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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Abreise ihrer fremden Freunde versammelt, die Frauen hoben die Kinder
in die Höhe, daß sie noch einmal die Scheidenden erblickten. Und dies herz¬
liche Verhältniß der Deutschen zu dem Schweizerdorfe hat bis zur Gegenwart
gedauert. Auf das Grab des geschiedenen Lehrers haben in den letzten
Wochen auch die Grenchner ihre Kränze gesandt.

Das Jahr 1841 wurde für Mathy der Anfang größerer Thätigkeit.
Damals 34 Jahre alt, war er unter ernsten Prüfungen zum politischen Manne
gereift, gerade seine Flüchtlingszeit, der Aufenthalt in den freien Gemeinden
der Schweiz hatte ihn gelehrt, was dem deutschen Bürger und Bauer zu¬
meist Noth thue, daß die Formen, in denen unser Volk zur Freiheit und
Größe gelangen könne, andere sein müßten, als die der republikanischen
Cantone. Sein eigener Werth war streng geprüft worden; er brachte das
ruhige Selbstgefühl eines bewährten Mannes heim. Der Anfang seiner
neuen Thätigkeit als Schriftsteller und Abgeordneter war wieder leidvoll.
Als er in Karlsruhe ankam, fand er den Verleger Groos tief gebeugt durch
Familienunglück; ein halbes Jahr darauf pflegte er ihn in der letzten Krankheit.
So wurde die "Badische Zeitung", welche Mathy seit dem 1. Januar 1841
als verantwortlicher Redakteur herausgab, in ihrem Gedeihen gestört, er
setzte sie vom 1. Juli unter dem Titel "Nationalzeitung" fort, aber seine
Thätigkeit wurde schon im nächsten Jahre durch die "Landtagszeitung" in
Anspruch genommen, welche er, jetzt selbst Abgeordneter für Constanz, heraus¬
zugeben veranlaßt ward. Ihr folgte im Jahre 1846 die "Rundschau".

Mancher von den Publicisten der Gegenwart weiß wohl nicht, daß
Mathy einer unserer bedeutendsten Journalisten und politischen Schriftsteller
war. Ein ausgezeichneter Reporter, verstand er die längsten Reden in wenig
Sätzen so scharf und charakteristisch zusammenzufassen, daß der Redner zuweilen
Ursache hatte, sich bei der Logik seines Berichterstatters zu bedanken; er war
ein ebenso guter Verfasser von Leitartikeln, schnell, prompt, immer zur rechten
Zeit fertig, schmucklos und klar, sicher und von fester Ueberzeugung, dabei
zuweilen von unwiderstehlicher Wirkung durch eine trockene Laune und
eine feine und scharfe Ironie. Außerdem, -- seine Zeitungen schrieb er fast
ganz selbst, -- von einer Fruchtbarkeit, die unendlich schien, er trieb Andere
zum Schreiben, schrieb selbst in die meisten liberalen Provinzialvlätter des
Südens, in größere Zeitungen, außerdem nationalökonomische Artikel sür
gelehrte Zeitschriften, dies alles ohne jemals müde zu werden und ohne
sich auszugeben, und alles als Nebenarbeit; denn seine Hauptthätigkeit verlief
in den endlosen Sitzungen der zweiten badischen Kammer.

Als Itzstein im Jahre 1842 Mathys Eintritt den Parteigenossen mit¬
theilte, sagte er: "Jetzt Dringen wir euch Einen, wie ihr noch keinen gehabt
habt!" Und das war allerdings wahr. Mathy hatte nicht den Ehrgeiz, ein


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Abreise ihrer fremden Freunde versammelt, die Frauen hoben die Kinder
in die Höhe, daß sie noch einmal die Scheidenden erblickten. Und dies herz¬
liche Verhältniß der Deutschen zu dem Schweizerdorfe hat bis zur Gegenwart
gedauert. Auf das Grab des geschiedenen Lehrers haben in den letzten
Wochen auch die Grenchner ihre Kränze gesandt.

Das Jahr 1841 wurde für Mathy der Anfang größerer Thätigkeit.
Damals 34 Jahre alt, war er unter ernsten Prüfungen zum politischen Manne
gereift, gerade seine Flüchtlingszeit, der Aufenthalt in den freien Gemeinden
der Schweiz hatte ihn gelehrt, was dem deutschen Bürger und Bauer zu¬
meist Noth thue, daß die Formen, in denen unser Volk zur Freiheit und
Größe gelangen könne, andere sein müßten, als die der republikanischen
Cantone. Sein eigener Werth war streng geprüft worden; er brachte das
ruhige Selbstgefühl eines bewährten Mannes heim. Der Anfang seiner
neuen Thätigkeit als Schriftsteller und Abgeordneter war wieder leidvoll.
Als er in Karlsruhe ankam, fand er den Verleger Groos tief gebeugt durch
Familienunglück; ein halbes Jahr darauf pflegte er ihn in der letzten Krankheit.
So wurde die „Badische Zeitung", welche Mathy seit dem 1. Januar 1841
als verantwortlicher Redakteur herausgab, in ihrem Gedeihen gestört, er
setzte sie vom 1. Juli unter dem Titel „Nationalzeitung" fort, aber seine
Thätigkeit wurde schon im nächsten Jahre durch die „Landtagszeitung" in
Anspruch genommen, welche er, jetzt selbst Abgeordneter für Constanz, heraus¬
zugeben veranlaßt ward. Ihr folgte im Jahre 1846 die „Rundschau".

