Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.Wie in Rußland und Deutschland, so ist es auch in Frankreich während Eine schlechte Regierung ist leichter zu ertragen, als eine Verfassung, Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hüthel Segler in Leipzig. Wie in Rußland und Deutschland, so ist es auch in Frankreich während Eine schlechte Regierung ist leichter zu ertragen, als eine Verfassung, Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthel Segler in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117292"/> <p xml:id="ID_749" prev="#ID_748"> Wie in Rußland und Deutschland, so ist es auch in Frankreich während<lb/> der letzten Wochen auf diplomatischem Gebiet still geblieben und nur von<lb/> inneren Fragen die Rede gewesen. Weder der Übertritt der hannoverischen<lb/> Flüchtlinge auf französisches Gebiet, noch die Depesche, welche Menabrea der<lb/> kaiserlichen Regierung wegen ihrer Duldung der reactionären Umtriebe, die<lb/> von Rom aus gegen das italienische Königreich inscenirt werden, wenigstens<lb/> indirect Vorwürfe macht, haben es vermocht, das Volk von Paris in dem<lb/> Eifer zu stören, mit welchem dieses den Verhandlungen über das neue Pre߬<lb/> gesetz folgte. Diese Verhandlungen haben freilich das Bild meiner parlamen¬<lb/> tarischen Misere enthüllt, welche durch den Glanz der oppositionellen Reden<lb/> nur in ein helleres Licht gestellt worden ist. Es hat der vollen Energie der<lb/> Regierung bedurft, damit die servile Majorität des gesetzgebenden Körpers<lb/> sich ein Gesetz abzwingen ließ, welches die Presse von dem unerträglichen<lb/> Druck administrativer und polizeilicher Willkür befreien sollte, und mehr wie<lb/> zweifelhaft erscheint es, daß der „gute Eindruck", den die „liberale" Haltung<lb/> des kaiserlichen Cabinets nach den Zeitungsberichten gemacht haben soll, hin¬<lb/> reichen werde, den Ekel zu bewältigen, welchen die Erbärmlichkeit der Volks¬<lb/> vertretung der französischen Nation eingeflößt haben muß. Deputirte, welche<lb/> sich durch die Regierung dazu zwingen lassen, ein Volksrecht wiederherzustellen,<lb/> das Frankreich bereits vor 80 Jahren erobert hatte, Senatoren, in deren<lb/> Reihen sich nur vier wirkliche Anhänger der Preßfreiheit finden und die von<lb/> ihren Collegen mit dem Namen „les yuatre und6eitles" belegt werden, kann<lb/> eine Nation, die auf ihre eigene Würde hält, nimmermehr für ihre Vertreter<lb/> ansehen. Zustände, die eine Nationalrepräsentation so vollständig in ihr<lb/> Gegentheil zu verwandeln im Stande waren, müssen die französische Selbst¬<lb/> achtung untergraben und können sich auf die Dauer nicht behaupten.</p><lb/> <p xml:id="ID_750"> Eine schlechte Regierung ist leichter zu ertragen, als eine Verfassung,<lb/> welche das Volk vor seinem eigenen Spiegelbilde zurückschrecken läßt. Aus<lb/> 'diesem Grunde können wir an ein verbessertes Verhältniß zwischen Frankreich<lb/> und dem zweiten Kaiserthum nicht glauben und scheint uns die Alternative<lb/> „Krieg oder innere Freiheit" in ihrer ganzen Gefährlichkeit für Deutschland<lb/> fortzubestehen, mag immerhin im Augenblick nicht an Krieg gedacht und die<lb/> Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Preußen von dem Tuilerieneabinet<lb/> ernstlich gewünscht werden. Die Ehre desselben ist durch das ZeugniH, wel¬<lb/> ches die Freunde und Hauptstützen des Empire sich durch ihr Verhalten zum<lb/> Preßgesetz ausgestellt haben, in den Äugender französischen Unzufriedenen<lb/> empfindlicher compromittirt worden, als es je durch kaiserliche oder ministerielle<lb/> Mißgriffe geschehen konnte.</p><lb/> <note type="byline"> Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.<lb/> Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthel Segler in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
Wie in Rußland und Deutschland, so ist es auch in Frankreich während
der letzten Wochen auf diplomatischem Gebiet still geblieben und nur von
inneren Fragen die Rede gewesen. Weder der Übertritt der hannoverischen
Flüchtlinge auf französisches Gebiet, noch die Depesche, welche Menabrea der
kaiserlichen Regierung wegen ihrer Duldung der reactionären Umtriebe, die
von Rom aus gegen das italienische Königreich inscenirt werden, wenigstens
indirect Vorwürfe macht, haben es vermocht, das Volk von Paris in dem
Eifer zu stören, mit welchem dieses den Verhandlungen über das neue Pre߬
gesetz folgte. Diese Verhandlungen haben freilich das Bild meiner parlamen¬
tarischen Misere enthüllt, welche durch den Glanz der oppositionellen Reden
nur in ein helleres Licht gestellt worden ist. Es hat der vollen Energie der
Regierung bedurft, damit die servile Majorität des gesetzgebenden Körpers
sich ein Gesetz abzwingen ließ, welches die Presse von dem unerträglichen
Druck administrativer und polizeilicher Willkür befreien sollte, und mehr wie
zweifelhaft erscheint es, daß der „gute Eindruck", den die „liberale" Haltung
des kaiserlichen Cabinets nach den Zeitungsberichten gemacht haben soll, hin¬
reichen werde, den Ekel zu bewältigen, welchen die Erbärmlichkeit der Volks¬
vertretung der französischen Nation eingeflößt haben muß. Deputirte, welche
sich durch die Regierung dazu zwingen lassen, ein Volksrecht wiederherzustellen,
das Frankreich bereits vor 80 Jahren erobert hatte, Senatoren, in deren
Reihen sich nur vier wirkliche Anhänger der Preßfreiheit finden und die von
ihren Collegen mit dem Namen „les yuatre und6eitles" belegt werden, kann
eine Nation, die auf ihre eigene Würde hält, nimmermehr für ihre Vertreter
ansehen. Zustände, die eine Nationalrepräsentation so vollständig in ihr
Gegentheil zu verwandeln im Stande waren, müssen die französische Selbst¬
achtung untergraben und können sich auf die Dauer nicht behaupten.
Eine schlechte Regierung ist leichter zu ertragen, als eine Verfassung,
welche das Volk vor seinem eigenen Spiegelbilde zurückschrecken läßt. Aus
'diesem Grunde können wir an ein verbessertes Verhältniß zwischen Frankreich
und dem zweiten Kaiserthum nicht glauben und scheint uns die Alternative
„Krieg oder innere Freiheit" in ihrer ganzen Gefährlichkeit für Deutschland
fortzubestehen, mag immerhin im Augenblick nicht an Krieg gedacht und die
Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Preußen von dem Tuilerieneabinet
ernstlich gewünscht werden. Die Ehre desselben ist durch das ZeugniH, wel¬
ches die Freunde und Hauptstützen des Empire sich durch ihr Verhalten zum
Preßgesetz ausgestellt haben, in den Äugender französischen Unzufriedenen
empfindlicher compromittirt worden, als es je durch kaiserliche oder ministerielle
Mißgriffe geschehen konnte.
Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthel Segler in Leipzig.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |