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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Ein Troliador des 12. Jahrhunderts.

Ms mit dem Ende des 4. Jahrhunderts germanische und asiatische Horden
über das westliche Römerreich immer unaufhaltsamer hereinbrachen, da mußte
bald unter dem wüsten Lärm barbarischer Zungen die feinere Stimme römi¬
scher Poesie und Beredtsamkeit verstummen. Jahrhunderte lang währte es,
bis aus dem Schütte der zertrümmerten antiken Cultur die junge Blüte
mittelalterlichen Denkens und Dichtens zu eignen selbständigen Gestaltungen
erstarken konnte. War doch selbst die Sprache, welche schon lange vor dem
losbrechenden Völkersturm im römischen Reiche viel von der strengen Rein¬
heit des classischen Alters verloren hatte, durch die mannigfaltigsten Ein¬
flüsse neuer Idiome zu einer Verwirrung des gesammten Formen- und Satz¬
baues zerfallen, daß zu der Ausübung einer Poesie im höheren Sinne,-zu
einer Kunstpoesie die nöthigste Unterlage mangelte. Von allen Zweigen des
romanischen Sprachstammes gelang es durch.eigenthümlich günstige Umstände
zuerst dem provenzalischen. sich zu einer deutlich abgegrenzten künsterisch
zu verwerthenden Redeform auszubilden. Sein Gebiet umfaßte, weit über
die Grenzen der heutigen Provence hinaus, das ganze südliche Frankreich
und die nächstgelegenen Theile Spaniens; der zusammenfassende Name Pro¬
vence und provenzalische Sprache erinnerte noch an die alte xioviueia romima,
der Cäsaren. Eine reiche, gern gewährende Natur, der äußere Wohlstand
und der aufgeweckte Sinn der Bewohner waren der Pflege der Poesie in
diesem gesegneten Himmelsstriche überaus günstig, und so mögen schon früh
die Klänge der Viola vereint mit frohem Gesang die Erntefeste fröhlicher
Landleute belebt haben. Aus dieser älteren Epoche eines von Jongleurs
und Bänkelsängern geübten, wahrscheinlich meist epischen Volksgesanges ist
nichts erhalten, und die poetische Literatur in provenzalischer Mundart oder
(wie man sie nach der Bejahungspartikel im Gegensatz zur nordfranzösischen
Ig,nAus Ä'oil nannte) in der lemZue ä've beginnt für uns erst mit dem Ende
des 11. Jahrhunderts. Um das Jahr 1090 tritt uns als erster Kunst¬
dichter, als erster "Trobador" ein edler auch der Geschichte bekannter Fürst,
Wilhelm IX. von Poitiers entgegen. Dieses plötzliche Auftauchen eines künst¬
lerisch ausgebildeten, alle Regeln minutiösester Vers- und Neimkunst mit
Leichtigkeit handhabenden Poeten möchte in der Geschichte aller Literaturen
vielleicht einzig dastehen, und auch hier nur durch das spurlose Verschwinden
vorangegangener Stufenglieder zu erklären sein. Ungefähr zu gleicher Zeit
fiel die erschütternde Kunde von der Schändung des heiligen Grabes, von
der Bedrängniß frommer Pilger durch die Ungläubigen wie eine Brandfackel


