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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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rischen Einrichtungen zusteht. Nur die patriotische Haltung Badens läßt
uns, die einige Hoffnung, daß das nächste Jahr dort die Nothwendigkeit eines
Eintritts in die norddeutsche Konföderation nahe legen werde.

Die Gesetzgebung des Bundes gibt der Parteikritik Blößen. Aber
jedermann kann sich sagen, daß es bei großen Neubildungen zunächst darauf
ankommt, die wesentlichen Punkte des Gewonnenen zu befestigen; an Fähig¬
keit und an Gelegenheit zu weiterer Ausführung wird es dem systematischen
Sinn der Deutschen nicht fehlen. Als den größten Gewinn für das Ver¬
fassungsleben der Deutschen aber betrachten wir in diesem Jahre die Bildung
einer großen nationalen Partei, welche dem Bundesstaat eine Unterstützung
durch die Liberalen sichert.

Und noch ein anderer großer Fortschritt ist eingeführt. Wir haben für
die höchsten Angelegenheiten der Nation das Einkammersystem angenommen.
Bereits macht sich die Wirkung dieses neuen Prinzips auf den Landtagen
der Einzelstaaten geltend, in Preußen, in Sachsen, in Bayern. Wenn man
bisher die deutschen Herrenhäuser als Hemmnisse unserer politischen Entwick¬
lung auffaßte, griff man nicht das Prinzip, sondern die zufällige Zusammen-
setzung oder gar die Personen an, welche in die eximirte Stellung geschickt
waren. Aber nicht in den Mängeln der Zusammensetzung liegt für uns das
Unhaltbare eines Oberhauses, sondern in der unwahren Idee, auf welche sie
gegründet ist. Es gibt in Wahrheit keine politisch wichtigen Herreninteressen;
und die Vorurtheile und zufälligen Stimmungen einer Anzahl distinguirter
Individuen in besonderem Hause zu sammeln und zu einem Faktor der Ge¬
setzgebung zu machen, liegt weder im Interesse der Regierungen, noch des
Volkes. Auch als retardirendes Element, welches gegen Überstürzungen oder
excentrische Wünsche der Volksvertretung zu sichern habe, sind unsere Herren¬
häuser ohne Gewicht, weil sie außerhalb des Hauses keine Macht darstellen,
auf welche sich eine mit den Vertretern des Volks verfeindete Regierung zu
stützen vermag, sobald die Aufregung im Volke in Wahrheit hochgestiegen ist.
Wir Deutsche hätten für ein Herrenhaus nur eine Kategorie von Persön¬
lichkeiten, und das sind unsere Herren, die Häupter der jetzt regierenden Fa¬
milien und ihre präsumtiven Thronfolger.

Das allgemeine Wahlrecht für den Reichstag hat in mehreren Land¬
schaften eine Bewegung für ausgedehntes Wahlrecht hervorgerufen. Nirgend
mit größerer Berechtigung als im Königreich Sachsen, wo auch die Regie¬
rung empfand, daß sich mit den fast abenteuerlichen Beschränkungen des
Wahlgesetzes nicht mehr auskommen lasse. Wenn aber diese Agitation hier
und da das allgemeine Wahlrecht auch für die Landtage fordert, so sind
wir' der Meinung, daß die nationale Partei sich hüten sollte, ein solches
Experiment zu begünstigen, es ist vielmehr ihr Interesse, den Modus


rischen Einrichtungen zusteht. Nur die patriotische Haltung Badens läßt
uns, die einige Hoffnung, daß das nächste Jahr dort die Nothwendigkeit eines
Eintritts in die norddeutsche Konföderation nahe legen werde.

Die Gesetzgebung des Bundes gibt der Parteikritik Blößen. Aber
jedermann kann sich sagen, daß es bei großen Neubildungen zunächst darauf
ankommt, die wesentlichen Punkte des Gewonnenen zu befestigen; an Fähig¬
keit und an Gelegenheit zu weiterer Ausführung wird es dem systematischen
Sinn der Deutschen nicht fehlen. Als den größten Gewinn für das Ver¬
fassungsleben der Deutschen aber betrachten wir in diesem Jahre die Bildung
einer großen nationalen Partei, welche dem Bundesstaat eine Unterstützung
durch die Liberalen sichert.

Und noch ein anderer großer Fortschritt ist eingeführt. Wir haben für
die höchsten Angelegenheiten der Nation das Einkammersystem angenommen.
Bereits macht sich die Wirkung dieses neuen Prinzips auf den Landtagen
der Einzelstaaten geltend, in Preußen, in Sachsen, in Bayern. Wenn man
bisher die deutschen Herrenhäuser als Hemmnisse unserer politischen Entwick¬
lung auffaßte, griff man nicht das Prinzip, sondern die zufällige Zusammen-
setzung oder gar die Personen an, welche in die eximirte Stellung geschickt
waren. Aber nicht in den Mängeln der Zusammensetzung liegt für uns das
Unhaltbare eines Oberhauses, sondern in der unwahren Idee, auf welche sie
gegründet ist. Es gibt in Wahrheit keine politisch wichtigen Herreninteressen;
und die Vorurtheile und zufälligen Stimmungen einer Anzahl distinguirter
Individuen in besonderem Hause zu sammeln und zu einem Faktor der Ge¬
setzgebung zu machen, liegt weder im Interesse der Regierungen, noch des
Volkes. Auch als retardirendes Element, welches gegen Überstürzungen oder
excentrische Wünsche der Volksvertretung zu sichern habe, sind unsere Herren¬
häuser ohne Gewicht, weil sie außerhalb des Hauses keine Macht darstellen,
auf welche sich eine mit den Vertretern des Volks verfeindete Regierung zu
stützen vermag, sobald die Aufregung im Volke in Wahrheit hochgestiegen ist.
Wir Deutsche hätten für ein Herrenhaus nur eine Kategorie von Persön¬
lichkeiten, und das sind unsere Herren, die Häupter der jetzt regierenden Fa¬
milien und ihre präsumtiven Thronfolger.

Das allgemeine Wahlrecht für den Reichstag hat in mehreren Land¬
schaften eine Bewegung für ausgedehntes Wahlrecht hervorgerufen. Nirgend
mit größerer Berechtigung als im Königreich Sachsen, wo auch die Regie¬
rung empfand, daß sich mit den fast abenteuerlichen Beschränkungen des
Wahlgesetzes nicht mehr auskommen lasse. Wenn aber diese Agitation hier
und da das allgemeine Wahlrecht auch für die Landtage fordert, so sind
wir' der Meinung, daß die nationale Partei sich hüten sollte, ein solches
Experiment zu begünstigen, es ist vielmehr ihr Interesse, den Modus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/37>, abgerufen am 03.07.2024.