Mancher von den Publicisten der Gegenwart weiß wohl nicht, daß
Mathy einer unserer bedeutendsten Journalisten und politischen Schriftsteller
war. Ein ausgezeichneter Reporter, verstand er die längsten Reden in wenig
Sätzen so scharf und charakteristisch zusammenzufassen, daß der Redner zuweilen
Ursache hatte, sich bei der Logik seines Berichterstatters zu bedanken; er war
ein ebenso guter Verfasser von Leitartikeln, schnell, prompt, immer zur rechten
Zeit fertig, schmucklos und klar, sicher und von fester Ueberzeugung, dabei
zuweilen von unwiderstehlicher Wirkung durch eine trockene Laune und
eine feine und scharfe Ironie. Außerdem, — seine Zeitungen schrieb er fast
ganz selbst, — von einer Fruchtbarkeit, die unendlich schien, er trieb Andere
zum Schreiben, schrieb selbst in die meisten liberalen Provinzialvlätter des
Südens, in größere Zeitungen, außerdem nationalökonomische Artikel sür
gelehrte Zeitschriften, dies alles ohne jemals müde zu werden und ohne
sich auszugeben, und alles als Nebenarbeit; denn seine Hauptthätigkeit verlief
in den endlosen Sitzungen der zweiten badischen Kammer.

Als Itzstein im Jahre 1842 Mathys Eintritt den Parteigenossen mit¬
theilte, sagte er: „Jetzt Dringen wir euch Einen, wie ihr noch keinen gehabt
habt!" Und das war allerdings wahr. Mathy hatte nicht den Ehrgeiz, ein


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[0379] Abreise ihrer fremden Freunde versammelt, die Frauen hoben die Kinder in die Höhe, daß sie noch einmal die Scheidenden erblickten. Und dies herz¬ liche Verhältniß der Deutschen zu dem Schweizerdorfe hat bis zur Gegenwart gedauert. Auf das Grab des geschiedenen Lehrers haben in den letzten Wochen auch die Grenchner ihre Kränze gesandt. Das Jahr 1841 wurde für Mathy der Anfang größerer Thätigkeit. Damals 34 Jahre alt, war er unter ernsten Prüfungen zum politischen Manne gereift, gerade seine Flüchtlingszeit, der Aufenthalt in den freien Gemeinden der Schweiz hatte ihn gelehrt, was dem deutschen Bürger und Bauer zu¬ meist Noth thue, daß die Formen, in denen unser Volk zur Freiheit und Größe gelangen könne, andere sein müßten, als die der republikanischen Cantone. Sein eigener Werth war streng geprüft worden; er brachte das ruhige Selbstgefühl eines bewährten Mannes heim. Der Anfang seiner neuen Thätigkeit als Schriftsteller und Abgeordneter war wieder leidvoll. Als er in Karlsruhe ankam, fand er den Verleger Groos tief gebeugt durch Familienunglück; ein halbes Jahr darauf pflegte er ihn in der letzten Krankheit. So wurde die „Badische Zeitung", welche Mathy seit dem 1. Januar 1841 als verantwortlicher Redakteur herausgab, in ihrem Gedeihen gestört, er setzte sie vom 1. Juli unter dem Titel „Nationalzeitung" fort, aber seine Thätigkeit wurde schon im nächsten Jahre durch die „Landtagszeitung" in Anspruch genommen, welche er, jetzt selbst Abgeordneter für Constanz, heraus¬ zugeben veranlaßt ward. Ihr folgte im Jahre 1846 die „Rundschau". Mancher von den Publicisten der Gegenwart weiß wohl nicht, daß Mathy einer unserer bedeutendsten Journalisten und politischen Schriftsteller war. Ein ausgezeichneter Reporter, verstand er die längsten Reden in wenig Sätzen so scharf und charakteristisch zusammenzufassen, daß der Redner zuweilen Ursache hatte, sich bei der Logik seines Berichterstatters zu bedanken; er war ein ebenso guter Verfasser von Leitartikeln, schnell, prompt, immer zur rechten Zeit fertig, schmucklos und klar, sicher und von fester Ueberzeugung, dabei zuweilen von unwiderstehlicher Wirkung durch eine trockene Laune und eine feine und scharfe Ironie. Außerdem, — seine Zeitungen schrieb er fast ganz selbst, — von einer Fruchtbarkeit, die unendlich schien, er trieb Andere zum Schreiben, schrieb selbst in die meisten liberalen Provinzialvlätter des Südens, in größere Zeitungen, außerdem nationalökonomische Artikel sür gelehrte Zeitschriften, dies alles ohne jemals müde zu werden und ohne sich auszugeben, und alles als Nebenarbeit; denn seine Hauptthätigkeit verlief in den endlosen Sitzungen der zweiten badischen Kammer. Als Itzstein im Jahre 1842 Mathys Eintritt den Parteigenossen mit¬ theilte, sagte er: „Jetzt Dringen wir euch Einen, wie ihr noch keinen gehabt habt!" Und das war allerdings wahr. Mathy hatte nicht den Ehrgeiz, ein 47*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/379>, abgerufen am 24.08.2024.