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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Feststellung einer Eigenschaft sei, während uns in der negativen Qualifika¬
tion, daß jemand fortan auch unfähig sei, ein Staatsamt zu bekleiden, eine
sehr positive Strafe zu liegen scheint. Andrerseits versteht es sich von selbst,
daß in dem umgekehrten Falle, wo der König einen Minister vor dem Staats¬
gerichtshof anklagen läßt, keine einseitige Indemnität der Landesvertretung
denselben von einer Verurtheilung befreien kann. Die Frage der parlamen¬
tarisch zu gewährenden Indemnität bedarf übrigens um so mehr in Deutsch¬
land der gesetzlichen Fixirung. als sowohl die meisten Verfassungen hierüber
keine bestimmten Vorschriften enthalten und die bedeutendsten Staatsrechts¬
lehrer geradezu irrige Ansichten darüber vortragen. So sagt z. B. Rönne,
die Genehmigung einer Octrohirung (d. h. einer Verordnung mit provisorischer
Gesetzeskraft) enthalte recht eigentlich das, was im englischen Staatsrecht
als Lili ok iiiöemmt? bezeichnet werde und Nößler (II, 84) behauptet geradezu,
die Jndemnitätsbill sei kein Gesetz, sondern nur eine Resolution des Unter¬
hauses. --

Das Gegentheil ist die Wahrheit, nur durch ein formelles Gesetz, kann
in England Indemnität für Minister wie für andere Personen ertheilt wer¬
ben, nicht blos das Unterhaus hat deshalb' eine Resolution zu fassen, son¬
dern das Ministerium muß, wie bei jedem andern Gesetz, ewe Bill einbrin¬
gen, welche beide Häuser zu passiren hat und dann der Sanction der Krone
unterliegt. Nur dieser Weg kann den Zweck erfüllen, dem Betreffenden aus
einem höheren politischen Interesse Straflosigkeit für die Uebertretung der
Gesetze zu gewähren, denn nur ein neuer gesetzlicher Act hat den bestehenden
gesetzlichen Bestimmungen gegenüber die Kraft einer rss ^uÄiecttg., während
ein bloßer Verzicht des Anklageberechtigten, wie er durch die Resolution des
Unterhauses ausgedrückt wäre, den Uebertreter keineswegs vor einer Civil¬
oder Criminalklage sichert. Man sollte daher unterscheiden zwischen "nach¬
träglichen Genehmigungen", wie sie bei Etatsüberschreitungen vorkommen, und
eigentlicher Indemnität, und eine solche, wie in England, auch bei uns nur in
der strikten Form des Gesetzes gewähren. --

In dieser Weise meinen wir, wäre die Ministerverantwortlichkeit künstig
im preußischen Staate zu ordnen, und wir schließen diese Ausführungen mit
dem Ausdruck unserer Ueberzeugung, daß es auch im Interesse der ersten
Näthe der Krone ist, den Art. 44 der Verfassung zu einer praktischen Wahr¬
heit werden zu lassen. Erst wenn die Minister sich dem Monarchen gegen¬
über auf ihre effective Verantwortlichkeit berufen können, gewinnen sie die
Autorität, welche ihnen im repräsentativen Staatswesen gebührt.




Feststellung einer Eigenschaft sei, während uns in der negativen Qualifika¬
tion, daß jemand fortan auch unfähig sei, ein Staatsamt zu bekleiden, eine
sehr positive Strafe zu liegen scheint. Andrerseits versteht es sich von selbst,
daß in dem umgekehrten Falle, wo der König einen Minister vor dem Staats¬
gerichtshof anklagen läßt, keine einseitige Indemnität der Landesvertretung
denselben von einer Verurtheilung befreien kann. Die Frage der parlamen¬
tarisch zu gewährenden Indemnität bedarf übrigens um so mehr in Deutsch¬
land der gesetzlichen Fixirung. als sowohl die meisten Verfassungen hierüber
keine bestimmten Vorschriften enthalten und die bedeutendsten Staatsrechts¬
lehrer geradezu irrige Ansichten darüber vortragen. So sagt z. B. Rönne,
die Genehmigung einer Octrohirung (d. h. einer Verordnung mit provisorischer
Gesetzeskraft) enthalte recht eigentlich das, was im englischen Staatsrecht
als Lili ok iiiöemmt? bezeichnet werde und Nößler (II, 84) behauptet geradezu,
die Jndemnitätsbill sei kein Gesetz, sondern nur eine Resolution des Unter¬
hauses. —

