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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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ist gesagt, der Sieg gehöre nicht dem Minister, sondern Thiers. Am sitt¬
lichen Maßstabe gemessen, ist dieser Triumpf der Majorität ein sehr trau¬
riges Zeichen für Frankreich, es klingt fast wie eine Satire, daß Thiers, der
erklärteste Freigeist, Retter des Papstes wird. "Voltaire beschützt den Vatican"
ruft Philaret Charles, in d'er That kämpfte Thiers nicht mit religiösen, son¬
dern mit politischen und naturrechtlichen Argumenten, wenngleich der sophistischen
Art. Er erklärte z. B., seine Ansicht verstoße keineswegs gegen die Grund¬
sätze von 1789, welche alle Bekenntnisse gleichstellten, es müßten aber auch
dann alle beim Staate gleichen Schutz finden; nun seien alle Katholiken dar¬
über einig (?), daß der Papst im Besitz Roms bleiben müsse, folglich müsse
Frankreich ihn in demselben schützen! Also wenn die Juden einmüthig er¬
klärten, das Heil ihrer Religion verlange, daß sie wieder in den Besitz Pa¬
lästinas gesetzt würden, so wäre Frankreich verbunden, ihr Verlangen zu be¬
friedigen, oder wenn die Bewohner Algeriens überzeugt wären, daß die
französische Herrschaft den Interessen des Muhamedanismus zuwiderlaufe, so
müßte die Colonie aufgegeben werden. In der That, solche Argumente ver¬
dienen kaum nähere Betrachtung, sie sind auch nicht die wahren Motive für
Leute von Thiers Schlage, dieselben liegen einfach im Neid, im Haß gegen
das neue Königreich, welches sich neben Frankreich gebildet, noch mehr in
der Erbitterung gegen den werdenden deutschen Staat; Frankreich will seine
Stellung dadurch erhalten, daß es seine Nachbarn schwach und getheilt erhält.
Diese Beweggründe wirken unzweifelhaft auch bei vielen Mitgliedern der
Majorität mit, aber im ganzen läßt sich nicht bezweifeln, daß dieselbe wirklich
klerikal ist. Man beurtheilt die öffentliche Meinung Frankreichs im Aus¬
lande viel zu sehr uach einigen großen pariser Zeitungen, welche vorzüglich
redigirt und bei uns am meisten gelesen werden. Zu Hause aber beschränkt
sich ihr Publikum auf die Gebildeten der großen Städte: wer liest auf dem
platten Lande das Journal ass V6half oder das Fiöels? Dort herrschen
die Provinzialblätter, die fast durchweg klerikal sind. Auch ist das nicht zu
verwundern; wer Frankreichs ländliche Bevölkerung kennt, der weiß, daß es
bei ihr nur zwei Mächte gibt, die Regierung und den Klerus. Wer vom
Ministerium des Innern aus die große Verwaltungsmaschine in Bewegung
setzen kann, sich gut mit der Geistlichkeit steht und Paris militärisch beherrscht,
der gebietet über Frankreich. Louis Philipp 'hatte diese Elemente vernach¬
lässigt und fiel; Louis Napoleon hat Paris strategisch gegen die Revolution
gesichert und sucht die Arbeiter durch Brod und Spiele bei guter Laune zu
erhalten, aber seinen Thron gegründet hat er auf die Sympathie der Bauern
und des Klerus. Wenn er also jetzt der Majorität des Corps legislatif nach¬
gegeben hat, so ist es nicht geschehen, weil er ihren Haß gegen Italien theilt,
sondern weil er ihre Ansicht für zu mächtig im Lande hält, um ihr zu wider-


ist gesagt, der Sieg gehöre nicht dem Minister, sondern Thiers. Am sitt¬
lichen Maßstabe gemessen, ist dieser Triumpf der Majorität ein sehr trau¬
riges Zeichen für Frankreich, es klingt fast wie eine Satire, daß Thiers, der
erklärteste Freigeist, Retter des Papstes wird. „Voltaire beschützt den Vatican"
ruft Philaret Charles, in d'er That kämpfte Thiers nicht mit religiösen, son¬
dern mit politischen und naturrechtlichen Argumenten, wenngleich der sophistischen
Art. Er erklärte z. B., seine Ansicht verstoße keineswegs gegen die Grund¬
sätze von 1789, welche alle Bekenntnisse gleichstellten, es müßten aber auch
dann alle beim Staate gleichen Schutz finden; nun seien alle Katholiken dar¬
über einig (?), daß der Papst im Besitz Roms bleiben müsse, folglich müsse
Frankreich ihn in demselben schützen! Also wenn die Juden einmüthig er¬
klärten, das Heil ihrer Religion verlange, daß sie wieder in den Besitz Pa¬
lästinas gesetzt würden, so wäre Frankreich verbunden, ihr Verlangen zu be¬
friedigen, oder wenn die Bewohner Algeriens überzeugt wären, daß die
französische Herrschaft den Interessen des Muhamedanismus zuwiderlaufe, so
müßte die Colonie aufgegeben werden. In der That, solche Argumente ver¬
dienen kaum nähere Betrachtung, sie sind auch nicht die wahren Motive für
Leute von Thiers Schlage, dieselben liegen einfach im Neid, im Haß gegen
das neue Königreich, welches sich neben Frankreich gebildet, noch mehr in
der Erbitterung gegen den werdenden deutschen Staat; Frankreich will seine
Stellung dadurch erhalten, daß es seine Nachbarn schwach und getheilt erhält.
Diese Beweggründe wirken unzweifelhaft auch bei vielen Mitgliedern der
Majorität mit, aber im ganzen läßt sich nicht bezweifeln, daß dieselbe wirklich
klerikal ist. Man beurtheilt die öffentliche Meinung Frankreichs im Aus¬
lande viel zu sehr uach einigen großen pariser Zeitungen, welche vorzüglich
redigirt und bei uns am meisten gelesen werden. Zu Hause aber beschränkt
sich ihr Publikum auf die Gebildeten der großen Städte: wer liest auf dem
platten Lande das Journal ass V6half oder das Fiöels? Dort herrschen
die Provinzialblätter, die fast durchweg klerikal sind. Auch ist das nicht zu
verwundern; wer Frankreichs ländliche Bevölkerung kennt, der weiß, daß es
bei ihr nur zwei Mächte gibt, die Regierung und den Klerus. Wer vom
Ministerium des Innern aus die große Verwaltungsmaschine in Bewegung
setzen kann, sich gut mit der Geistlichkeit steht und Paris militärisch beherrscht,
der gebietet über Frankreich. Louis Philipp 'hatte diese Elemente vernach¬
lässigt und fiel; Louis Napoleon hat Paris strategisch gegen die Revolution
gesichert und sucht die Arbeiter durch Brod und Spiele bei guter Laune zu
erhalten, aber seinen Thron gegründet hat er auf die Sympathie der Bauern
und des Klerus. Wenn er also jetzt der Majorität des Corps legislatif nach¬
gegeben hat, so ist es nicht geschehen, weil er ihren Haß gegen Italien theilt,
sondern weil er ihre Ansicht für zu mächtig im Lande hält, um ihr zu wider-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/32>, abgerufen am 03.07.2024.