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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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in die Gemüther der abendländischen Christenheit. In dem leichtentzünd¬
lichen Herzen der Südfranzosen schlug zuerst der Enthusiasmus für die Be¬
freiung von der Schmach zu lichten Flammen empor und rasch sam¬
melten sich kreuzgeschmückte Heere unter den Bannern der vornehmsten Adels¬
geschlechter. In dieser Anspannung aller Kräfte zur Erreichung eines idealen
Zieles, in dem eigenen Bewußtsein von der Größe der Aufgabe gewann die
Idee des Ritterthums selbst eine edlere geistige Bedeutung. Wenn früher
die Bethätigung blos körperlicher Kraft und Gewandtheit als einzig zu er¬
strebendes Ziel dem Ehrgeiz vorschwebte, so kamen jetzt auch die Würde der
Gesinnung, die feinere Bildung des Geistes und der Sitten zur berechtigten
Geltung. Dieser Aufschwung im Leben und Denken übte den unmittelbarsten
Einfluß auf Inhalt und Form der provenzalischen Poesie, welche ja, wie
Fauriel in seiner Ilistoire ne 1a ?o6sie ?rovenyg.Is sagt, recht eigentlich
"der Ausdruck ritterlicher Ideen, Gefühle und Handlungen" ist. Und in
der That, die hervorragenden Momente ritterlichen Wesens, kühner Muth
in der Schlacht, zarte Verehrung der Frauen und endlich begeisterte Fröm¬
migkeit bringt die Poesie der Trobadors in vollkommenster Weise zum dich¬
terischen Ausdruck. Aber in diesen gemeinsamen Zügen aller mittelalterlichen
Kunstdichtung hat die provenzalische Poesie doch so bestimmte, nur ihr eigen¬
thümliche Nuaneirungen aufzuweisen, daß die Beschäftigung mit ihr, auch
abgesehen von dem sprachlichen und historischen Werthe der hinterlassenen
Denkmäler, noch ein lebhaftes menschliches Interesse erregen muß.

Was zunächst die Verehrung der Frauen angeht, so ließ schon die von
Natur kecke und sinnlich erregte Weise der Südfranzosen eine Ausartung in
überirdisch himmelnde Anbetung nicht leicht aufkommen. Gleich der erste
Dichter Graf Wilhelm von Poitiers, auf dessen Person sich allerdings manche
sagenhafte Züge gesammelt haben mögen, wird als gefährlicher Held auf dem
Felde galanter Abenteuer geschildert. "Der Graf von Poitiers -- so führt ihn
die alte Lebensnachricht mit origineller Einfachheit ein -- war einer der
"höflichsten" Männer der Welt und ein großer Betrüger der Damen; und
er war ein tapferer Ritter und hatte viel mit Liebeshändeln zu thun. Und
er wußte wohl zu singen und zu dichten und zog lange Zeit durch die Welt,
um die Damen zu betrügen." Die Gedichte des Grafen liefern zu diesen An¬
gaben einen ausreichenden, wenn nicht immer sehr decenten, so doch stets
seinen und witzigen Commentar. --

Als Beispiel heldenhafter Ritterlichkeit und ungebändigter Kampflust
ragt unter allen Genossen Bertram von Born hervor. Sein Leben fällt in
die wildbewegte Zeit bittersten Streites unter den Söhnen Heinrich II.
von England, die bald untereinander in blutiger Fehde lagen, bald sich zur
gemeinsamen Empörung gegen den Vater verbanden. Unermüdlich, durch


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in die Gemüther der abendländischen Christenheit. In dem leichtentzünd¬
lichen Herzen der Südfranzosen schlug zuerst der Enthusiasmus für die Be¬
freiung von der Schmach zu lichten Flammen empor und rasch sam¬
melten sich kreuzgeschmückte Heere unter den Bannern der vornehmsten Adels¬
geschlechter. In dieser Anspannung aller Kräfte zur Erreichung eines idealen
Zieles, in dem eigenen Bewußtsein von der Größe der Aufgabe gewann die
Idee des Ritterthums selbst eine edlere geistige Bedeutung. Wenn früher
die Bethätigung blos körperlicher Kraft und Gewandtheit als einzig zu er¬
strebendes Ziel dem Ehrgeiz vorschwebte, so kamen jetzt auch die Würde der
Gesinnung, die feinere Bildung des Geistes und der Sitten zur berechtigten
Geltung. Dieser Aufschwung im Leben und Denken übte den unmittelbarsten
Einfluß auf Inhalt und Form der provenzalischen Poesie, welche ja, wie
Fauriel in seiner Ilistoire ne 1a ?o6sie ?rovenyg.Is sagt, recht eigentlich
„der Ausdruck ritterlicher Ideen, Gefühle und Handlungen" ist. Und in
der That, die hervorragenden Momente ritterlichen Wesens, kühner Muth
in der Schlacht, zarte Verehrung der Frauen und endlich begeisterte Fröm¬
migkeit bringt die Poesie der Trobadors in vollkommenster Weise zum dich¬
terischen Ausdruck. Aber in diesen gemeinsamen Zügen aller mittelalterlichen
Kunstdichtung hat die provenzalische Poesie doch so bestimmte, nur ihr eigen¬
thümliche Nuaneirungen aufzuweisen, daß die Beschäftigung mit ihr, auch
abgesehen von dem sprachlichen und historischen Werthe der hinterlassenen
Denkmäler, noch ein lebhaftes menschliches Interesse erregen muß.