Das Gegentheil ist die Wahrheit, nur durch ein formelles Gesetz, kann
in England Indemnität für Minister wie für andere Personen ertheilt wer¬
ben, nicht blos das Unterhaus hat deshalb' eine Resolution zu fassen, son¬
dern das Ministerium muß, wie bei jedem andern Gesetz, ewe Bill einbrin¬
gen, welche beide Häuser zu passiren hat und dann der Sanction der Krone
unterliegt. Nur dieser Weg kann den Zweck erfüllen, dem Betreffenden aus
einem höheren politischen Interesse Straflosigkeit für die Uebertretung der
Gesetze zu gewähren, denn nur ein neuer gesetzlicher Act hat den bestehenden
gesetzlichen Bestimmungen gegenüber die Kraft einer rss ^uÄiecttg., während
ein bloßer Verzicht des Anklageberechtigten, wie er durch die Resolution des
Unterhauses ausgedrückt wäre, den Uebertreter keineswegs vor einer Civil¬
oder Criminalklage sichert. Man sollte daher unterscheiden zwischen „nach¬
träglichen Genehmigungen", wie sie bei Etatsüberschreitungen vorkommen, und
eigentlicher Indemnität, und eine solche, wie in England, auch bei uns nur in
der strikten Form des Gesetzes gewähren. —

In dieser Weise meinen wir, wäre die Ministerverantwortlichkeit künstig
im preußischen Staate zu ordnen, und wir schließen diese Ausführungen mit
dem Ausdruck unserer Ueberzeugung, daß es auch im Interesse der ersten
Näthe der Krone ist, den Art. 44 der Verfassung zu einer praktischen Wahr¬
heit werden zu lassen. Erst wenn die Minister sich dem Monarchen gegen¬
über auf ihre effective Verantwortlichkeit berufen können, gewinnen sie die
Autorität, welche ihnen im repräsentativen Staatswesen gebührt.




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[0245] Feststellung einer Eigenschaft sei, während uns in der negativen Qualifika¬ tion, daß jemand fortan auch unfähig sei, ein Staatsamt zu bekleiden, eine sehr positive Strafe zu liegen scheint. Andrerseits versteht es sich von selbst, daß in dem umgekehrten Falle, wo der König einen Minister vor dem Staats¬ gerichtshof anklagen läßt, keine einseitige Indemnität der Landesvertretung denselben von einer Verurtheilung befreien kann. Die Frage der parlamen¬ tarisch zu gewährenden Indemnität bedarf übrigens um so mehr in Deutsch¬ land der gesetzlichen Fixirung. als sowohl die meisten Verfassungen hierüber keine bestimmten Vorschriften enthalten und die bedeutendsten Staatsrechts¬ lehrer geradezu irrige Ansichten darüber vortragen. So sagt z. B. Rönne, die Genehmigung einer Octrohirung (d. h. einer Verordnung mit provisorischer Gesetzeskraft) enthalte recht eigentlich das, was im englischen Staatsrecht als Lili ok iiiöemmt? bezeichnet werde und Nößler (II, 84) behauptet geradezu, die Jndemnitätsbill sei kein Gesetz, sondern nur eine Resolution des Unter¬ hauses. — Das Gegentheil ist die Wahrheit, nur durch ein formelles Gesetz, kann in England Indemnität für Minister wie für andere Personen ertheilt wer¬ ben, nicht blos das Unterhaus hat deshalb' eine Resolution zu fassen, son¬ dern das Ministerium muß, wie bei jedem andern Gesetz, ewe Bill einbrin¬ gen, welche beide Häuser zu passiren hat und dann der Sanction der Krone unterliegt. Nur dieser Weg kann den Zweck erfüllen, dem Betreffenden aus einem höheren politischen Interesse Straflosigkeit für die Uebertretung der Gesetze zu gewähren, denn nur ein neuer gesetzlicher Act hat den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen gegenüber die Kraft einer rss ^uÄiecttg., während ein bloßer Verzicht des Anklageberechtigten, wie er durch die Resolution des Unterhauses ausgedrückt wäre, den Uebertreter keineswegs vor einer Civil¬ oder Criminalklage sichert. Man sollte daher unterscheiden zwischen „nach¬ träglichen Genehmigungen", wie sie bei Etatsüberschreitungen vorkommen, und eigentlicher Indemnität, und eine solche, wie in England, auch bei uns nur in der strikten Form des Gesetzes gewähren. — In dieser Weise meinen wir, wäre die Ministerverantwortlichkeit künstig im preußischen Staate zu ordnen, und wir schließen diese Ausführungen mit dem Ausdruck unserer Ueberzeugung, daß es auch im Interesse der ersten Näthe der Krone ist, den Art. 44 der Verfassung zu einer praktischen Wahr¬ heit werden zu lassen. Erst wenn die Minister sich dem Monarchen gegen¬ über auf ihre effective Verantwortlichkeit berufen können, gewinnen sie die Autorität, welche ihnen im repräsentativen Staatswesen gebührt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/245>, abgerufen am 22.07.2024.