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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Gebiete des Lebens ist dem Deutschen das frohe Gefühl erhöhter Kraft ge-
kommen. Handel und Verkehr litten schwer unter der drohenden Haltung
Frankreichs, nicht weniger unter den Folgen einer englischen und amerika¬
nischen Geschäftskrisis und unter den socialen Sorgen, welche eine ungenü¬
gende Ernte fast allen Landschaften des neuen Staates bereitet; die Schnee¬
flocken fallen auf Fluren und Dächer eines ernsten und sorgenvollen Volkes-

Auch politischer Mißerfolg hat geschmerzt, und bei Regelung der Bundes¬
verhältnisse blieb manches hinter dem Wunsch zurück, welchen die großen Ent¬
scheidungen des Jahres 1866 aufgeregt hatten. Dennoch würde der Deutsche
sehr ungerecht gegen die Gewalten sein, welche sein Schicksal regieren, wenn
er aus den Resultaten der verflossenen Monate nicht Muth und Hoffnung
holen und nicht eine Steigerung der nationalen Kraft erkennen wollte.

Es ist das Prinzip einer allmählichen Verbrüderung der deutschen Staa¬
ten und allmählicher Einordnung der höchsten nationalen Interessen unter
eine Bundesregierung und einen Reichstag, auf den wir nach einigen
acuten Territorialveränderungen zurückgekommen sind: es ist das alte Prinzip
des Bundesstaates unter preußischer Führung. Das Jahr 1866 hat
das Haupthinderniß dieses nationalen Wunsches, den Dualismus zwischen
Preußen und Oestreich, beseitigt, und es hat die Herrenstellung Preußens
durch die Annexionen zweifellos gemacht, denn es hat diesem Staat mit der
Nordsee und geschlossenen Grenzen fortan die Möglichkeit gegeben, auch ohne
solchen Bund zu bestehen. Darin liegt fortan das Uebergewicht des führen¬
den Staates, er bedarf der andern weit weniger, alle andern vermögen ihn weit
weniger zu entbehren. Im Jahr 1866 konnte Herr v. Beust noch meinen,
eine Wahl zu haben; im Jahr 1867, wo Preußen Herr der deutschen Nord¬
seeküsten und der Schienenwege nach Hamburg und Bremen ist, wäre auch
ohne jede Bundespflicht für die Regierung Sachsens eine preußenfeindliche
Politik unmöglich. Die ersten Forderungen, welche den souveränen Regie¬
rungen nach dem Frieden von Prag von dem neuen Preußen gestellt wur¬
den, traten als herrische Zumuthungen auf, aber aus Grundlage derselben
hat sich eine vorsichtige und rücksichtsvolle Behandlung der neuen Bundes¬
genossen eingerichtet. Die Grundlage des Bundesstaates sind Verträge und
Vereinbarungen souveräner Regierungen geblieben.

Wir sind also auf eine verhältnißmäßig langsame Vollendung des
deutschen Staatsbaues angewiesen, auch in unserer nächsten Zukunft werden
Verzögerungen und Mißerfolge nicht ausbleiben. Dieses Jahr hat erwiesen,
daß die Südstaaten ohne ernste Gefahr für Deutschland als Tummelplatz fran¬
zösischer, östreichischer und ultramontaner Einflüsse auf die Länge dem Bunde
nicht fern bleiben können, und daß selbst die Zoll- und Heeresverträge keine
Sicherheit geben, solange nicht dem Bund die Oberaufsicht über die nitida-


Gebiete des Lebens ist dem Deutschen das frohe Gefühl erhöhter Kraft ge-
kommen. Handel und Verkehr litten schwer unter der drohenden Haltung
Frankreichs, nicht weniger unter den Folgen einer englischen und amerika¬
nischen Geschäftskrisis und unter den socialen Sorgen, welche eine ungenü¬
gende Ernte fast allen Landschaften des neuen Staates bereitet; die Schnee¬
flocken fallen auf Fluren und Dächer eines ernsten und sorgenvollen Volkes-

Auch politischer Mißerfolg hat geschmerzt, und bei Regelung der Bundes¬
verhältnisse blieb manches hinter dem Wunsch zurück, welchen die großen Ent¬
scheidungen des Jahres 1866 aufgeregt hatten. Dennoch würde der Deutsche
sehr ungerecht gegen die Gewalten sein, welche sein Schicksal regieren, wenn
er aus den Resultaten der verflossenen Monate nicht Muth und Hoffnung
holen und nicht eine Steigerung der nationalen Kraft erkennen wollte.

Es ist das Prinzip einer allmählichen Verbrüderung der deutschen Staa¬
ten und allmählicher Einordnung der höchsten nationalen Interessen unter
eine Bundesregierung und einen Reichstag, auf den wir nach einigen
acuten Territorialveränderungen zurückgekommen sind: es ist das alte Prinzip
des Bundesstaates unter preußischer Führung. Das Jahr 1866 hat
das Haupthinderniß dieses nationalen Wunsches, den Dualismus zwischen
Preußen und Oestreich, beseitigt, und es hat die Herrenstellung Preußens
durch die Annexionen zweifellos gemacht, denn es hat diesem Staat mit der
Nordsee und geschlossenen Grenzen fortan die Möglichkeit gegeben, auch ohne
solchen Bund zu bestehen. Darin liegt fortan das Uebergewicht des führen¬
den Staates, er bedarf der andern weit weniger, alle andern vermögen ihn weit
weniger zu entbehren. Im Jahr 1866 konnte Herr v. Beust noch meinen,
eine Wahl zu haben; im Jahr 1867, wo Preußen Herr der deutschen Nord¬
seeküsten und der Schienenwege nach Hamburg und Bremen ist, wäre auch
ohne jede Bundespflicht für die Regierung Sachsens eine preußenfeindliche
Politik unmöglich. Die ersten Forderungen, welche den souveränen Regie¬
rungen nach dem Frieden von Prag von dem neuen Preußen gestellt wur¬
den, traten als herrische Zumuthungen auf, aber aus Grundlage derselben
hat sich eine vorsichtige und rücksichtsvolle Behandlung der neuen Bundes¬
genossen eingerichtet. Die Grundlage des Bundesstaates sind Verträge und
Vereinbarungen souveräner Regierungen geblieben.

Wir sind also auf eine verhältnißmäßig langsame Vollendung des
deutschen Staatsbaues angewiesen, auch in unserer nächsten Zukunft werden
Verzögerungen und Mißerfolge nicht ausbleiben. Dieses Jahr hat erwiesen,
daß die Südstaaten ohne ernste Gefahr für Deutschland als Tummelplatz fran¬
zösischer, östreichischer und ultramontaner Einflüsse auf die Länge dem Bunde
nicht fern bleiben können, und daß selbst die Zoll- und Heeresverträge keine
Sicherheit geben, solange nicht dem Bund die Oberaufsicht über die nitida-


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[0036] Gebiete des Lebens ist dem Deutschen das frohe Gefühl erhöhter Kraft ge- kommen. Handel und Verkehr litten schwer unter der drohenden Haltung Frankreichs, nicht weniger unter den Folgen einer englischen und amerika¬ nischen Geschäftskrisis und unter den socialen Sorgen, welche eine ungenü¬ gende Ernte fast allen Landschaften des neuen Staates bereitet; die Schnee¬ flocken fallen auf Fluren und Dächer eines ernsten und sorgenvollen Volkes- Auch politischer Mißerfolg hat geschmerzt, und bei Regelung der Bundes¬ verhältnisse blieb manches hinter dem Wunsch zurück, welchen die großen Ent¬ scheidungen des Jahres 1866 aufgeregt hatten. Dennoch würde der Deutsche sehr ungerecht gegen die Gewalten sein, welche sein Schicksal regieren, wenn er aus den Resultaten der verflossenen Monate nicht Muth und Hoffnung holen und nicht eine Steigerung der nationalen Kraft erkennen wollte. Es ist das Prinzip einer allmählichen Verbrüderung der deutschen Staa¬ ten und allmählicher Einordnung der höchsten nationalen Interessen unter eine Bundesregierung und einen Reichstag, auf den wir nach einigen acuten Territorialveränderungen zurückgekommen sind: es ist das alte Prinzip des Bundesstaates unter preußischer Führung. Das Jahr 1866 hat das Haupthinderniß dieses nationalen Wunsches, den Dualismus zwischen Preußen und Oestreich, beseitigt, und es hat die Herrenstellung Preußens durch die Annexionen zweifellos gemacht, denn es hat diesem Staat mit der Nordsee und geschlossenen Grenzen fortan die Möglichkeit gegeben, auch ohne solchen Bund zu bestehen. Darin liegt fortan das Uebergewicht des führen¬ den Staates, er bedarf der andern weit weniger, alle andern vermögen ihn weit weniger zu entbehren. Im Jahr 1866 konnte Herr v. Beust noch meinen, eine Wahl zu haben; im Jahr 1867, wo Preußen Herr der deutschen Nord¬ seeküsten und der Schienenwege nach Hamburg und Bremen ist, wäre auch ohne jede Bundespflicht für die Regierung Sachsens eine preußenfeindliche Politik unmöglich. Die ersten Forderungen, welche den souveränen Regie¬ rungen nach dem Frieden von Prag von dem neuen Preußen gestellt wur¬ den, traten als herrische Zumuthungen auf, aber aus Grundlage derselben hat sich eine vorsichtige und rücksichtsvolle Behandlung der neuen Bundes¬ genossen eingerichtet. Die Grundlage des Bundesstaates sind Verträge und Vereinbarungen souveräner Regierungen geblieben. Wir sind also auf eine verhältnißmäßig langsame Vollendung des deutschen Staatsbaues angewiesen, auch in unserer nächsten Zukunft werden Verzögerungen und Mißerfolge nicht ausbleiben. Dieses Jahr hat erwiesen, daß die Südstaaten ohne ernste Gefahr für Deutschland als Tummelplatz fran¬ zösischer, östreichischer und ultramontaner Einflüsse auf die Länge dem Bunde nicht fern bleiben können, und daß selbst die Zoll- und Heeresverträge keine Sicherheit geben, solange nicht dem Bund die Oberaufsicht über die nitida-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/36>, abgerufen am 01.07.2024.