Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ebenen. -- Uns fehlen diese wichtigen Realschulen der Dörfer noch fast ganz.
-- Herzerfreuend war der Antheil, welchen die Dorsleute an den beiden
feinen Fremdlingen nahmen, und das Verständniß, womit sie die Fort¬
schritte begrüßten, die ihr Dorf in Wissen und Cultur machte. Mathy und
seine Frau wurden bald die Lieblinge des Ortes. In den bescheidenen Ver¬
hältnissen lebten die Gatten sehr glücklich; am Sonntag Besuch von studirten
Freunden aus Aarau und Solothurn, in der Woche ein arbeitsames Still¬
leben; leise gingen die aufgeschossenen Alemannenjünglinge die Treppe zur
Schulstube hinauf und hinab, um die Hausfrau und ihre kleinen Kinder nicht
zu stören; was sie ihnen Liebes an den Augen absehen konnten, das thaten
sie freudig. Mathy war nach seiner Weise unermüdlich, er richtete in der
Schule auch eine lateinische Classe ein, saß in den Freistunden eifrig über
literarischen Arbeiten, in den Winterabenden, wenn der Sturm tobte und der
Schnee hoch im Thale lag, las er seiner Frau Shakespeare und die deut¬
schen Dichter vor. Es war freilich ein knapper Haushalt, aber Frau Anna
verstand die Kunst, unter allen Umständen behaglich Haus zu halten; auch
die Culturgenüsse, welche das Dorf nicht bot, fanden zuweilen aus den Can-
tonsstädten Zugang. So hatte Mathy einst in der Stadt ein schönes Packet
Kaffee als Geschenk für die Hausfrau eingekauft und trug es zu Fuß über
die Berge, da überfiel ihn ein starkes Gewitter im Freien, ein Blitz schlug
dicht neben ihm ein und warf ihn betäubt zu Boden; als er die Besinnung
wieder fand, war sein erster Gedanke, daß seine Frau durch solche elementare
Zudringlichkeit nicht den Kaffee verlieren dürfe; er suchte in Finsterniß und
strömendem Regen sorglich zusammen, was sich von dem zerstreuten Schatz
auffinden ließ, und lieferte es vergnügt seiner Herrin ab, ohne seines Aben¬
teuers mit dem Blitze zu erwähnen; erst als Frau Anna erstaunt auf die
verwüsteten Bohnen sah, kam das Unglück heraus.

Fast drei Jahre waren in diesem Stillleben vergangen. Mathy hatte
Aussicht, das Schweizer Bürgerrecht zu erhalten und wahrscheinlich bald einen
größern Wirkungskreis. Aber er fühlte doch sehr tief, daß seine Arbeitskraft
der deutschen Heimath angehöre. Er war eine kampsfrohe und organisatorische
Natur und die politischen Kämpfe der Heimath beschäftigten ihn immer
leidenschaftlicher. Das Jahr 1840, die Kriegsgefahr von Frankreich her und
die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV, hatten in die deutsche Bewegung
neuen Schwung gebracht; in Baden vereinigte die Reaction des Ministeriums
Blittersdorf alle liberalen Kräfte zu entschlossenem Streit; man schrieb ihm,
daß er dort nöthig sei; ein persönlicher Bekannter, der Buchhändler Groos
bot ihm die Redaktion einer neuen Zeitung unter guten Aussichten an.
Mathy merkte, daß er von dem idyllischen Leben scheiden müßte, aber die
Trennung wurde schwer. Die ganze Gemeinde Grenchen hatte sich bei der


ebenen. — Uns fehlen diese wichtigen Realschulen der Dörfer noch fast ganz.
— Herzerfreuend war der Antheil, welchen die Dorsleute an den beiden
feinen Fremdlingen nahmen, und das Verständniß, womit sie die Fort¬
schritte begrüßten, die ihr Dorf in Wissen und Cultur machte. Mathy und
seine Frau wurden bald die Lieblinge des Ortes. In den bescheidenen Ver¬
hältnissen lebten die Gatten sehr glücklich; am Sonntag Besuch von studirten
Freunden aus Aarau und Solothurn, in der Woche ein arbeitsames Still¬
leben; leise gingen die aufgeschossenen Alemannenjünglinge die Treppe zur
Schulstube hinauf und hinab, um die Hausfrau und ihre kleinen Kinder nicht
zu stören; was sie ihnen Liebes an den Augen absehen konnten, das thaten
sie freudig. Mathy war nach seiner Weise unermüdlich, er richtete in der
Schule auch eine lateinische Classe ein, saß in den Freistunden eifrig über
literarischen Arbeiten, in den Winterabenden, wenn der Sturm tobte und der
Schnee hoch im Thale lag, las er seiner Frau Shakespeare und die deut¬
schen Dichter vor. Es war freilich ein knapper Haushalt, aber Frau Anna
verstand die Kunst, unter allen Umständen behaglich Haus zu halten; auch
die Culturgenüsse, welche das Dorf nicht bot, fanden zuweilen aus den Can-
tonsstädten Zugang. So hatte Mathy einst in der Stadt ein schönes Packet
Kaffee als Geschenk für die Hausfrau eingekauft und trug es zu Fuß über
die Berge, da überfiel ihn ein starkes Gewitter im Freien, ein Blitz schlug
dicht neben ihm ein und warf ihn betäubt zu Boden; als er die Besinnung
wieder fand, war sein erster Gedanke, daß seine Frau durch solche elementare
Zudringlichkeit nicht den Kaffee verlieren dürfe; er suchte in Finsterniß und
strömendem Regen sorglich zusammen, was sich von dem zerstreuten Schatz
auffinden ließ, und lieferte es vergnügt seiner Herrin ab, ohne seines Aben¬
teuers mit dem Blitze zu erwähnen; erst als Frau Anna erstaunt auf die
verwüsteten Bohnen sah, kam das Unglück heraus.

