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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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über dem Kopf. Selber war sehr brutal und schlug mit seinem Prügel alle
Leute, so ihm nahe kamen, ohne Unterschied und wollte oder durfte ihm
keiner was thun. Hernach observirte ich, daß wenn man ihm die Hand gab,
so war er stille. Zu diesem Knaben soll der König von Schweden große
Liebe hegen und ungerne sehen, daß man selbem etwas zu Leid thue. Wie
der König noch in Polen war und mit einer kleinen Suite durch einen Wald
Me, wird er von einigen hundert Polen umringet und nur durch Hilfe eines
hurtiger Pferdes, welches ihm, nachdem das seine gefallen, einer seiner Tra¬
banten überläßt, entfliehet er der Gefahr. Seine bei sich gehabte Begleitung
wird bis auf nur einige massacrirt. Unterdeß nun der König im Fliehen
begriffen, kömmt oberwähnter kleiner Knabe zu ihm und läuft, den Steig¬
bügel haltend, den ganzen Tag mit, bis der König wieder bei einer schwe¬
dischen Partei anlangte und Ordre ertheilte, den Knaben hinter einem Reiter
aufsitzen zu lassen, der aber kaum auf dem Pferde, sich auf dieses stellet und
so in vollem Gallop mit forteilet. Dem Könige gefiel solches über die
Maßen wohl und verspürte in dem wilden Knaben etwas Absonderliches,
sodaß er ihn bald sehr lieb gewann; ich aber befürchte, daß der Junge ein¬
mal übel anlaufen wird. Selbst die Generals respectirt er' nicht und diese
dürsen ihm öffentlich nichts thun; allein des Abends, wenn es dunkel ist,
machen sich zuweilen mehrere zusammen und schmieren ihn brav aus. Er hat
einmal dem jungen Prinzen von Würtemberg das Bein entzwei geschlagen,
und wie er darauf von einem Trabanten tüchtig ausgeprügelt wird, so läuft
er heulend und schreiend zum König und klaget diesem, daß man ihn so
tractiret, worüber der König sehr ergrimmt und aus dem Cabinet stürzend
fraget: wer solches gethan? Es ist aber noch ein Glück, daß der König vor-
die Thür in das Zimmer kommt, wo eben der Prinz von Würtemberg ver¬
bunden wird und fraget: was da vorgehe? Nachdem er vernommen, daß
solches der Junge gethan, hat er Ordre gegeben, daß man ihn einige Stun¬
den bastoniren sollte.

Nachdem der König gespeiset und wieder in seinem Cabinet war, fielen
die Trabanten und andere Offiziers auf die Tafel wie die Mücken nieder
und speiseten alles rasch auf. Zwo Stunden nach der Mahlzeit wurde wieder
zur Kirche geblasen und ging der König nebst allen seinen Räthen, Generals,
Offiziers und Trabanten wieder zur Kirche. Wie diese aus war, dachten
wir, der König würde nach seiner täglichen Manier ausreiten, allein warum
es diesmal nicht geschehen, weiß ich nicht. Wir fuhren darauf, nachdem wir
ein wenig gegessen, wieder nach Leipzig zurück.

Ich besuchte mit meinen Freunden auch bisweilen den Appel'schen Gar¬
ten, welcher in Wahrheit recht lustig und zierlich angelegt ist, mit vielen
Alleen, schönen Statuen, schönen Fontänen und raren Gewässern. Der Her-


Grcnzboten I, 1863. SS

über dem Kopf. Selber war sehr brutal und schlug mit seinem Prügel alle
Leute, so ihm nahe kamen, ohne Unterschied und wollte oder durfte ihm
keiner was thun. Hernach observirte ich, daß wenn man ihm die Hand gab,
so war er stille. Zu diesem Knaben soll der König von Schweden große
Liebe hegen und ungerne sehen, daß man selbem etwas zu Leid thue. Wie
der König noch in Polen war und mit einer kleinen Suite durch einen Wald
Me, wird er von einigen hundert Polen umringet und nur durch Hilfe eines
hurtiger Pferdes, welches ihm, nachdem das seine gefallen, einer seiner Tra¬
banten überläßt, entfliehet er der Gefahr. Seine bei sich gehabte Begleitung
wird bis auf nur einige massacrirt. Unterdeß nun der König im Fliehen
begriffen, kömmt oberwähnter kleiner Knabe zu ihm und läuft, den Steig¬
bügel haltend, den ganzen Tag mit, bis der König wieder bei einer schwe¬
dischen Partei anlangte und Ordre ertheilte, den Knaben hinter einem Reiter
aufsitzen zu lassen, der aber kaum auf dem Pferde, sich auf dieses stellet und
so in vollem Gallop mit forteilet. Dem Könige gefiel solches über die
Maßen wohl und verspürte in dem wilden Knaben etwas Absonderliches,
sodaß er ihn bald sehr lieb gewann; ich aber befürchte, daß der Junge ein¬
mal übel anlaufen wird. Selbst die Generals respectirt er' nicht und diese
dürsen ihm öffentlich nichts thun; allein des Abends, wenn es dunkel ist,
machen sich zuweilen mehrere zusammen und schmieren ihn brav aus. Er hat
einmal dem jungen Prinzen von Würtemberg das Bein entzwei geschlagen,
und wie er darauf von einem Trabanten tüchtig ausgeprügelt wird, so läuft
er heulend und schreiend zum König und klaget diesem, daß man ihn so
tractiret, worüber der König sehr ergrimmt und aus dem Cabinet stürzend
fraget: wer solches gethan? Es ist aber noch ein Glück, daß der König vor-
die Thür in das Zimmer kommt, wo eben der Prinz von Würtemberg ver¬
bunden wird und fraget: was da vorgehe? Nachdem er vernommen, daß
solches der Junge gethan, hat er Ordre gegeben, daß man ihn einige Stun¬
den bastoniren sollte.

Nachdem der König gespeiset und wieder in seinem Cabinet war, fielen
die Trabanten und andere Offiziers auf die Tafel wie die Mücken nieder
und speiseten alles rasch auf. Zwo Stunden nach der Mahlzeit wurde wieder
zur Kirche geblasen und ging der König nebst allen seinen Räthen, Generals,
Offiziers und Trabanten wieder zur Kirche. Wie diese aus war, dachten
wir, der König würde nach seiner täglichen Manier ausreiten, allein warum
es diesmal nicht geschehen, weiß ich nicht. Wir fuhren darauf, nachdem wir
ein wenig gegessen, wieder nach Leipzig zurück.

Ich besuchte mit meinen Freunden auch bisweilen den Appel'schen Gar¬
ten, welcher in Wahrheit recht lustig und zierlich angelegt ist, mit vielen
Alleen, schönen Statuen, schönen Fontänen und raren Gewässern. Der Her-


Grcnzboten I, 1863. SS
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/281>, abgerufen am 03.07.2024.