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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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streben. Es ist ganz verkehrt, dies als ein Zurückkommen auf die parla¬
mentarische Regierung anzusehen. Napoleon wird gegen den Wunsch der
Majorität seinen Willen rücksichtslos durchsetzen, wo er nicht die ländliche
Bevölkerung gegen sich fühlt, sein Armeegesetz hat er modificirt, weil die
Präfekten berichteten, daß die Bauern laut dagegen murrten, andere Gesetze
wird er trotz des Murrens der Kuh Ah 1'^reaäö^nicht aufgeben.

Freilich setzt er sich durch die jetzt genommene Richtung auch großen
Gefahren im Innern aus, er muß wissen, daß man die Kirche nie befriedigt,
jede Concession nur neue Forderungen hervorruft; kaum glaubt der rüstige
Vorkämpfer der weltlichen Herrschaft, Monseigneur Dupanloup, diese gesichert,
als er in einer Flugschrift offen den Unterrichtsminister Duruy angreift, weil
derselbe die Schule nicht unbedingt der Kirche unterordnen will. Allmacht
des Klerus aber will die große Masse der Franzosen ebensowenig, als seine
Ohnmacht; die französischen Könige, welche Waldenser und Hugenotten rück¬
sichtslos verfolgten und den Papst beschützten, behaupteten gegen denselben
doch hartnäckig die Privilegien der gallikanischen Kirche. Und Napoleon, der
Pius IX. wieder in Rom einsetzte, aber das Concordat durchsetzte, trat in ihre
Fußstapfen. Das Votum vom 5. Dezbr. ist die Reaktion gegen eine Politik,
die mehr italienisch als französisch war und die Existenz des Papstes be¬
drohte; geht man zu weit nach der andern Seite, so könnte sich eine Reaktion
anderer Art zeigen, wie sie der Julirevolution vorausging.

Sodann hat Napoleon durch die Erklärung, Rom für immer den Ita¬
lienern vorenthalten zu wollen, mit der Macht gebrochen, welcher die Cabi-
netspolitik kurzweg den Namen der Revolution gibt. Wir überschätzen die
Macht derselben nicht, die gewöhnlich erst durch andre hinzutretende Umstände
zu einer wirklichen Gewalt wird, aber es ist unbestreitbar, daß eine Partei
existirt. deren Ideal die sociale Republik ist und die den Kaiser tödtlich haßt;
ihre Apostel, die sich aus fanatischen Theoretikern, verbitterten Juden und
Emigranten rekrutiren, haben-einen bedeutenden Anhang unter den franzö¬
sischen Arbeitern und noch mehr unter den Italienern. Der Kaiser wird Orsini
nicht vergessen haben, ist doch bezeichnender weise wieder scharfe Paßcontrole
an den südöstlichen Grenzen eingeführt.

Indeß diese Gefahren im Innern treten gegen die zurück, welche von
außen drohen. Zunächst hat der Kaiser die italienische Allianz und damit die
beste Frucht seiner ganzen italienischen Politik auf immer verloren, es kann
keinen italienischen Staatsmann mehr geben, der noch mit Frankreich zu
gehen wagte. Die Ironie des Schicksals ist in der That seltsam, von Haus
aus lag das einheitliche Italien keineswegs in Napoleons Plan, denn auf
die Proklamation, die er als unreifer Carbonaro erließ, ist kein Gewicht zu
legen; der Plan, welcher zwischen ihm und Cavour verabredet ward, ging


Grknzboten I. 18V8. 4

streben. Es ist ganz verkehrt, dies als ein Zurückkommen auf die parla¬
mentarische Regierung anzusehen. Napoleon wird gegen den Wunsch der
Majorität seinen Willen rücksichtslos durchsetzen, wo er nicht die ländliche
Bevölkerung gegen sich fühlt, sein Armeegesetz hat er modificirt, weil die
Präfekten berichteten, daß die Bauern laut dagegen murrten, andere Gesetze
wird er trotz des Murrens der Kuh Ah 1'^reaäö^nicht aufgeben.

Freilich setzt er sich durch die jetzt genommene Richtung auch großen
Gefahren im Innern aus, er muß wissen, daß man die Kirche nie befriedigt,
jede Concession nur neue Forderungen hervorruft; kaum glaubt der rüstige
Vorkämpfer der weltlichen Herrschaft, Monseigneur Dupanloup, diese gesichert,
als er in einer Flugschrift offen den Unterrichtsminister Duruy angreift, weil
derselbe die Schule nicht unbedingt der Kirche unterordnen will. Allmacht
des Klerus aber will die große Masse der Franzosen ebensowenig, als seine
Ohnmacht; die französischen Könige, welche Waldenser und Hugenotten rück¬
sichtslos verfolgten und den Papst beschützten, behaupteten gegen denselben
doch hartnäckig die Privilegien der gallikanischen Kirche. Und Napoleon, der
Pius IX. wieder in Rom einsetzte, aber das Concordat durchsetzte, trat in ihre
Fußstapfen. Das Votum vom 5. Dezbr. ist die Reaktion gegen eine Politik,
die mehr italienisch als französisch war und die Existenz des Papstes be¬
drohte; geht man zu weit nach der andern Seite, so könnte sich eine Reaktion
anderer Art zeigen, wie sie der Julirevolution vorausging.