Fast drei Jahre waren in diesem Stillleben vergangen. Mathy hatte
Aussicht, das Schweizer Bürgerrecht zu erhalten und wahrscheinlich bald einen
größern Wirkungskreis. Aber er fühlte doch sehr tief, daß seine Arbeitskraft
der deutschen Heimath angehöre. Er war eine kampsfrohe und organisatorische
Natur und die politischen Kämpfe der Heimath beschäftigten ihn immer
leidenschaftlicher. Das Jahr 1840, die Kriegsgefahr von Frankreich her und
die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV, hatten in die deutsche Bewegung
neuen Schwung gebracht; in Baden vereinigte die Reaction des Ministeriums
Blittersdorf alle liberalen Kräfte zu entschlossenem Streit; man schrieb ihm,
daß er dort nöthig sei; ein persönlicher Bekannter, der Buchhändler Groos
bot ihm die Redaktion einer neuen Zeitung unter guten Aussichten an.
Mathy merkte, daß er von dem idyllischen Leben scheiden müßte, aber die
Trennung wurde schwer. Die ganze Gemeinde Grenchen hatte sich bei der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117382"/>
          <p xml:id="ID_1237" prev="#ID_1236"> ebenen. &#x2014; Uns fehlen diese wichtigen Realschulen der Dörfer noch fast ganz.<lb/>
&#x2014; Herzerfreuend war der Antheil, welchen die Dorsleute an den beiden<lb/>
feinen Fremdlingen nahmen, und das Verständniß, womit sie die Fort¬<lb/>
schritte begrüßten, die ihr Dorf in Wissen und Cultur machte. Mathy und<lb/>
seine Frau wurden bald die Lieblinge des Ortes. In den bescheidenen Ver¬<lb/>
hältnissen lebten die Gatten sehr glücklich; am Sonntag Besuch von studirten<lb/>
Freunden aus Aarau und Solothurn, in der Woche ein arbeitsames Still¬<lb/>
leben; leise gingen die aufgeschossenen Alemannenjünglinge die Treppe zur<lb/>
Schulstube hinauf und hinab, um die Hausfrau und ihre kleinen Kinder nicht<lb/>
zu stören; was sie ihnen Liebes an den Augen absehen konnten, das thaten<lb/>
sie freudig. Mathy war nach seiner Weise unermüdlich, er richtete in der<lb/>
Schule auch eine lateinische Classe ein, saß in den Freistunden eifrig über<lb/>
literarischen Arbeiten, in den Winterabenden, wenn der Sturm tobte und der<lb/>
Schnee hoch im Thale lag, las er seiner Frau Shakespeare und die deut¬<lb/>
schen Dichter vor. Es war freilich ein knapper Haushalt, aber Frau Anna<lb/>
verstand die Kunst, unter allen Umständen behaglich Haus zu halten; auch<lb/>
die Culturgenüsse, welche das Dorf nicht bot, fanden zuweilen aus den Can-<lb/>
tonsstädten Zugang. So hatte Mathy einst in der Stadt ein schönes Packet<lb/>
Kaffee als Geschenk für die Hausfrau eingekauft und trug es zu Fuß über<lb/>
die Berge, da überfiel ihn ein starkes Gewitter im Freien, ein Blitz schlug<lb/>
dicht neben ihm ein und warf ihn betäubt zu Boden; als er die Besinnung<lb/>
wieder fand, war sein erster Gedanke, daß seine Frau durch solche elementare<lb/>
Zudringlichkeit nicht den Kaffee verlieren dürfe; er suchte in Finsterniß und<lb/>
strömendem Regen sorglich zusammen, was sich von dem zerstreuten Schatz<lb/>
auffinden ließ, und lieferte es vergnügt seiner Herrin ab, ohne seines Aben¬<lb/>
teuers mit dem Blitze zu erwähnen; erst als Frau Anna erstaunt auf die<lb/>
verwüsteten Bohnen sah, kam das Unglück heraus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1238" next="#ID_1239"> Fast drei Jahre waren in diesem Stillleben vergangen. Mathy hatte<lb/>
Aussicht, das Schweizer Bürgerrecht zu erhalten und wahrscheinlich bald einen<lb/>
größern Wirkungskreis. Aber er fühlte doch sehr tief, daß seine Arbeitskraft<lb/>
der deutschen Heimath angehöre. Er war eine kampsfrohe und organisatorische<lb/>
Natur und die politischen Kämpfe der Heimath beschäftigten ihn immer<lb/>
leidenschaftlicher. Das Jahr 1840, die Kriegsgefahr von Frankreich her und<lb/>
