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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Thiere, welche die Kinderkrankheiten überstanden haben. Für das Netz des
Fischers gerettet sind sie damit freilich noch lange nicht alle. Ein starker
Wind oder Strom im Meere kann sie noch immer von der festen Basis ver¬
schlagen, auf welcher sie haften, an den Strand werfen oder in Schlamm
und Unkraut ersticken; sie können dem Seestern zum Opfer fallen, ihrem
gefährlichsten Feinde, dem Austernfischer genannten Vogel, oder sonst einem
darauf eingerichteten Gastronomen aus der schwimmenden oder fliegenden
Thierwelt. Diese Gefahren sind es, deren Beseitigung wohlangelegte Austern-
Parks und die sorgsame Behandlung dnselben im Gegensatz zu freien Austern¬
bänken so lohnend macht. In einem Park kommt das eigenthümliche Austern¬
netz, halb aus eisernen Ringen und halb aus gewöhnlichem Netzwerk
bestehend, das ganze Jahr über nicht zur Ruhe. Wenn es nicht nach reifen
und gesunden Thieren für den Markt fischt, so liest es Seegras, Seesterne
und alles, was sonst der Zucht schaden könnte, vom Grunde auf. Nur
wenn die Austern anfangen zu laichen, wird die Arbeit der Parkleute auf
einen bis zwei Monate ausgesetzt, um die junge Brut nicht zu zerstören.
Die sogenannte geschlossene Zeit, welche nach einem englisch-französischen
Fischereivertrag von 1839 vier Monate betragen soll, Mai, Juni, Juli und
August, und während welcher das Austernnetz überall nicht gebraucht, nicht
einmal an Bord genommen, und Austern auch zur Zucht oder zur Mästung
nicht verkauft werden dürfen, wird an den Küsten von Kent und Esser ein-
geständlich nirgends innegehalten, und auch anderswo umgangen. In der
That beruht ein guter Theil der Versorgung des unersättlichen englischen
Austermarktes darauf, daß die kaum eßbare Art, welche man in den Tiefen
des Canals, am irischen oder schottischen Strande findet, in die Parks links
und rechts von der Themsemündung verpflanzt wird, um sich dort zu mästen
und zu veredeln. Aus einer Tiefe genommen, wo die Temperatur geringeren
Wechseln unterliegt, überstehen diese Thiere nicht leicht den Winter in dem
seichteren Wasser, in welchem die Natives zu Hause sind; aber wenn man
sie den Frühling und Sommer hindurch dort niederlegt, so lassen sie sich im
Herbste einige Wochen früher auf den Markt bringen, als mit den Natives
zu thun gerathen ist, und füllen folglich eine Lücke im Handel aus.

Der englische Austernfischer gewöhnlichen Schlages, diejenigen der Gilden
von Colchester, Whitstable und Faversham eingeschlossen, will von einer
weitergehenden Züchtung, als er sie seit Jahrhunderten treibt, begreiflicher-
weise nichts hören. Aber seit einigen Jahren hat das große Capital ein
Auge auf die Austernzucht geworfen, und in seinem Gefolge wendet sich ihr
natürlich auch die halb speculative, halb theoretische Lust an praktischen Experi¬
menten zu. Es ist bekannt, daß der berühmte französische Gelehrte Coste
seine Fischzüchtungsunternehmungen auf die Austern mit erstreckt hat. Im


Thiere, welche die Kinderkrankheiten überstanden haben. Für das Netz des
Fischers gerettet sind sie damit freilich noch lange nicht alle. Ein starker
Wind oder Strom im Meere kann sie noch immer von der festen Basis ver¬
schlagen, auf welcher sie haften, an den Strand werfen oder in Schlamm
und Unkraut ersticken; sie können dem Seestern zum Opfer fallen, ihrem
gefährlichsten Feinde, dem Austernfischer genannten Vogel, oder sonst einem
darauf eingerichteten Gastronomen aus der schwimmenden oder fliegenden
Thierwelt. Diese Gefahren sind es, deren Beseitigung wohlangelegte Austern-
Parks und die sorgsame Behandlung dnselben im Gegensatz zu freien Austern¬
bänken so lohnend macht. In einem Park kommt das eigenthümliche Austern¬
netz, halb aus eisernen Ringen und halb aus gewöhnlichem Netzwerk
bestehend, das ganze Jahr über nicht zur Ruhe. Wenn es nicht nach reifen
und gesunden Thieren für den Markt fischt, so liest es Seegras, Seesterne
und alles, was sonst der Zucht schaden könnte, vom Grunde auf. Nur
wenn die Austern anfangen zu laichen, wird die Arbeit der Parkleute auf
einen bis zwei Monate ausgesetzt, um die junge Brut nicht zu zerstören.
Die sogenannte geschlossene Zeit, welche nach einem englisch-französischen
Fischereivertrag von 1839 vier Monate betragen soll, Mai, Juni, Juli und
August, und während welcher das Austernnetz überall nicht gebraucht, nicht
einmal an Bord genommen, und Austern auch zur Zucht oder zur Mästung
nicht verkauft werden dürfen, wird an den Küsten von Kent und Esser ein-
geständlich nirgends innegehalten, und auch anderswo umgangen. In der
That beruht ein guter Theil der Versorgung des unersättlichen englischen
Austermarktes darauf, daß die kaum eßbare Art, welche man in den Tiefen
des Canals, am irischen oder schottischen Strande findet, in die Parks links
und rechts von der Themsemündung verpflanzt wird, um sich dort zu mästen
und zu veredeln. Aus einer Tiefe genommen, wo die Temperatur geringeren
Wechseln unterliegt, überstehen diese Thiere nicht leicht den Winter in dem
seichteren Wasser, in welchem die Natives zu Hause sind; aber wenn man
sie den Frühling und Sommer hindurch dort niederlegt, so lassen sie sich im
Herbste einige Wochen früher auf den Markt bringen, als mit den Natives
zu thun gerathen ist, und füllen folglich eine Lücke im Handel aus.

