwerfung unter die Großmächte vollständig. Bald daraus
folgte eine neue Niederlage, der Abschluß des Handelsvertragsstreits, der
gleichfalls ein so ganz anderes Ende nahm, als die Kammer und der be¬
rühmte Mohlsche Foliant gewünscht hatte. Zwei empfindliche Erfahrungen
hatte man so hinter sich und es war nur natürlich, wenn an der Hand
dieser geschichtlichen Lectionen bescheidenere Vorstellungen über Aufgabe und
Politik eines Kleinstaates im allgemeinen und einer kleinstaatlichen Kammer
insbesondere zu reisen schienen. War doch im Grund alles hinderlich ge¬
gangen. In energischen Reden hatte man das Menschenmögliche geleistet,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117403"/>
          <p xml:id="ID_1301" prev="#ID_1300"> welchen Verträgen und Gesetzen er seine Sanction zu ertheilen haben werde.<lb/>
Sechsjährig sind im constitutionellen Musterstaat die Landtagsperioden'. im<lb/>
Januar 1862 ward die Kammer gewählt und welche Fülle von Ereignissen<lb/>
drängt sich in diesen 6 Jahren zusammen und spiegelt sich wieder in den<lb/>
Verhandlungen eines kleinstaatlichen Landtags!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1302"> Es macht Mühe, sich in jene Zeit zurückzuversetzen, da er zu seiner ersten<lb/>
kurzen Sitzung zusammentrat. Damals, im Mai 1862, regierte noch König<lb/>
Wilhelm, und auf dem Präsidentenstuhl saß der alte Römer, beides die Ver¬<lb/>
treter einer entschwundenen Zeit. Noch waren die Parteien in einer uns<lb/>
heute schwer verständlichen Mischung. Es gab noch eine geschlossene Linke,<lb/>
die sich nicht wenig darauf zu gute that, daß sie eben die Linke war. Zwar<lb/>
rüttelte die deutsche Frage bereits sehr unbequem an dem Bestand dieser<lb/>
Partei, aber man war noch nach Kräften bemüht, den im eigenen Lager<lb/>
sich erhebenden Zwiespalt sorgfältig zu verdecken, Es war die Zeit, da in<lb/>
den Einzelkammern die bekannten Anträge auf &#x201E;Centralgewalt und Parla¬<lb/>
ment" gestellt zu werden pflegten, und damals vereinigten sich Holder und<lb/>
Oesterlen zu einem gemeinschaftlichen Antrag in der deutschen Frage, die<lb/>
kurz darauf als die Führer gegnerischer Lager auseinandergehen sollten. Denn<lb/>
im Lauf des Jahres 1863 theilte sich auch in Würtemberg die Linke in eine<lb/>
nationale und eine großdeutsch-demokratische Partei; über dem Delegirten-<lb/>
projekt und der Reformakte &#x2014; wer denkt heute noch an diese Aktenfascikel!<lb/>
&#x2014; über Abgeordnetentag und Fürstentag erhob sich unsäglicher Hader, bis<lb/>
dann im November 1863, eben als der Landtag zu seiner ersten längeren<lb/>
Session zusammentrat, die Schleswig-holsteinische Verwicklung zwang, die alten<lb/>
ausgetretenen Geleise dessen, was man bis dahin die deutsche Frage genannt<lb/>
hatte, zu verlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1303" next="#ID_1304"> Und nun warf sich die Kammer kopfüber in die große Politik. Es<lb/>
folgten, von acht zu acht Tagen wiederholt, die warmherzigen Verhandlungen<lb/>
über das augustenburgische Erbrecht und über die Nothwendigkeit einer selb¬<lb/>
ständigen Mittelstaatenpolitik. Den großen Worten entsprach freilich nicht<lb/>
der Erfolg. Nach kurzem Anlauf war es mit der Mittelstaatenpolitik zu<lb/>
Ende und die Unterwerfung unter die Großmächte vollständig. Bald daraus<lb/>
folgte eine neue Niederlage, der Abschluß des Handelsvertragsstreits, der<lb/>
gleichfalls ein so ganz anderes Ende nahm, als die Kammer und der be¬<lb/>
