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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Literatur

Ludwig Hauffer's Geschichte der französischen Revolution 1789 bis 1799.
Herausgegeben von Prof. W. Oncken. (Berlin, Weidmann'sche Buchhandlung.
1867. -- 606 S. in 8°.)

Unter obigem Titel hat Professor W. Oncken, ein Schüler Hauffer's. die Vor¬
träge herausgegeben, welche der verewigte Patriot und Historiker, wie alljährlich, in
dem Sommersemester 1860 über den wichtigsten Abschnitt der neueren Geschichte
gehalten. Nicht nach des Lehrers eigenen Aufzeichnungen, sondern nach des Zuhörers
stenographischer Niederschrift ist der Text dieser Vorträge festgestellt und heraus¬
gegeben worden: damit ist zugleich gesagt, daß es sich nicht um das Resultat rein
wissenschaftlicher Forschung, nicht um ein selbständige Bedeutung beanspruchendes histo¬
risches Werk, sondern um eine geschlossene Reihe interessanter Vortrage handelt,
welche vor einem bestimmten Zuhörerkreis gehalten und zunächst nach den Ansprüchen
desselben bemessen waren. Ist auch aus gelegentlichen Quellenangaben ersichtlich, welches
Material von dem Vortragenden vorzugsweise benutzt worden, so handelt sichs im
Großen und Ganzen doch mehr um eine geistreiche und präcise Darstellung der
Resultate früherer Forschungen, wie um eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen
Quellenschriftstellern und deren divergirenden Auffassungen. Auch die Eintheilung und
die Art und Weise der Behandlung des Stoffs bekunden, daß wir es nicht mit
einem specifisch wissenschaftlichen Buch, sondern mit einer Reihe akademischer Vor¬
lesungen zu thun haben, wie sie von einem Meister der Rede zum Behuf directer
Wirkung auf die Zuhörer gehalten worden: jeder einzelne Abschnitt fügt sich zu
einem selbständigen, von individuellem Leben durchdrungenen Ganzen zusammen und
der aufmerksame Leser kann Anfang und Ende jeder einzelnen Vorlesung erkennen-

Das vorliegende Buch zerfällt in zehn Abschnitte, in welche ein interessantes,
nach berliner Original-Acten ausgearbeitetes Fragment "Preußen und Polen 1791--92"
eingeschoben ist. Vielleicht den glänzendsten Theil des Ganzen bildet die "Frank¬
reich vor der Revolution" überschriebene, 129 Seiten umfassende Einleitung, in
welcher der Meister seine souveräne Herrschaft über den ungeheuern Stoff in wahr¬
haft großartiger Weise bekundet. In gleich beschränktem Rahmen ist vielleicht nie¬
mals ein so lebensvolles, alle Gebiete des staatlichen, gesellschaftlichen und literarischen
Lebens umfassendes Bild von den Zuständen des französischen anoion rö^ime ent¬
worfen worden. Der Staatsorganismus wird auf einigen wenigen Blättern mit
wunderbarer Klarheit blosgelegt und setzt den Leser in den Stand, die im weitern
Verlauf mitgetheilten Staatsveränderungen unter Ludwig XIV. und seinen Nachfolgern
ihrem Wesen nach zu verstehen und mit den Bezeichnungen für die verschiedenen Theile
der Staatsmaschine jedesmal klare Begriffe zu verbinden. Charakter und Einfluß
der revolutionären Literatur sind in genaueren Ausführungen über die drei hervor-


Literatur

Ludwig Hauffer's Geschichte der französischen Revolution 1789 bis 1799.
Herausgegeben von Prof. W. Oncken. (Berlin, Weidmann'sche Buchhandlung.
1867. — 606 S. in 8°.)

Unter obigem Titel hat Professor W. Oncken, ein Schüler Hauffer's. die Vor¬
träge herausgegeben, welche der verewigte Patriot und Historiker, wie alljährlich, in
dem Sommersemester 1860 über den wichtigsten Abschnitt der neueren Geschichte
gehalten. Nicht nach des Lehrers eigenen Aufzeichnungen, sondern nach des Zuhörers
stenographischer Niederschrift ist der Text dieser Vorträge festgestellt und heraus¬
gegeben worden: damit ist zugleich gesagt, daß es sich nicht um das Resultat rein
wissenschaftlicher Forschung, nicht um ein selbständige Bedeutung beanspruchendes histo¬
risches Werk, sondern um eine geschlossene Reihe interessanter Vortrage handelt,
welche vor einem bestimmten Zuhörerkreis gehalten und zunächst nach den Ansprüchen
desselben bemessen waren. Ist auch aus gelegentlichen Quellenangaben ersichtlich, welches
Material von dem Vortragenden vorzugsweise benutzt worden, so handelt sichs im
Großen und Ganzen doch mehr um eine geistreiche und präcise Darstellung der
Resultate früherer Forschungen, wie um eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen
Quellenschriftstellern und deren divergirenden Auffassungen. Auch die Eintheilung und
die Art und Weise der Behandlung des Stoffs bekunden, daß wir es nicht mit
einem specifisch wissenschaftlichen Buch, sondern mit einer Reihe akademischer Vor¬
lesungen zu thun haben, wie sie von einem Meister der Rede zum Behuf directer
Wirkung auf die Zuhörer gehalten worden: jeder einzelne Abschnitt fügt sich zu
einem selbständigen, von individuellem Leben durchdrungenen Ganzen zusammen und
der aufmerksame Leser kann Anfang und Ende jeder einzelnen Vorlesung erkennen-