die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV, hatten in die deutsche Bewegung<lb/>
neuen Schwung gebracht; in Baden vereinigte die Reaction des Ministeriums<lb/>
Blittersdorf alle liberalen Kräfte zu entschlossenem Streit; man schrieb ihm,<lb/>
daß er dort nöthig sei; ein persönlicher Bekannter, der Buchhändler Groos<lb/>
bot ihm die Redaktion einer neuen Zeitung unter guten Aussichten an.<lb/>
Mathy merkte, daß er von dem idyllischen Leben scheiden müßte, aber die<lb/>
Trennung wurde schwer. Die ganze Gemeinde Grenchen hatte sich bei der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0378] ebenen. — Uns fehlen diese wichtigen Realschulen der Dörfer noch fast ganz. — Herzerfreuend war der Antheil, welchen die Dorsleute an den beiden feinen Fremdlingen nahmen, und das Verständniß, womit sie die Fort¬ schritte begrüßten, die ihr Dorf in Wissen und Cultur machte. Mathy und seine Frau wurden bald die Lieblinge des Ortes. In den bescheidenen Ver¬ hältnissen lebten die Gatten sehr glücklich; am Sonntag Besuch von studirten Freunden aus Aarau und Solothurn, in der Woche ein arbeitsames Still¬ leben; leise gingen die aufgeschossenen Alemannenjünglinge die Treppe zur Schulstube hinauf und hinab, um die Hausfrau und ihre kleinen Kinder nicht zu stören; was sie ihnen Liebes an den Augen absehen konnten, das thaten sie freudig. Mathy war nach seiner Weise unermüdlich, er richtete in der Schule auch eine lateinische Classe ein, saß in den Freistunden eifrig über literarischen Arbeiten, in den Winterabenden, wenn der Sturm tobte und der Schnee hoch im Thale lag, las er seiner Frau Shakespeare und die deut¬ schen Dichter vor. Es war freilich ein knapper Haushalt, aber Frau Anna verstand die Kunst, unter allen Umständen behaglich Haus zu halten; auch die Culturgenüsse, welche das Dorf nicht bot, fanden zuweilen aus den Can- tonsstädten Zugang. So hatte Mathy einst in der Stadt ein schönes Packet Kaffee als Geschenk für die Hausfrau eingekauft und trug es zu Fuß über die Berge, da überfiel ihn ein starkes Gewitter im Freien, ein Blitz schlug dicht neben ihm ein und warf ihn betäubt zu Boden; als er die Besinnung wieder fand, war sein erster Gedanke, daß seine Frau durch solche elementare Zudringlichkeit nicht den Kaffee verlieren dürfe; er suchte in Finsterniß und strömendem Regen sorglich zusammen, was sich von dem zerstreuten Schatz auffinden ließ, und lieferte es vergnügt seiner Herrin ab, ohne seines Aben¬ teuers mit dem Blitze zu erwähnen; erst als Frau Anna erstaunt auf die verwüsteten Bohnen sah, kam das Unglück heraus. Fast drei Jahre waren in diesem Stillleben vergangen. Mathy hatte Aussicht, das Schweizer Bürgerrecht zu erhalten und wahrscheinlich bald einen größern Wirkungskreis. Aber er fühlte doch sehr tief, daß seine Arbeitskraft der deutschen Heimath angehöre. Er war eine kampsfrohe und organisatorische Natur und die politischen Kämpfe der Heimath beschäftigten ihn immer leidenschaftlicher. Das Jahr 1840, die Kriegsgefahr von Frankreich her und die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV, hatten in die deutsche Bewegung neuen Schwung gebracht; in Baden vereinigte die Reaction des Ministeriums Blittersdorf alle liberalen Kräfte zu entschlossenem Streit; man schrieb ihm, daß er dort nöthig sei; ein persönlicher Bekannter, der Buchhändler Groos bot ihm die Redaktion einer neuen Zeitung unter guten Aussichten an. Mathy merkte, daß er von dem idyllischen Leben scheiden müßte, aber die Trennung wurde schwer. Die ganze Gemeinde Grenchen hatte sich bei der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/378
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/378>, abgerufen am 24.08.2024.