rühmte Mohlsche Foliant gewünscht hatte. Zwei empfindliche Erfahrungen<lb/>
hatte man so hinter sich und es war nur natürlich, wenn an der Hand<lb/>
dieser geschichtlichen Lectionen bescheidenere Vorstellungen über Aufgabe und<lb/>
Politik eines Kleinstaates im allgemeinen und einer kleinstaatlichen Kammer<lb/>
insbesondere zu reisen schienen. War doch im Grund alles hinderlich ge¬<lb/>
gangen. In energischen Reden hatte man das Menschenmögliche geleistet,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0399] welchen Verträgen und Gesetzen er seine Sanction zu ertheilen haben werde. Sechsjährig sind im constitutionellen Musterstaat die Landtagsperioden'. im Januar 1862 ward die Kammer gewählt und welche Fülle von Ereignissen drängt sich in diesen 6 Jahren zusammen und spiegelt sich wieder in den Verhandlungen eines kleinstaatlichen Landtags! Es macht Mühe, sich in jene Zeit zurückzuversetzen, da er zu seiner ersten kurzen Sitzung zusammentrat. Damals, im Mai 1862, regierte noch König Wilhelm, und auf dem Präsidentenstuhl saß der alte Römer, beides die Ver¬ treter einer entschwundenen Zeit. Noch waren die Parteien in einer uns heute schwer verständlichen Mischung. Es gab noch eine geschlossene Linke, die sich nicht wenig darauf zu gute that, daß sie eben die Linke war. Zwar rüttelte die deutsche Frage bereits sehr unbequem an dem Bestand dieser Partei, aber man war noch nach Kräften bemüht, den im eigenen Lager sich erhebenden Zwiespalt sorgfältig zu verdecken, Es war die Zeit, da in den Einzelkammern die bekannten Anträge auf „Centralgewalt und Parla¬ ment" gestellt zu werden pflegten, und damals vereinigten sich Holder und Oesterlen zu einem gemeinschaftlichen Antrag in der deutschen Frage, die kurz darauf als die Führer gegnerischer Lager auseinandergehen sollten. Denn im Lauf des Jahres 1863 theilte sich auch in Würtemberg die Linke in eine nationale und eine großdeutsch-demokratische Partei; über dem Delegirten- projekt und der Reformakte — wer denkt heute noch an diese Aktenfascikel! — über Abgeordnetentag und Fürstentag erhob sich unsäglicher Hader, bis dann im November 1863, eben als der Landtag zu seiner ersten längeren Session zusammentrat, die Schleswig-holsteinische Verwicklung zwang, die alten ausgetretenen Geleise dessen, was man bis dahin die deutsche Frage genannt hatte, zu verlassen. Und nun warf sich die Kammer kopfüber in die große Politik. Es folgten, von acht zu acht Tagen wiederholt, die warmherzigen Verhandlungen über das augustenburgische Erbrecht und über die Nothwendigkeit einer selb¬ ständigen Mittelstaatenpolitik. Den großen Worten entsprach freilich nicht der Erfolg. Nach kurzem Anlauf war es mit der Mittelstaatenpolitik zu Ende und die Unterwerfung unter die Großmächte vollständig. Bald daraus folgte eine neue Niederlage, der Abschluß des Handelsvertragsstreits, der gleichfalls ein so ganz anderes Ende nahm, als die Kammer und der be¬ rühmte Mohlsche Foliant gewünscht hatte. Zwei empfindliche Erfahrungen hatte man so hinter sich und es war nur natürlich, wenn an der Hand dieser geschichtlichen Lectionen bescheidenere Vorstellungen über Aufgabe und Politik eines Kleinstaates im allgemeinen und einer kleinstaatlichen Kammer insbesondere zu reisen schienen. War doch im Grund alles hinderlich ge¬ gangen. In energischen Reden hatte man das Menschenmögliche geleistet,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/399
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/399>, abgerufen am 01.07.2024.