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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Bon den buntscheckigen Bevölkerungsverhältnissen dieses der deutschen
- >'tur für immer verloren gegangenen Landes entwirft Erkerts
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nach statistischen Erhebungen von 1858 etwa 20,000 Polen, 140.000 Letten,
15 -20,000 Juden, ebenso viel Russen, wenig mehr als 2--3000 Deutsche,
und diese Angaben möchten trotz der Veränderungen, die sich inzwischen
vollzogen haben, im Großen und Ganzen noch gegenwärtig zutreffen: möglich,
daß die Anzahl der Polen sich zu Gunsten der Russen und Deutschen um
einige tausend Köpfe vermindert hat. Das Gouvernement Minsk allein aus¬
genommen, wo noch nicht 700 Menschen auf die H> Meile kommen, sind die
Bevölkerungsverhältnisse in keiner der angrenzenden ehemals polnischen oder
baltisch-deutschen Provinzen so ungünstig wie in polnisch Livland. Während
in Kurland, dessen östlicher Theil, Dank der polnisch-litthauischen Nachbar¬
schaft, ziemlich verkommen ist, immer noch 1200 Bewohner auf der üiMeile
wohnen, zählt dieselbe in "Instand" blos 900 Menschen. Die verhältni߬
mäßig bedeutende Anzahl der Russen erklärt sich aus der Anlegung einzelner
aus altgläubigen Sektirern bestehenden Kolonien, welche z. B. den zwischen
Dünaburg und Kreslaw liegenden Flecken Uszwalda ausschließlich bewohnen.
In den übrigen Theilen des Landes begegnet man Russen, wenn diese nicht
Militärs, Civilbeamte oder Popen sind, nur höchst selten. Die Letten
wohnen, wie erwähnt, nicht in Dörfern, sondern auf einzelnen Höfen, die
Juden haben ihre Sitze in den Flecken, von denen aus sie das Flachland
durchstreifen, in der Regel um zum Vorabend des Sabbath in die Heimath
zurückzukehren. An einzelnen Orten, z. B. in dem eine halbe Meile von
Kreuzburg gelegenen Städtchen Trentelberg, findet sich schlechterdings kein
christlicher Bewohner. Am Vorabend des dem Dienste Jehovahs geweihten
Tages gewährt dieses Städtchen einen Anblick, dessen eigenthümlichem Zauber
sich Niemand entziehen kann, wer Sinn und Verständniß sür die unvergleich¬
liche Treue hat, mit welcher dieses merkwürdige Volk an den heiligen Bräuchen
hgngt, die seine Väter aus dem fernen Strande Palästinas in den Norden
mitgebracht haben. Fährt man Abends durch das Städtchen, so glänzt aus
jedem Fenster, auch dem der ärmsten Hütte, das Licht des dreiarmigen
silbernen Leuchters, um welchen die Familie sich versammelt hat. um das
Weizenbrod und das Huhn zu verzehren, das die Hausfrau nach uraltem
Brauch in Butter gesotten dem Hausvater vorsetzt. Reinlich gekleidet um¬
stehen Frau und Kinder den mit schwarzem seidenglänzenden Rockelor geschmück¬
ten Hausherrn in ehrfurchtsvollem Schweigen. Der arme Krämer, der sechs
Tage lang beladen von der schweren Last seines Bündels durch das Land
gekeucht ist, von den Spöttereien des Bauern, den Flüchen und Mißhand-


Bon den buntscheckigen Bevölkerungsverhältnissen dieses der deutschen
- >'tur für immer verloren gegangenen Landes entwirft Erkerts
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nsis" Le. kötersdourg' 1863) ein ziemlich anschauliches Bild, Man zählte
nach statistischen Erhebungen von 1858 etwa 20,000 Polen, 140.000 Letten,
15 -20,000 Juden, ebenso viel Russen, wenig mehr als 2—3000 Deutsche,
und diese Angaben möchten trotz der Veränderungen, die sich inzwischen
vollzogen haben, im Großen und Ganzen noch gegenwärtig zutreffen: möglich,
daß die Anzahl der Polen sich zu Gunsten der Russen und Deutschen um
einige tausend Köpfe vermindert hat. Das Gouvernement Minsk allein aus¬
genommen, wo noch nicht 700 Menschen auf die H> Meile kommen, sind die
Bevölkerungsverhältnisse in keiner der angrenzenden ehemals polnischen oder
baltisch-deutschen Provinzen so ungünstig wie in polnisch Livland. Während
in Kurland, dessen östlicher Theil, Dank der polnisch-litthauischen Nachbar¬
schaft, ziemlich verkommen ist, immer noch 1200 Bewohner auf der üiMeile
wohnen, zählt dieselbe in „Instand" blos 900 Menschen. Die verhältni߬
mäßig bedeutende Anzahl der Russen erklärt sich aus der Anlegung einzelner
aus altgläubigen Sektirern bestehenden Kolonien, welche z. B. den zwischen
Dünaburg und Kreslaw liegenden Flecken Uszwalda ausschließlich bewohnen.
In den übrigen Theilen des Landes begegnet man Russen, wenn diese nicht
Militärs, Civilbeamte oder Popen sind, nur höchst selten. Die Letten
wohnen, wie erwähnt, nicht in Dörfern, sondern auf einzelnen Höfen, die
Juden haben ihre Sitze in den Flecken, von denen aus sie das Flachland
durchstreifen, in der Regel um zum Vorabend des Sabbath in die Heimath
zurückzukehren. An einzelnen Orten, z. B. in dem eine halbe Meile von
Kreuzburg gelegenen Städtchen Trentelberg, findet sich schlechterdings kein
christlicher Bewohner. Am Vorabend des dem Dienste Jehovahs geweihten
Tages gewährt dieses Städtchen einen Anblick, dessen eigenthümlichem Zauber
sich Niemand entziehen kann, wer Sinn und Verständniß sür die unvergleich¬
liche Treue hat, mit welcher dieses merkwürdige Volk an den heiligen Bräuchen
hgngt, die seine Väter aus dem fernen Strande Palästinas in den Norden
mitgebracht haben. Fährt man Abends durch das Städtchen, so glänzt aus
jedem Fenster, auch dem der ärmsten Hütte, das Licht des dreiarmigen
silbernen Leuchters, um welchen die Familie sich versammelt hat. um das
Weizenbrod und das Huhn zu verzehren, das die Hausfrau nach uraltem
Brauch in Butter gesotten dem Hausvater vorsetzt. Reinlich gekleidet um¬
stehen Frau und Kinder den mit schwarzem seidenglänzenden Rockelor geschmück¬
ten Hausherrn in ehrfurchtsvollem Schweigen. Der arme Krämer, der sechs
Tage lang beladen von der schweren Last seines Bündels durch das Land
gekeucht ist, von den Spöttereien des Bauern, den Flüchen und Mißhand-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/300>, abgerufen am 22.07.2024.