Der englische Austernfischer gewöhnlichen Schlages, diejenigen der Gilden
von Colchester, Whitstable und Faversham eingeschlossen, will von einer
weitergehenden Züchtung, als er sie seit Jahrhunderten treibt, begreiflicher-
weise nichts hören. Aber seit einigen Jahren hat das große Capital ein
Auge auf die Austernzucht geworfen, und in seinem Gefolge wendet sich ihr
natürlich auch die halb speculative, halb theoretische Lust an praktischen Experi¬
menten zu. Es ist bekannt, daß der berühmte französische Gelehrte Coste
seine Fischzüchtungsunternehmungen auf die Austern mit erstreckt hat. Im


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[0325] Thiere, welche die Kinderkrankheiten überstanden haben. Für das Netz des Fischers gerettet sind sie damit freilich noch lange nicht alle. Ein starker Wind oder Strom im Meere kann sie noch immer von der festen Basis ver¬ schlagen, auf welcher sie haften, an den Strand werfen oder in Schlamm und Unkraut ersticken; sie können dem Seestern zum Opfer fallen, ihrem gefährlichsten Feinde, dem Austernfischer genannten Vogel, oder sonst einem darauf eingerichteten Gastronomen aus der schwimmenden oder fliegenden Thierwelt. Diese Gefahren sind es, deren Beseitigung wohlangelegte Austern- Parks und die sorgsame Behandlung dnselben im Gegensatz zu freien Austern¬ bänken so lohnend macht. In einem Park kommt das eigenthümliche Austern¬ netz, halb aus eisernen Ringen und halb aus gewöhnlichem Netzwerk bestehend, das ganze Jahr über nicht zur Ruhe. Wenn es nicht nach reifen und gesunden Thieren für den Markt fischt, so liest es Seegras, Seesterne und alles, was sonst der Zucht schaden könnte, vom Grunde auf. Nur wenn die Austern anfangen zu laichen, wird die Arbeit der Parkleute auf einen bis zwei Monate ausgesetzt, um die junge Brut nicht zu zerstören. Die sogenannte geschlossene Zeit, welche nach einem englisch-französischen Fischereivertrag von 1839 vier Monate betragen soll, Mai, Juni, Juli und August, und während welcher das Austernnetz überall nicht gebraucht, nicht einmal an Bord genommen, und Austern auch zur Zucht oder zur Mästung nicht verkauft werden dürfen, wird an den Küsten von Kent und Esser ein- geständlich nirgends innegehalten, und auch anderswo umgangen. In der That beruht ein guter Theil der Versorgung des unersättlichen englischen Austermarktes darauf, daß die kaum eßbare Art, welche man in den Tiefen des Canals, am irischen oder schottischen Strande findet, in die Parks links und rechts von der Themsemündung verpflanzt wird, um sich dort zu mästen und zu veredeln. Aus einer Tiefe genommen, wo die Temperatur geringeren Wechseln unterliegt, überstehen diese Thiere nicht leicht den Winter in dem seichteren Wasser, in welchem die Natives zu Hause sind; aber wenn man sie den Frühling und Sommer hindurch dort niederlegt, so lassen sie sich im Herbste einige Wochen früher auf den Markt bringen, als mit den Natives zu thun gerathen ist, und füllen folglich eine Lücke im Handel aus. Der englische Austernfischer gewöhnlichen Schlages, diejenigen der Gilden von Colchester, Whitstable und Faversham eingeschlossen, will von einer weitergehenden Züchtung, als er sie seit Jahrhunderten treibt, begreiflicher- weise nichts hören. Aber seit einigen Jahren hat das große Capital ein Auge auf die Austernzucht geworfen, und in seinem Gefolge wendet sich ihr natürlich auch die halb speculative, halb theoretische Lust an praktischen Experi¬ menten zu. Es ist bekannt, daß der berühmte französische Gelehrte Coste seine Fischzüchtungsunternehmungen auf die Austern mit erstreckt hat. Im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/325>, abgerufen am 03.07.2024.