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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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zu gründen, und was in unmittelbarer Nähe des besten Marktes sowohl als
der besten natürlichen Austerngründe der Welt nicht mehreren, sondern nur
einer einzigen unter mehreren Genossenschaften völlig geglückt ist, das muß
sür diese Form des Betriebs doch wohl, wenigstens unter den gegenwärtig
gegebenen allgemeinen Umständen, überwiegende Bedenken haben. Die Er¬
fahrungen der prosperirenden Gilde von Whitstable weisen selbst eindringlich
darauf hin. Die Summen ihres Verkaufserlöses in den verschiedenen Jahren
schwanken unerhört. Von 49.691 Pfund Sterling im Jahre 1852--53 fiel
der Betrag auf 7681 Pfund im Jahre 1857--58, und von da hob er sich
im Jahre 1862--63 wieder auf 90,852 Pfund. Eine Gesellschaft muß ganz
außergewöhnlich viel Capital, oder ihre Mitglieder müssen ausreichende Neben¬
erwerbe haben, um solche schroffe Wechsel überstehen zu können. Die Austern¬
zucht ist keine Saat, die regelmäßig durch eine mindestens leidliche Ernte
lohnte. Zwischen 1850--1865 ist sie nur zweimal eingeschlagen, 1852 und
1858; die Brut, welche in einem solchen ergiebigen Jahre dem Leben gewon¬
nen wird, muß für die folgenden mageren Jahre mit vorhalten. Woher die
Mißjahre kommen, ist noch nicht völlig entschieden. Gewiß ist nur, daß sie
weit häufiger sind, als die glücklichen Jahre, zwischen Parks und freiem See¬
boden keinen Unterschied machen, und mehr oder weniger an allen europäischen
Küsten übereinstimmend eintreten, mindestens soweit der Golfstrom aus die
sie bespülenden Gewässer wirkt. Die meisten Praktiker nehmen daher auch an,
es sei ein Mangel an Wärme um die Zeit, da die Jungen das mütterliche
Gehäuse verlassen, also z. B. im Juli, woher die wenig oder nichts übrig¬
lassende allgemeine Sterblichkeit komme. Andere meinen, zu große Unruhe
im Wasser trage die Schuld, indem sie die junge Brut in Sand und Schlamm
ersticke.

Die neugeborene Auster ist allerdings ein gebrechliches Geschöpf. Ihre ^
Lebenshoffnung -- um in der Sprache der Versicherungsstatistik zu reden --
steht im umgekehrten Verhältniß zu der Fruchtbarkeit des Mutterthieres.
Diese bis auf Zehner und Einer, ja auch nur auf Hunderte festzustellen, ist
nicht gut möglich; die ganze Production einer gebärenden Auster erscheint
dem unbewaffneten Auge blos wie ein lichter Schaum oder wie eine dünne
Flocke Schnee Aber mit dem Gewichte kann man dem Dinge einigermaßen
näher kommen, und da hat Buckland bei seinen Versuchen gesunden, daß die
Zahl der Kinder einer einzigen Austermutter zwischen 420,000 und 830.000
schwankt. Dieser Grad von Fruchtbarkeit muß alle Annahmen niederschlagen,
als ob die natürliche Austernzucht der See jemals durch "Raubbau" erschöpft
werden könnte. Geboren wird jeden Sommer, bis tief in den Herbst hinein,
ja Einige meinen sogar, das ganze Jahr hindurch; und wenn dann Luft
und Wasser einmal günstig sind, so wimmelt es von Milliarden junger


zu gründen, und was in unmittelbarer Nähe des besten Marktes sowohl als
der besten natürlichen Austerngründe der Welt nicht mehreren, sondern nur
einer einzigen unter mehreren Genossenschaften völlig geglückt ist, das muß
sür diese Form des Betriebs doch wohl, wenigstens unter den gegenwärtig
gegebenen allgemeinen Umständen, überwiegende Bedenken haben. Die Er¬
fahrungen der prosperirenden Gilde von Whitstable weisen selbst eindringlich
darauf hin. Die Summen ihres Verkaufserlöses in den verschiedenen Jahren
schwanken unerhört. Von 49.691 Pfund Sterling im Jahre 1852—53 fiel
der Betrag auf 7681 Pfund im Jahre 1857—58, und von da hob er sich
im Jahre 1862—63 wieder auf 90,852 Pfund. Eine Gesellschaft muß ganz
außergewöhnlich viel Capital, oder ihre Mitglieder müssen ausreichende Neben¬
erwerbe haben, um solche schroffe Wechsel überstehen zu können. Die Austern¬
zucht ist keine Saat, die regelmäßig durch eine mindestens leidliche Ernte
lohnte. Zwischen 1850—1865 ist sie nur zweimal eingeschlagen, 1852 und
1858; die Brut, welche in einem solchen ergiebigen Jahre dem Leben gewon¬
nen wird, muß für die folgenden mageren Jahre mit vorhalten. Woher die
Mißjahre kommen, ist noch nicht völlig entschieden. Gewiß ist nur, daß sie
weit häufiger sind, als die glücklichen Jahre, zwischen Parks und freiem See¬
boden keinen Unterschied machen, und mehr oder weniger an allen europäischen
Küsten übereinstimmend eintreten, mindestens soweit der Golfstrom aus die
sie bespülenden Gewässer wirkt. Die meisten Praktiker nehmen daher auch an,
es sei ein Mangel an Wärme um die Zeit, da die Jungen das mütterliche
Gehäuse verlassen, also z. B. im Juli, woher die wenig oder nichts übrig¬
lassende allgemeine Sterblichkeit komme. Andere meinen, zu große Unruhe
im Wasser trage die Schuld, indem sie die junge Brut in Sand und Schlamm
ersticke.

Die neugeborene Auster ist allerdings ein gebrechliches Geschöpf. Ihre ^
Lebenshoffnung — um in der Sprache der Versicherungsstatistik zu reden —
steht im umgekehrten Verhältniß zu der Fruchtbarkeit des Mutterthieres.
Diese bis auf Zehner und Einer, ja auch nur auf Hunderte festzustellen, ist
nicht gut möglich; die ganze Production einer gebärenden Auster erscheint
dem unbewaffneten Auge blos wie ein lichter Schaum oder wie eine dünne
Flocke Schnee Aber mit dem Gewichte kann man dem Dinge einigermaßen
näher kommen, und da hat Buckland bei seinen Versuchen gesunden, daß die
Zahl der Kinder einer einzigen Austermutter zwischen 420,000 und 830.000
schwankt. Dieser Grad von Fruchtbarkeit muß alle Annahmen niederschlagen,
als ob die natürliche Austernzucht der See jemals durch „Raubbau" erschöpft
werden könnte. Geboren wird jeden Sommer, bis tief in den Herbst hinein,
ja Einige meinen sogar, das ganze Jahr hindurch; und wenn dann Luft
und Wasser einmal günstig sind, so wimmelt es von Milliarden junger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/324>, abgerufen am 22.07.2024.