I. 1.0 jvrn qu'le us öl. II, ^NÄlMis NO in tq semdlan.
Ein Troliador des 12. Jahrhunderts.

Ms mit dem Ende des 4. Jahrhunderts germanische und asiatische Horden
über das westliche Römerreich immer unaufhaltsamer hereinbrachen, da mußte
bald unter dem wüsten Lärm barbarischer Zungen die feinere Stimme römi¬
scher Poesie und Beredtsamkeit verstummen. Jahrhunderte lang währte es,
bis aus dem Schütte der zertrümmerten antiken Cultur die junge Blüte
mittelalterlichen Denkens und Dichtens zu eignen selbständigen Gestaltungen
erstarken konnte. War doch selbst die Sprache, welche schon lange vor dem
losbrechenden Völkersturm im römischen Reiche viel von der strengen Rein¬
heit des classischen Alters verloren hatte, durch die mannigfaltigsten Ein¬
flüsse neuer Idiome zu einer Verwirrung des gesammten Formen- und Satz¬
baues zerfallen, daß zu der Ausübung einer Poesie im höheren Sinne,-zu
einer Kunstpoesie die nöthigste Unterlage mangelte. Von allen Zweigen des
romanischen Sprachstammes gelang es durch.eigenthümlich günstige Umstände
zuerst dem provenzalischen. sich zu einer deutlich abgegrenzten künsterisch
zu verwerthenden Redeform auszubilden. Sein Gebiet umfaßte, weit über
die Grenzen der heutigen Provence hinaus, das ganze südliche Frankreich
und die nächstgelegenen Theile Spaniens; der zusammenfassende Name Pro¬
vence und provenzalische Sprache erinnerte noch an die alte xioviueia romima,
der Cäsaren. Eine reiche, gern gewährende Natur, der äußere Wohlstand
und der aufgeweckte Sinn der Bewohner waren der Pflege der Poesie in
diesem gesegneten Himmelsstriche überaus günstig, und so mögen schon früh
die Klänge der Viola vereint mit frohem Gesang die Erntefeste fröhlicher
Landleute belebt haben. Aus dieser älteren Epoche eines von Jongleurs
und Bänkelsängern geübten, wahrscheinlich meist epischen Volksgesanges ist
nichts erhalten, und die poetische Literatur in provenzalischer Mundart oder
(wie man sie nach der Bejahungspartikel im Gegensatz zur nordfranzösischen
Ig,nAus Ä'oil nannte) in der lemZue ä've beginnt für uns erst mit dem Ende
des 11. Jahrhunderts. Um das Jahr 1090 tritt uns als erster Kunst¬
dichter, als erster „Trobador" ein edler auch der Geschichte bekannter Fürst,
Wilhelm IX. von Poitiers entgegen. Dieses plötzliche Auftauchen eines künst¬
lerisch ausgebildeten, alle Regeln minutiösester Vers- und Neimkunst mit
Leichtigkeit handhabenden Poeten möchte in der Geschichte aller Literaturen
vielleicht einzig dastehen, und auch hier nur durch das spurlose Verschwinden
vorangegangener Stufenglieder zu erklären sein. Ungefähr zu gleicher Zeit
fiel die erschütternde Kunde von der Schändung des heiligen Grabes, von
der Bedrängniß frommer Pilger durch die Ungläubigen wie eine Brandfackel


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[0258] I. 1.0 jvrn qu'le us öl. II, ^NÄlMis NO in tq semdlan. Ein Troliador des 12. Jahrhunderts. Ms mit dem Ende des 4. Jahrhunderts germanische und asiatische Horden über das westliche Römerreich immer unaufhaltsamer hereinbrachen, da mußte bald unter dem wüsten Lärm barbarischer Zungen die feinere Stimme römi¬ scher Poesie und Beredtsamkeit verstummen. Jahrhunderte lang währte es, bis aus dem Schütte der zertrümmerten antiken Cultur die junge Blüte mittelalterlichen Denkens und Dichtens zu eignen selbständigen Gestaltungen erstarken konnte. War doch selbst die Sprache, welche schon lange vor dem losbrechenden Völkersturm im römischen Reiche viel von der strengen Rein¬ heit des classischen Alters verloren hatte, durch die mannigfaltigsten Ein¬ flüsse neuer Idiome zu einer Verwirrung des gesammten Formen- und Satz¬ baues zerfallen, daß zu der Ausübung einer Poesie im höheren Sinne,-zu einer Kunstpoesie die nöthigste Unterlage mangelte. Von allen Zweigen des romanischen Sprachstammes gelang es durch.eigenthümlich günstige Umstände zuerst dem provenzalischen. sich zu einer deutlich abgegrenzten künsterisch zu verwerthenden Redeform auszubilden. Sein Gebiet umfaßte, weit über die Grenzen der heutigen Provence hinaus, das ganze südliche Frankreich und die nächstgelegenen Theile Spaniens; der zusammenfassende Name Pro¬ vence und provenzalische Sprache erinnerte noch an die alte xioviueia romima, der Cäsaren. Eine reiche, gern gewährende Natur, der äußere Wohlstand und der aufgeweckte Sinn der Bewohner waren der Pflege der Poesie in diesem gesegneten Himmelsstriche überaus günstig, und so mögen schon früh die Klänge der Viola vereint mit frohem Gesang die Erntefeste fröhlicher Landleute belebt haben. Aus dieser älteren Epoche eines von Jongleurs und Bänkelsängern geübten, wahrscheinlich meist epischen Volksgesanges ist nichts erhalten, und die poetische Literatur in provenzalischer Mundart oder (wie man sie nach der Bejahungspartikel im Gegensatz zur nordfranzösischen Ig,nAus Ä'oil nannte) in der lemZue ä've beginnt für uns erst mit dem Ende des 11. Jahrhunderts. Um das Jahr 1090 tritt uns als erster Kunst¬ dichter, als erster „Trobador" ein edler auch der Geschichte bekannter Fürst, Wilhelm IX. von Poitiers entgegen. Dieses plötzliche Auftauchen eines künst¬ lerisch ausgebildeten, alle Regeln minutiösester Vers- und Neimkunst mit Leichtigkeit handhabenden Poeten möchte in der Geschichte aller Literaturen vielleicht einzig dastehen, und auch hier nur durch das spurlose Verschwinden vorangegangener Stufenglieder zu erklären sein. Ungefähr zu gleicher Zeit fiel die erschütternde Kunde von der Schändung des heiligen Grabes, von der Bedrängniß frommer Pilger durch die Ungläubigen wie eine Brandfackel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/258>, abgerufen am 22.07.2024.