Was zunächst die Verehrung der Frauen angeht, so ließ schon die von
Natur kecke und sinnlich erregte Weise der Südfranzosen eine Ausartung in
überirdisch himmelnde Anbetung nicht leicht aufkommen. Gleich der erste
Dichter Graf Wilhelm von Poitiers, auf dessen Person sich allerdings manche
sagenhafte Züge gesammelt haben mögen, wird als gefährlicher Held auf dem
Felde galanter Abenteuer geschildert. „Der Graf von Poitiers — so führt ihn
die alte Lebensnachricht mit origineller Einfachheit ein — war einer der
"höflichsten" Männer der Welt und ein großer Betrüger der Damen; und
er war ein tapferer Ritter und hatte viel mit Liebeshändeln zu thun. Und
er wußte wohl zu singen und zu dichten und zog lange Zeit durch die Welt,
um die Damen zu betrügen." Die Gedichte des Grafen liefern zu diesen An¬
gaben einen ausreichenden, wenn nicht immer sehr decenten, so doch stets
seinen und witzigen Commentar. —

Als Beispiel heldenhafter Ritterlichkeit und ungebändigter Kampflust
ragt unter allen Genossen Bertram von Born hervor. Sein Leben fällt in
die wildbewegte Zeit bittersten Streites unter den Söhnen Heinrich II.
von England, die bald untereinander in blutiger Fehde lagen, bald sich zur
gemeinsamen Empörung gegen den Vater verbanden. Unermüdlich, durch


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[0259] in die Gemüther der abendländischen Christenheit. In dem leichtentzünd¬ lichen Herzen der Südfranzosen schlug zuerst der Enthusiasmus für die Be¬ freiung von der Schmach zu lichten Flammen empor und rasch sam¬ melten sich kreuzgeschmückte Heere unter den Bannern der vornehmsten Adels¬ geschlechter. In dieser Anspannung aller Kräfte zur Erreichung eines idealen Zieles, in dem eigenen Bewußtsein von der Größe der Aufgabe gewann die Idee des Ritterthums selbst eine edlere geistige Bedeutung. Wenn früher die Bethätigung blos körperlicher Kraft und Gewandtheit als einzig zu er¬ strebendes Ziel dem Ehrgeiz vorschwebte, so kamen jetzt auch die Würde der Gesinnung, die feinere Bildung des Geistes und der Sitten zur berechtigten Geltung. Dieser Aufschwung im Leben und Denken übte den unmittelbarsten Einfluß auf Inhalt und Form der provenzalischen Poesie, welche ja, wie Fauriel in seiner Ilistoire ne 1a ?o6sie ?rovenyg.Is sagt, recht eigentlich „der Ausdruck ritterlicher Ideen, Gefühle und Handlungen" ist. Und in der That, die hervorragenden Momente ritterlichen Wesens, kühner Muth in der Schlacht, zarte Verehrung der Frauen und endlich begeisterte Fröm¬ migkeit bringt die Poesie der Trobadors in vollkommenster Weise zum dich¬ terischen Ausdruck. Aber in diesen gemeinsamen Zügen aller mittelalterlichen Kunstdichtung hat die provenzalische Poesie doch so bestimmte, nur ihr eigen¬ thümliche Nuaneirungen aufzuweisen, daß die Beschäftigung mit ihr, auch abgesehen von dem sprachlichen und historischen Werthe der hinterlassenen Denkmäler, noch ein lebhaftes menschliches Interesse erregen muß. Was zunächst die Verehrung der Frauen angeht, so ließ schon die von Natur kecke und sinnlich erregte Weise der Südfranzosen eine Ausartung in überirdisch himmelnde Anbetung nicht leicht aufkommen. Gleich der erste Dichter Graf Wilhelm von Poitiers, auf dessen Person sich allerdings manche sagenhafte Züge gesammelt haben mögen, wird als gefährlicher Held auf dem Felde galanter Abenteuer geschildert. „Der Graf von Poitiers — so führt ihn die alte Lebensnachricht mit origineller Einfachheit ein — war einer der "höflichsten" Männer der Welt und ein großer Betrüger der Damen; und er war ein tapferer Ritter und hatte viel mit Liebeshändeln zu thun. Und er wußte wohl zu singen und zu dichten und zog lange Zeit durch die Welt, um die Damen zu betrügen." Die Gedichte des Grafen liefern zu diesen An¬ gaben einen ausreichenden, wenn nicht immer sehr decenten, so doch stets seinen und witzigen Commentar. — Als Beispiel heldenhafter Ritterlichkeit und ungebändigter Kampflust ragt unter allen Genossen Bertram von Born hervor. Sein Leben fällt in die wildbewegte Zeit bittersten Streites unter den Söhnen Heinrich II. von England, die bald untereinander in blutiger Fehde lagen, bald sich zur gemeinsamen Empörung gegen den Vater verbanden. Unermüdlich, durch 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/259>, abgerufen am 22.07.2024.