Sodann hat Napoleon durch die Erklärung, Rom für immer den Ita¬
lienern vorenthalten zu wollen, mit der Macht gebrochen, welcher die Cabi-
netspolitik kurzweg den Namen der Revolution gibt. Wir überschätzen die
Macht derselben nicht, die gewöhnlich erst durch andre hinzutretende Umstände
zu einer wirklichen Gewalt wird, aber es ist unbestreitbar, daß eine Partei
existirt. deren Ideal die sociale Republik ist und die den Kaiser tödtlich haßt;
ihre Apostel, die sich aus fanatischen Theoretikern, verbitterten Juden und
Emigranten rekrutiren, haben-einen bedeutenden Anhang unter den franzö¬
sischen Arbeitern und noch mehr unter den Italienern. Der Kaiser wird Orsini
nicht vergessen haben, ist doch bezeichnender weise wieder scharfe Paßcontrole
an den südöstlichen Grenzen eingeführt.

Indeß diese Gefahren im Innern treten gegen die zurück, welche von
außen drohen. Zunächst hat der Kaiser die italienische Allianz und damit die
beste Frucht seiner ganzen italienischen Politik auf immer verloren, es kann
keinen italienischen Staatsmann mehr geben, der noch mit Frankreich zu
gehen wagte. Die Ironie des Schicksals ist in der That seltsam, von Haus
aus lag das einheitliche Italien keineswegs in Napoleons Plan, denn auf
die Proklamation, die er als unreifer Carbonaro erließ, ist kein Gewicht zu
legen; der Plan, welcher zwischen ihm und Cavour verabredet ward, ging


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[0033] streben. Es ist ganz verkehrt, dies als ein Zurückkommen auf die parla¬ mentarische Regierung anzusehen. Napoleon wird gegen den Wunsch der Majorität seinen Willen rücksichtslos durchsetzen, wo er nicht die ländliche Bevölkerung gegen sich fühlt, sein Armeegesetz hat er modificirt, weil die Präfekten berichteten, daß die Bauern laut dagegen murrten, andere Gesetze wird er trotz des Murrens der Kuh Ah 1'^reaäö^nicht aufgeben. Freilich setzt er sich durch die jetzt genommene Richtung auch großen Gefahren im Innern aus, er muß wissen, daß man die Kirche nie befriedigt, jede Concession nur neue Forderungen hervorruft; kaum glaubt der rüstige Vorkämpfer der weltlichen Herrschaft, Monseigneur Dupanloup, diese gesichert, als er in einer Flugschrift offen den Unterrichtsminister Duruy angreift, weil derselbe die Schule nicht unbedingt der Kirche unterordnen will. Allmacht des Klerus aber will die große Masse der Franzosen ebensowenig, als seine Ohnmacht; die französischen Könige, welche Waldenser und Hugenotten rück¬ sichtslos verfolgten und den Papst beschützten, behaupteten gegen denselben doch hartnäckig die Privilegien der gallikanischen Kirche. Und Napoleon, der Pius IX. wieder in Rom einsetzte, aber das Concordat durchsetzte, trat in ihre Fußstapfen. Das Votum vom 5. Dezbr. ist die Reaktion gegen eine Politik, die mehr italienisch als französisch war und die Existenz des Papstes be¬ drohte; geht man zu weit nach der andern Seite, so könnte sich eine Reaktion anderer Art zeigen, wie sie der Julirevolution vorausging. Sodann hat Napoleon durch die Erklärung, Rom für immer den Ita¬ lienern vorenthalten zu wollen, mit der Macht gebrochen, welcher die Cabi- netspolitik kurzweg den Namen der Revolution gibt. Wir überschätzen die Macht derselben nicht, die gewöhnlich erst durch andre hinzutretende Umstände zu einer wirklichen Gewalt wird, aber es ist unbestreitbar, daß eine Partei existirt. deren Ideal die sociale Republik ist und die den Kaiser tödtlich haßt; ihre Apostel, die sich aus fanatischen Theoretikern, verbitterten Juden und Emigranten rekrutiren, haben-einen bedeutenden Anhang unter den franzö¬ sischen Arbeitern und noch mehr unter den Italienern. Der Kaiser wird Orsini nicht vergessen haben, ist doch bezeichnender weise wieder scharfe Paßcontrole an den südöstlichen Grenzen eingeführt. Indeß diese Gefahren im Innern treten gegen die zurück, welche von außen drohen. Zunächst hat der Kaiser die italienische Allianz und damit die beste Frucht seiner ganzen italienischen Politik auf immer verloren, es kann keinen italienischen Staatsmann mehr geben, der noch mit Frankreich zu gehen wagte. Die Ironie des Schicksals ist in der That seltsam, von Haus aus lag das einheitliche Italien keineswegs in Napoleons Plan, denn auf die Proklamation, die er als unreifer Carbonaro erließ, ist kein Gewicht zu legen; der Plan, welcher zwischen ihm und Cavour verabredet ward, ging Grknzboten I. 18V8. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/33>, abgerufen am 03.07.2024.