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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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lettischen Anwohner wurden von den Einflüssen germanischer Bildung un¬
gleich weniger berührt, als die Stammesgenossen an der Dünamündung oder
der Aa. Früh an unbedingten Gehorsam gegen den Willen ihrer stolzen
Beherrscher gewöhnt, waren sie im 13. Jahrhundert wenigstens dem Namen
nach 'katholische Christen, im Zeitalter der Reformation Lutheraner geworden.
Dann kamen die blutigen Zeiten des russischen Einfalls und des polnisch¬
schwedischen Erbfolgekrieges, der den zu allen Zeiten höchst bescheidenen
Wohlstand des Landes vernichtete und alle Bande der Zucht und Gesittung,
welche die wenigen, in diese Einöden versprengten lutherischen Geistlichen
"um ihre Pfarrkinder geschlungen hatten, plötzlich auflösten.

Als der Krieg beendet war, wurde das Land den Polen übergeben:
während Gustav Adolph dem westlichen Livland die Segnungen protestantischer
Entwicklung erschloß, die Leibeigenschaft durch strenge Gesetze gegen die adlige
Willkür eingeschränkt, der livländische Grund und Boden katastrire und ein
geordnetes Kirchen und Schulwesen geschaffen wurde, das sich bis heute er¬
halten hat und dem das Lettenvolk seine gesammte sittliche und intellec-
tuelle Cultur schuldet, verfolgten die polnischen Beherrscher "Jnslands" nur
das eine Ziel vollständiger Ausrottung des protestantisch-deutschen Wesens,
welches hier ohnehin kaum Wurzel geschlagen hatte. Harte Staroste und hoch-
müthige Woyewoden zogen die in den Wirren des Krieges schlaff gewordenen
Zügel der Leibeigenschaft aufs Neue an und zwängten die unglücklichen Letten
in jene Stufe der Thierheit herab, welche in Litthauen und Polen für den
Normalzustand des Bauern galt, während jesuitische Arglist die protestan¬
tischen Kirchen zerstörte und das apathische Landvolk in den Schoß der allein¬
seligmachenden zurückführte. -- Auf ihren Edelsitzen zerstreut, durch den
Jammer des Kriegselends verwildert, von keinem Bürgerthum unterstützt
und getragen, waren die deutschen Barone außer Stande, dem Andrang des
polnisch-katholischen Wesens wirksamen Widerstand zu leisten: nach einem
halben Jahrhundert waren sie zu polnischen Pans geworden, die sich für die
zügellose Junkerfreiheit der königlichen Republik begeisterten, -- von den
Landboten und Castellanen Lithauens und Samogitiens nur noch durch
den deutschen Klang ihrer Namen zu unterscheiden. Die Geschlechter der
Borg, Syberg, Plater, Paulin-Rosenschild u. f. w. sind seit zwei Jahrhun¬
derten in den polnischen Adel übergegangen, sie halten bis heute treu zur
polnischen Sache, und die bald hundertjährige russische Herrschaft über pol¬
nisch Livland hat nicht vermocht, den Einfluß des polnischen Elements
zu brechen und diesen durch russischen zu ersetzen. Nur mühsam läßt sich
aus den Namen der Ortschaften dieses Landes auf den Ursprung derselben
schließen; aus Rohleder ist Rscziza, aus Lützen Lutzin, aus Warkland Wark-
lä.my, aus Drissen Dryzä.my geworden und selbst die unverändert gebliebe-


lettischen Anwohner wurden von den Einflüssen germanischer Bildung un¬
gleich weniger berührt, als die Stammesgenossen an der Dünamündung oder
der Aa. Früh an unbedingten Gehorsam gegen den Willen ihrer stolzen
Beherrscher gewöhnt, waren sie im 13. Jahrhundert wenigstens dem Namen
nach 'katholische Christen, im Zeitalter der Reformation Lutheraner geworden.
Dann kamen die blutigen Zeiten des russischen Einfalls und des polnisch¬
schwedischen Erbfolgekrieges, der den zu allen Zeiten höchst bescheidenen
Wohlstand des Landes vernichtete und alle Bande der Zucht und Gesittung,
welche die wenigen, in diese Einöden versprengten lutherischen Geistlichen
»um ihre Pfarrkinder geschlungen hatten, plötzlich auflösten.