Das vorliegende Buch zerfällt in zehn Abschnitte, in welche ein interessantes,
nach berliner Original-Acten ausgearbeitetes Fragment „Preußen und Polen 1791—92"
eingeschoben ist. Vielleicht den glänzendsten Theil des Ganzen bildet die „Frank¬
reich vor der Revolution" überschriebene, 129 Seiten umfassende Einleitung, in
welcher der Meister seine souveräne Herrschaft über den ungeheuern Stoff in wahr¬
haft großartiger Weise bekundet. In gleich beschränktem Rahmen ist vielleicht nie¬
mals ein so lebensvolles, alle Gebiete des staatlichen, gesellschaftlichen und literarischen
Lebens umfassendes Bild von den Zuständen des französischen anoion rö^ime ent¬
worfen worden. Der Staatsorganismus wird auf einigen wenigen Blättern mit
wunderbarer Klarheit blosgelegt und setzt den Leser in den Stand, die im weitern
Verlauf mitgetheilten Staatsveränderungen unter Ludwig XIV. und seinen Nachfolgern
ihrem Wesen nach zu verstehen und mit den Bezeichnungen für die verschiedenen Theile
der Staatsmaschine jedesmal klare Begriffe zu verbinden. Charakter und Einfluß
der revolutionären Literatur sind in genaueren Ausführungen über die drei hervor-


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[0246] Literatur Ludwig Hauffer's Geschichte der französischen Revolution 1789 bis 1799. Herausgegeben von Prof. W. Oncken. (Berlin, Weidmann'sche Buchhandlung. 1867. — 606 S. in 8°.) Unter obigem Titel hat Professor W. Oncken, ein Schüler Hauffer's. die Vor¬ träge herausgegeben, welche der verewigte Patriot und Historiker, wie alljährlich, in dem Sommersemester 1860 über den wichtigsten Abschnitt der neueren Geschichte gehalten. Nicht nach des Lehrers eigenen Aufzeichnungen, sondern nach des Zuhörers stenographischer Niederschrift ist der Text dieser Vorträge festgestellt und heraus¬ gegeben worden: damit ist zugleich gesagt, daß es sich nicht um das Resultat rein wissenschaftlicher Forschung, nicht um ein selbständige Bedeutung beanspruchendes histo¬ risches Werk, sondern um eine geschlossene Reihe interessanter Vortrage handelt, welche vor einem bestimmten Zuhörerkreis gehalten und zunächst nach den Ansprüchen desselben bemessen waren. Ist auch aus gelegentlichen Quellenangaben ersichtlich, welches Material von dem Vortragenden vorzugsweise benutzt worden, so handelt sichs im Großen und Ganzen doch mehr um eine geistreiche und präcise Darstellung der Resultate früherer Forschungen, wie um eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Quellenschriftstellern und deren divergirenden Auffassungen. Auch die Eintheilung und die Art und Weise der Behandlung des Stoffs bekunden, daß wir es nicht mit einem specifisch wissenschaftlichen Buch, sondern mit einer Reihe akademischer Vor¬ lesungen zu thun haben, wie sie von einem Meister der Rede zum Behuf directer Wirkung auf die Zuhörer gehalten worden: jeder einzelne Abschnitt fügt sich zu einem selbständigen, von individuellem Leben durchdrungenen Ganzen zusammen und der aufmerksame Leser kann Anfang und Ende jeder einzelnen Vorlesung erkennen- Das vorliegende Buch zerfällt in zehn Abschnitte, in welche ein interessantes, nach berliner Original-Acten ausgearbeitetes Fragment „Preußen und Polen 1791—92" eingeschoben ist. Vielleicht den glänzendsten Theil des Ganzen bildet die „Frank¬ reich vor der Revolution" überschriebene, 129 Seiten umfassende Einleitung, in welcher der Meister seine souveräne Herrschaft über den ungeheuern Stoff in wahr¬ haft großartiger Weise bekundet. In gleich beschränktem Rahmen ist vielleicht nie¬ mals ein so lebensvolles, alle Gebiete des staatlichen, gesellschaftlichen und literarischen Lebens umfassendes Bild von den Zuständen des französischen anoion rö^ime ent¬ worfen worden. Der Staatsorganismus wird auf einigen wenigen Blättern mit wunderbarer Klarheit blosgelegt und setzt den Leser in den Stand, die im weitern Verlauf mitgetheilten Staatsveränderungen unter Ludwig XIV. und seinen Nachfolgern ihrem Wesen nach zu verstehen und mit den Bezeichnungen für die verschiedenen Theile der Staatsmaschine jedesmal klare Begriffe zu verbinden. Charakter und Einfluß der revolutionären Literatur sind in genaueren Ausführungen über die drei hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/246>, abgerufen am 22.07.2024.