Als der Krieg beendet war, wurde das Land den Polen übergeben:
während Gustav Adolph dem westlichen Livland die Segnungen protestantischer
Entwicklung erschloß, die Leibeigenschaft durch strenge Gesetze gegen die adlige
Willkür eingeschränkt, der livländische Grund und Boden katastrire und ein
geordnetes Kirchen und Schulwesen geschaffen wurde, das sich bis heute er¬
halten hat und dem das Lettenvolk seine gesammte sittliche und intellec-
tuelle Cultur schuldet, verfolgten die polnischen Beherrscher „Jnslands" nur
das eine Ziel vollständiger Ausrottung des protestantisch-deutschen Wesens,
welches hier ohnehin kaum Wurzel geschlagen hatte. Harte Staroste und hoch-
müthige Woyewoden zogen die in den Wirren des Krieges schlaff gewordenen
Zügel der Leibeigenschaft aufs Neue an und zwängten die unglücklichen Letten
in jene Stufe der Thierheit herab, welche in Litthauen und Polen für den
Normalzustand des Bauern galt, während jesuitische Arglist die protestan¬
tischen Kirchen zerstörte und das apathische Landvolk in den Schoß der allein¬
seligmachenden zurückführte. — Auf ihren Edelsitzen zerstreut, durch den
Jammer des Kriegselends verwildert, von keinem Bürgerthum unterstützt
und getragen, waren die deutschen Barone außer Stande, dem Andrang des
polnisch-katholischen Wesens wirksamen Widerstand zu leisten: nach einem
halben Jahrhundert waren sie zu polnischen Pans geworden, die sich für die
zügellose Junkerfreiheit der königlichen Republik begeisterten, — von den
Landboten und Castellanen Lithauens und Samogitiens nur noch durch
den deutschen Klang ihrer Namen zu unterscheiden. Die Geschlechter der
Borg, Syberg, Plater, Paulin-Rosenschild u. f. w. sind seit zwei Jahrhun¬
derten in den polnischen Adel übergegangen, sie halten bis heute treu zur
polnischen Sache, und die bald hundertjährige russische Herrschaft über pol¬
nisch Livland hat nicht vermocht, den Einfluß des polnischen Elements
zu brechen und diesen durch russischen zu ersetzen. Nur mühsam läßt sich
aus den Namen der Ortschaften dieses Landes auf den Ursprung derselben
schließen; aus Rohleder ist Rscziza, aus Lützen Lutzin, aus Warkland Wark-
lä.my, aus Drissen Dryzä.my geworden und selbst die unverändert gebliebe-


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[0292] lettischen Anwohner wurden von den Einflüssen germanischer Bildung un¬ gleich weniger berührt, als die Stammesgenossen an der Dünamündung oder der Aa. Früh an unbedingten Gehorsam gegen den Willen ihrer stolzen Beherrscher gewöhnt, waren sie im 13. Jahrhundert wenigstens dem Namen nach 'katholische Christen, im Zeitalter der Reformation Lutheraner geworden. Dann kamen die blutigen Zeiten des russischen Einfalls und des polnisch¬ schwedischen Erbfolgekrieges, der den zu allen Zeiten höchst bescheidenen Wohlstand des Landes vernichtete und alle Bande der Zucht und Gesittung, welche die wenigen, in diese Einöden versprengten lutherischen Geistlichen »um ihre Pfarrkinder geschlungen hatten, plötzlich auflösten. Als der Krieg beendet war, wurde das Land den Polen übergeben: während Gustav Adolph dem westlichen Livland die Segnungen protestantischer Entwicklung erschloß, die Leibeigenschaft durch strenge Gesetze gegen die adlige Willkür eingeschränkt, der livländische Grund und Boden katastrire und ein geordnetes Kirchen und Schulwesen geschaffen wurde, das sich bis heute er¬ halten hat und dem das Lettenvolk seine gesammte sittliche und intellec- tuelle Cultur schuldet, verfolgten die polnischen Beherrscher „Jnslands" nur das eine Ziel vollständiger Ausrottung des protestantisch-deutschen Wesens, welches hier ohnehin kaum Wurzel geschlagen hatte. Harte Staroste und hoch- müthige Woyewoden zogen die in den Wirren des Krieges schlaff gewordenen Zügel der Leibeigenschaft aufs Neue an und zwängten die unglücklichen Letten in jene Stufe der Thierheit herab, welche in Litthauen und Polen für den Normalzustand des Bauern galt, während jesuitische Arglist die protestan¬ tischen Kirchen zerstörte und das apathische Landvolk in den Schoß der allein¬ seligmachenden zurückführte. — Auf ihren Edelsitzen zerstreut, durch den Jammer des Kriegselends verwildert, von keinem Bürgerthum unterstützt und getragen, waren die deutschen Barone außer Stande, dem Andrang des polnisch-katholischen Wesens wirksamen Widerstand zu leisten: nach einem halben Jahrhundert waren sie zu polnischen Pans geworden, die sich für die zügellose Junkerfreiheit der königlichen Republik begeisterten, — von den Landboten und Castellanen Lithauens und Samogitiens nur noch durch den deutschen Klang ihrer Namen zu unterscheiden. Die Geschlechter der Borg, Syberg, Plater, Paulin-Rosenschild u. f. w. sind seit zwei Jahrhun¬ derten in den polnischen Adel übergegangen, sie halten bis heute treu zur polnischen Sache, und die bald hundertjährige russische Herrschaft über pol¬ nisch Livland hat nicht vermocht, den Einfluß des polnischen Elements zu brechen und diesen durch russischen zu ersetzen. Nur mühsam läßt sich aus den Namen der Ortschaften dieses Landes auf den Ursprung derselben schließen; aus Rohleder ist Rscziza, aus Lützen Lutzin, aus Warkland Wark- lä.my, aus Drissen Dryzä.my geworden und selbst die unverändert gebliebe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/292>, abgerufen am 22.07.2024.